Durische Postille

Gehört in der faldûranischen Grafschaft von Hollerheide...
18. Woche des 2. Jahres

>> Noch während Sanktrak, der diplomatische Gesandte der Bergalben von Tel Torak, seine Sicht vortrug, griff der gräfliche Kanzler von Hollerheide, Dalean von Borken, zu einem der verzierten Beistelltische, auf der eine kleine Glocke bereit stand. Nachdem er der Glocke einen leisen Klang entlockt hatte, öffnete sich eine bislang verborgene Tür am Ende des Raumes, durch welche eilig ein Kammerdiener an den Kanzler herantrat und diesem einige Ledermappen mit zahlreichen Pergamenten übergab. Noch immer dem Gesandten zuhörend, blätterte von Borken beiläufig in den ihm ausgehändigten Unterlagen.

Als Sanktrak schließlich geendet hatte, blickte der Kanzler den zwergischen Gesandten streng an:

„Nun, werter Herr Sanktrak, Ihr habt eine Menge vorgebracht – leider muss ich einräumen, deckt sich nur wenig davon mit den mir vorliegenden Berichten und Sichtweise der Reichsonsiley. Doch nacheinander:

Ihr sagtet, ich hätte Euch vorgeworfen, Schande über Euer Volk gebracht zu haben, die nicht wieder gut zu machen sei. Das habe ich nicht. Das Reich beobachtet Euer Volk aus den geschilderten Gründen derzeit genauer und mit einer gewissen Vorsicht und behält sich weitere diplomatische Sanktionen für den Fall vor, dass Euer Volk dem bisher von Euch und Euren Spähern angerichteten diplomatischen Flurschaden weitere Diplomatieinjurien hinzufügt.

Des weiteren fügtet Ihr hinzu, Ihr wäret überrascht, dass „eine einzelne fast unwichtige Person“ wie Ihr eine solche diplomatische Reaktion hervorrufen könne. Zunächst: Welche diplomatische Reaktion? Bislang wurde schließlich Eure Ausweisung als Botschafter angeordnet und Euer Widerspruch hiergegen sogar zur Prüfung zugelassen. Dies erscheint mir angesichts Eurer, wie Ihr einmal selbst einräumtet, „dämlichen“ Handlungsweise, die Bitten des Reiches, Reisen Eurer Späher zuvor mit der Reichsconsiley für Diplomatie abzusprechen, doch durchaus angemessen und verhältnismäßig, findet Ihr nicht? Wo also seht Ihr eine übereilte oder überzogene diplomatische Reaktion?

Dem ist hinzufügen, dass Ihr Euch wohl langsam entscheiden müsst, ob Ihr nun der offizielle, von Eurem Herrn ernannte Botschafter sein wollt oder nicht. Eure mäandernde Argumentation diesbezüglich ist ein wenig ermüdend. So Ihr von Eurem Herrn als offizieller Emissär an den faldûranischen Hof entsandt worden seid, diplomatische Beziehungen zu unserem Reich aufzunehmen – gut. Dann seid Ihr aber keine unwichtige Person, sondern der Stellvertreter Eures Herrschers und Volkes. Jede Eurer Taten, Handlungen und Verfehlungen fallen demnach natürlicherweise auf Euer Volk zurück.
So Euch die Weihen einer offiziellen Botschafterernennung fehlen, habt Ihr in der Tat Recht – dann seid Ihr recht unwichtig, hättet dann aber die diplomatischen Beziehungen zwischen unseren Völkern durch die Vortäuschung Eurer offiziellen Botschafterrolle belastet und erneut Recht und Gesetz gebrochen.
Angesichts dieser Möglichkeiten erscheint mir das bisherige Vorgehen des Reiches als höchst moderat, wenn nicht sogar deeskalierend milde.

Hinsichtlich Eurer Frage, wie oft schon Angehörige unseres Volkes sich des gleichen Vergehens wie Ihr, also unerlaubter Ein-, Aus- und Weittereisen in einem Gastland, schuldig gemacht hätten, liegt mir hier die offizielle Reisestatistik der Reichsconsiley für Taxier- und Grenzfragen vor. Demnach gab es von faldûranischer Seite zwei Einreisen in das von Euch beanspruchte Territorium: Zum einen in der 13. Woche des Jahres 1111 AID, in welcher dem Freiherren von Meereng, dem derzeitiger Botschafter in Sonnenhain, die Weiterreise durch torakisches Gebiet untersagt wurde, woraufhin dieser umgehend ausreiste.
Zum anderen in der 48. Woche des gleichen Jahres, in welcher sich der faldûranische Turnierteilnehmer beim Turnier von Keltaraun, bei Euren Truppen offiziell vorstellte und einen Antrag auf Durchreise stellte, welcher ihm bewilligt wurde.
Insgesamt gab es also zwei Einreisen, davon aber keine, die gegen bekanntes Recht und Gesetz verstoßen hätte. Die Zahl der Angehörige unseres Volkes, welche sich des gleichen Vergehens wie Ihr schuldig gemacht haben, lässt sich damit genau beziffern: Null.

In diesem Zusammenhang ist auch Eure Aussage interessant, Ihr wäret bislang der einzige Abgesandte Eures Volkes gewesen, der vom Reich beanspruchte Gebiete betreten hätte. Entweder seid Ihr hier nur ungenügend informiert oder täuscht bewusst Tatsachen vor, die nicht der Wahrheit entsprechen.
Bis vor wenigen Wochen befanden sich zwei "Hornissen" in den Gebieten, welche vom Reich beansprucht werden. Diese Einheiten standen zuletzt in den Provinzen Wurkh sowie im Hochgebirge der Eisenern Sichel, durchreisten aber zuvor auch andere Gebiete des Reiches, wie etwa die Große Eiserne Sichel. Die Tatsache, dass Ihr die "Hornisse" zu Wurkh dem Volk der Nulfuiten übereignetet und die "Hornisse" im Hochgebirge weiter auf Erkundungsmission in den Osten sandtet, ändert nichts an der Tatsache, dass diese – genau wie Ihr – wissentlich gegen die Reisebestimmungen des Reiches verstoßen haben. Dies nun zu bestreiten, stärkt Eure Glaubwürdigkeit nun nicht gerade, Herr Sanktrak. Und fällt erneut auf Euer Volk zurück...“

Kopfschüttelnd legte der Kanzler die Unterlagen beiseite und erhob sich. Er wirkte gefasst, angesichts der stumpfen Unehrlichkeit seines Gegenübers jedoch etwas erzürnt. Zweimal mit dem Glöckchen klingelnd, schritt er durch den Raum. Wenig später brachte der Kammerdiener eine neue Porzellankanne dampfenden Tees, welche er Sanktrak höflich anbot.

„Und schließlich zu Eurer Aussage, Euer Volk achte und respektiere andere Völker und ihre Sitten, während es so schade sei, dass wir dies nicht fertig brächten: Verzeiht, aber – schämt Ihr Euch nicht, angesichts dieser Faktenlage und der von Euch selbst eingestandenen Verhaltensverfehlungen, solcherlei von Euch zu geben? Noch einmal: Ihr seid Gast in diesem Reich. Als Gast habt Ihr die hiesigen Gesetze, welche die Sitten und Gebräuche unseres Volkes in kodifizierter und formalisierter Form systematisch zusammentragen, zu respektieren und einzuhalten.
Das habt Ihr, obwohl Sie Euch mehrfach zur Kenntnis gebracht wurden, erwiesenermaßen nicht. Damit achtet Ihr, quod erat demonstrandum, die Sitten anderer Völker eben nicht. Was sollen also diese Wehklagen, wenn Ihr hier Täter, nicht Opfer seid? Und welche Fälle könnt Ihr nennen, um Euren Vorwurf, das Reich achte andere Völker nicht, zu substantiieren?“

Mit einem leisen Räuspern trat erneut der Kammerdiener an den Kanzler heran und überreichte ihm ein Pergament. „Von der Reichsconsiley“, wisperte er dem Kanzler zu. Dieser überflog das ihm überbrachte Dokument. Erneut schüttelte der Kanzler unverständig den Kopf.

„Soviel zum Respekt Eures Volkes gegenüber anderen... Die Reichsconsiley hat in Erfahrung gebracht, dass ein tausendköpfiges Heer Eures Volkes ohne Einholung einer Einreisegenehmigung in das Terrirtorium unserer engen Freunde, des Ritterordens von Gloriana eingefallen ist. Entgegen mehrfacher Bitten und Aufforderungen, die Verletzung der territorialen Integrität zu unterlassen und die Durchreise stattdessen in zivilisiertem Rahmen zu verhandeln, marschiert dieses Heer unter der Führung Eures Herrschers unbeirrt weiter. Nun steht dieses Heer erneut kurz vor der Provinz Wurkh und will anscheinend über die Große Eiserne Sichel und das Hochgebirge gen Osten reisen.
Ich habe die Pflicht, Euch davon in Kenntnis zu setzen: Sollte dieses Heer Wurkh ohne Einreisegenehmigung des Reiches betreten, hat dies zwangsläufig eine Ausweitung der bisherigen Affäre zu einer schweren Krise zur Folge, die mit diplomatischen Mitteln kaum mehr zu lösen wäre. Ich darf daher im Namen der Reichsconsiley appellieren: Sollte Euch an friedlichen Beziehungen zum Fürstkönigtum gelegen sein, beendet diesen Wahnsinn auf der Stelle und tretet in Verhandlungen mit dem Ritterorden - sofort. Euch mögen gute Gründe anleiten, in den Osten zu ziehen – die Art und Weise, wir Euer Volk sein Anliegen forciert und alle begründeten Einwände schlichtweg überrollt, sind ein Skandal. Man hat uns berichtet, dass Ihr ein Volk ohne Diplomaten seid – dass Ihr aber einen Krieg riskiert, nur weil Ihr zu bequem seid, Reiche, durch deren Gebiet Ihr ziehen wollt, um Durchreiserechte zu ersuchen, ist wahrhaft außergewöhnlich leichtsinnig, ohne Beispiel und eines zivilisierten Volkes, wie das Eurige sein möchte, schlichtweg nicht würdig.“ <<

- Jüngst von einem Unbekannten belauscht und aufgeschrieben zu Hollerheide, Fürstkönigtum Faldûrien

(Gerücht)