Durische Postille

Gehört in der "Sengenden Sonne", Kneipe in Burumar
16. Woche des 2. Jahres

"... aber das ist doch total unlogisch. Wer lässt sich denn bitte so etwas einfallen? Da behauptet einer, der Wind aus der Wüste klingt seit gestern ein bisschen anders, und die gesamte Ordnung des Reiches bricht zusammen?"

"Zusammenbruch kann man nicht wirklich sagen, es ändert sich halt etwas ... oder auch nicht."

„Also nochmal langsam: Wir warten seit Tagen, dass unser Schiff endlich beladen wird, aber das passiert nicht, weil alle darauf warten, dass irgendwer ihnen sagt, was der Baum singt, oder so?“

„So einfach ist das nicht. Die Elben hier sehen sich als die Hüter des Weltenbaumes. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Tatsächlich werden sie – sagen sie zumindest – vom Weltenbaum selbst regiert. Es gibt da den Interpreten des Heiligen Hymnus, der macht nichts anderes, als dem Rauschen der Blätter zu lauschen, welches über den Wind durch die Wüste herangetragen wird. Oder so ähnlich. Aus diesem Lied, eben dem Hymnus, interpretiert er die Marschrichtung des Elbenreiches hier.“

„Und plötzlich singt der Baum anders?“

„Ja, aber das allein wäre noch nicht das Problem. Anders singen tut er ja ständig, aber die Änderung in letzter Zeit war tiefgehender. Ich habe es auch nicht genau verstanden, aber das neue Lied, wenn man es so nennen kann, ist so anders, dass der Interpret nichts mehr damit anfangen konnte. Also ist er in die Wüste gegangen. Ich versteh‘s nicht mehr, also tschüss. Sucht Euch einen Anderen.“

„Und haben die Elben einen anderen gefunden?“

„Ja.“

„Na dann ist doch alles in Ordnung.“

„Nun ja, das ist ein Kind aus der Wüste. Das Mädel hat offenbar nie etwas anderes gesehen als ihre Zelte und Ziegen.“

„Ist doch wurscht, wenn ein Oberpriester oder was auch immer ausgetauscht wird, an der Tagespolitik ändert das doch nichts. Der alte Interpret des Hymnus ist doch auch nie aufgetreten, man wusste ja nicht mal, wer das war. Als Oberhaupt des Elbenhaufens hier ist doch immer dieser Mekaro aufgetreten. Erster Wächter oder so.“

„Aber wenn der Interpret des Heiligen Hymnus ausgetauscht wird, was jetzt nicht wirklich oft passiert, dann ist das ein Zeichen, dass eine Wiedergeburt des Volkes ansteht.“

„Und was heißt das?“

„Alle Würdenträger des Reiches müssen ausgetauscht werden. Die gesamte politische Führung. Die Regierung, also dieser Erste Wächter Mekaro, der gesamte Beamtenstab, alle Berater, und so weiter.“

„Und was passiert mit denen?“

„Die gehen in die Wüste. Leben als Schafhirten, oder was weiß ich.“

„Hm, da werden sich aber einige Emporkömmlinge freuen.“

„Eben nicht. Das wirklich Wahnsinnige ist ja, dass die Wiedergeburt nur dann erreicht werden kann, wenn nicht nur die Interpretation des Willen des Baumes von jemand total Unschuldigen, also Unwissenden, gemacht wird, sondern auch dessen Umsetzung. Die Elben haben also aktiv Leute gesucht, die absolut keine Ahnung von der Welt haben. Haben irgendein Wüstenkloster geschlossen und kurzerhand die Mönche dort zu ihren neuen Herrschern erhoben.“

„Aber hat dieses Reich nicht Verbündete, und Feinde? Handelsverträge, und so weiter?“

„Ja. Aber davon weiß die Führung des Reiches nichts mehr.“

„Denen kann man jetzt also alles einreden?“

„Im Prinzip schon. Aber ich würde davon ausgehen, dass die Verbündeten und Feinde schon Schlange stehen, um dem neuen Hohen Wächterrat ihre Sicht der Dinge zu erzählen.“

„Ah, also erzählen wir unserem Lieferanten, dass wir eigentlich nur den halben Preis für die Ware vereinbart haben?“

„Der wird wohl kaum ausgetauscht worden sein. Aber vorsichtig sollte man schon sein, vor 400 Jahren, als es das letzte Mal einen neuen Wächterrat gegeben hat, sind viele Ausländer, die nur zur falschen Zeit am falschen Ort waren, einfach umgebracht worden. Weil das Lied des Baumes es gefordert hat, weil sie die neue Harmonie gestört haben.“

„Du meinst, es kann jeden Moment ein Haufen Soldaten hier hereinkommen und uns einfach umbringen?“

„Im Prinzip ja, wobei meine Angst da nicht besonders groß ist. Die Generäle wurden nämlich nicht ausgetauscht. Das Kriegshandwerk gilt als nicht besonders ehrenvoll, insofern ist das nicht nötig. Was ich mitbekommen habe, schicken die erst mal Späher in alle Richtungen und warten auf neue Befehle. Und dass der Befehl kommt, uns beide hier aufzuspießen, ist, so hoffe ich, doch eher unwahrscheinlich. Aber theoretisch ist es möglich, dass der Baum geflüstert hat, dass Exporte böse sind, und eine Handelssperre verhängt wird. Oder wir aufgehängt.“

„Oder dass wir endlich unsere Ladung geliefert bekommen?“

„Ich glaube eher, das ist eine Ausrede des Händlers. Der versucht einfach, in den politischen Wirren einen besseren Preis zu erzielen.“

(Gerücht)