Durische Postille

Al Karrnaks vergiftetes Erbe
23. Woche des 2. Jahres

Ausschnitt aus dem Reichsblatt:

Fürstköniglich Faldûranische Volkszeitung
politisch - patriotisch - pflichtgetreu
(herausgegeben durch die Zentralconsiley für Preßangelegenheiten zur Mitte des Jahres 1112 AID im 4. Jahre der ersprießlichen Herrschaft seiner fürstköniglichen Majestät, Ettel XII. von Falkensteyn zu Falderath)


AL KARRNAKS VERGIFTETES ERBE
Vermag ein Streit um eine Grenzprovinz ganz Durien ins Chaos zu stürzen?

Mit ihrem blutigen Feldzug haben die Zwerge von Tel Torak zahlreiche Völker gegen sich aufgebracht und sich selbst an den Rand des Untergangs getrieben. Nun droht ein von ihnen gesäter Samen der Zwietracht zwischen dem Volk der Keltaraun und dem Bund der alten Weisheit den gesamten Kontinent zu destabilisieren.
Allein die jüngst eröffneten Friedensverhandlung zu Falderath geben eine letzte Hoffnung, dass die Völker Duriens doch noch davon abgehalten werden können, sich gegenseitig auf den Schlachtfeldern Duriens zu massakrieren und die Einheit der Völker der Lichts gegen die aufziehende Dunkelheit endgültig zu vernichten. Die FFV sammelte exklusive Momentaufnahmen von Menschen in dieser unruhigen Zeit – Schlaglichter in der aufziehenden Dunkelheit.


Erstes Schlaglicht: Der Friedenssekretär
Es war ein früher Morgen für den Consiliarsuntersekretär Ettfried Sanftmut, so dass er sich ob der neuesten Meldungen verwundert die müden Augen rieb. Das noch vor wenigen Wochen undenkbare war nun unabweisbar geworden: An diesem morgen stapelten sich Kriegsdrohung über Kriegsdrohung auf seinem kleinen Schreipult. Ja, waren denn alle verrückt geworden? Was war bloß geschehen?
Angestrengt versucht Herr Sanftmut, seine Gedanken zu ordnen. Also: Die Zwerge von Tel Torak waren entgegen zahlreicher Bitten und Sanktionsdrohungen mit einem großen Heer erst in die Ländereien der Ritter von Gloriana und schließlich in faldûranisches Reichesgebiet gezogen, um dort mit blutigen Überfallen auf sich aufmerksam zu machen. Als Reaktion auf die aggressive Außenpolitik der Zwerge entsandten der Ritterorden und seine engen Freunde, der Bund der Alten Weisheit, Truppen, um die Gebiete der Zwerge, von denen schon zuvor ein Angriffskrieg gegen das Volk der Sashnadâr und das äthernische Imperium ausgegangen war, endlich zu befrieden. Oberstes Ziel der vereinten Heere: Die Hauptstadt der Kristallberge sollte endlich unter Kontrolle gebracht und weitere Unruhen in Zukunft verhindert werden.
Doch waren auch die ewigen Unruhestifter Tel Toraks nicht untätig geblieben. Vorhersehend, dass sie ihre Ländereien nicht gegen den Zorn der beiden in Freundschaft verbundenen Reiche würden verteidigen können, hatten sie einen maliziösen Plan ersonnen, um - da sie schon selbst dem Untergang geweiht waren - auch gleich die gesamte Region mit in den Untergang zu reißen. So boten die Zwerge kurzerhand dem Volk der Keltaraun an, die unhaltbar gewordenen Ländereien Tel Toraks käuflich zu erwerben, was das Volk der raunischen Nebel guten Glaubens annahm. Doch es kam, wie es kommen musste: Zwar zeigten sich der Bund der Alten Weisheit und der glorianische Ritterorden bereit, sich über den Verbleib vieler Zwergenprovinzen gütlich mit den Herren Keltarauns zu einigen, doch blieb die Provinz Kristallberg, ehemals Zentrum der zwergischen Zwietrachtstifter, als schier unlösbarer Zankapfel zwischen den Parteien bestehen. So wechselte die Provinz Kristallberg erst von Tel Torak zu Keltaraun, um wenige Wochen später vom Bund der Alten Weisheit übernommen zu werden.
Doch kaum war die letzte Eroberung vollzogen, lagen beide Völker endgültig im Streit: Der Bund der Alten Weisheit sah sich im Recht, da die Eroberung bereits lange zuvor angekündigt gewesen war und man nun nicht hinter den angekündigten Warnungen zurückbleiben wollte, während das Volk der Keltaraun, voll zorniger Trauer darüber war, dass bei der Übernahme ein keltaraunischer Gesandte, welchem gerade erst die Verwaltung der Provinz übertragen worden war, bei der Übernahme durch die Truppen des Bundes zu Tode kam. So eskalierte der Streit zwischen den Interessensgegnern rasant – und schon wurden Anschuldigungen beider Seiten laut, welche die jeweilige Gegenseite der Bündelei mit dunklen Mächten bezichtigten. Schnell steigerte sich der Streit über eine einzelne Provinz zu einem Bedrohungsszenario, welches die Friedensarchitektur des gesamten Kontinents aus den Angeln zu heben drohte.
Bekümmert kratzte sich Herr Sanftmut das spärlicher werdende Haar. Um eine weitere Eskalation des Streits um Kristallberg zu verhindern, hatte die Reichsconsiley umgehend beide Parteien zu Friedensgesprächen geladen unter der Bedingung, dass jegliche Kämpfe umgehend einzustellen seien. Die Vorbereitungen der Gespräche hatten einen enormen Aufwand gefordert – Herr Sanftmut selbst hatte in unzähligen Überstunden kleine Willkommensfähnchen für die Unterhändler des Bundes und der Keltarauner ausgeschnitten und zusammengeklebt, um so im Eingangsbereich des Gebäudes für eine gelöstere Stimmung zu sorgen. Der Herr Consiliar selbst hatte dann beide Gesandte empfangen – und am Revers seines Brokatmantels zwei von Herrn Sanftmuts Fähnchen stecken gehabt. Herr Sanftmut war hierauf sehr stolz - ob die Stimmung dadurch gelöster war, wusste er allerdings nicht zu sagen. Derzeit diskutierten die Gesandten und der Consiliar sich wohl im Prinzessin Tusnelda-Saal – dem Blauen Salon, wie er im inoffiziellen Sprachgebrauch der Consileysdiener aufgrund des dominierenden Farbtons, aber auch der unzähligen alkoholhaltigen Festivitäten, welche hier regelmäßig ausgerichtet wurden, genannt wurde – die Köpfe heiß. Herr Sanftmut knetete unruhig seine Finger. Er wollte keinen Krieg. Doch nun lag dieses öffentliche Schreiben der Lichtelfen auf seinem Pult. Ein Volk, mit dessen Gesandte noch vor einer Woche das Friedensbündnis mit dem Reich bekräftigt und mit dem man stets vertrauensvoll zusammengearbeitet hatte, um das Licht zu stärken. Eine Kriegserklärung. Ohne vorherige Konsultation, ohne Begründung, zur Unzeit. In einem Moment, in dem der Frieden des Kontinents in den kleinen Zwergenhänden des Reichsconsiliars und seiner Gesprächspartner lag. Enttäuscht und traurig wandte sich Herr Sanftmut ab, um das zu tun, was ihm in diesem Moment als einziges zu tun übrig blieb. Er betete um den Erhalt des Friedens.


Zweites Schlaglicht: Der Chetonjäger
Sie waren seit Monaten unterwegs gewesen, erst durch die dichten Wälder Osimbars und Sichelforsts, dann an den schmalen Gebirgspfaden des Sichelgebirges. Immer wieder waren sie am Wegesrand auf die blutigen Leichname der von der Chetonspest infizierten Ratten gestoßen, immer wieder hatten sie halt gemacht, um die völlig zerfetzten Körper der Bauern und reisenden Händler von den fast zwei Dutzend Priestern, welche den Kriegszug begleiteten, zu begraben. In einem entlegenen Tal am Rande des Sichelgebirges hatten sie einige der Ratten endlich stellen können, nun zogen sie weiter, um auch die übrigen Nester auszuheben und vom fauligen Chetonsatem zu befreien. Nach langer Zeit erreichten sie zum ersten Mal wieder ein Dorf, welches nicht von einem Überfall der Ratten dem Erdboden gleichgemacht worden war. Aufgeregt kam ihnen einer der Dorfbewohner entgegen. Seine fleckige Uniform wies in als „Ortsvorsteher der fürstköniglichen Taubenpostdirektion“ aus – ihm oblag es also, jene Tauben zu versorgen, welche immer mal wieder mit Nachrichten aus der Reichskapitale zur örtlichen Poststation flogen, selbst Nachrichten zu versenden und zum hiesigen Schlag zurückgekehrte Tauben von durchreisenden Händlern wieder nach Falderath schaffen zu lassen, auf dass sie erneut mit Nachrichten bestückt zu ihm fliegen konnten.
„Werte Rittersleute!“, rief der Mann dem Anführer des Zuges, einem Ritter des Esturienordens, zu. „Habt ihr die Rattenpest zurückschlagen können?“ – „Ganz recht“, brummte Ritter Durwin nur. „Doch was habt Ihr Neues von den übrigen Heeren der Elfen und der Edelsteinzwerge?“
„Nun, ja, Herr Ritter, eine gute und eine schlechte Nachricht“, antwortete der Postmeister zögernd. „Die gute: Die Edelsteinzwerge konnten wohl das Rattennest in Sichelklippen ausheben – die Reichsconsiley für Schutz und Trutz hat ihr Engagement ausdrücklich gelohnt und betont, als wie wertvoll sich ihr Beitritt zum Schildlandvertrag jetzt schon erwiesen hat.“
- „Und die schlechte Nachricht? Rede, Mann!“
„Tja. Die schlechte Nachricht: Das Entsatzheer der Rattenjäger des Bundes der Alten Weisheit wurde auf dem Weg zu den Ratten in Sichelsteig von dem Zwergenheer Karras al Karrnacks überfallen und aufgerieben. Niemand von ihnen wird Euch nun gegen die Rattenpest dort beistehen können. Doch haben die Edelsteinzwerge angekündigt, sich des Problems annehmen zu wollen.“
- „Das ist ... schlecht und gut zugleich“, brummte der Ritter.
„Naja und...“, der Mann schluckte, „das Volk der Nulfuiten, welchem ihr nach Eurer Mission gegen die Lindwürmer helfen solltet, hat dem Reich den Krieg erklärt...“
- „Was?! Aber man hatte doch ein Nichtangriffsbündnis und weitgehende Zusammenarbeit verinbart?! Und Vereinbarungen, gegen das Cheton ziehen zu wollen? Was soll das? Wir machen hier die Arbeit, räuchern die verdammte Rattenpest aus und diese Lichtelfen fallen uns dabei in den Rücken und brechen Ihr Wort?“
„Verzeiht Herr... ich verstehe es selbst nicht ganz...“
- „Also ich verstehe nun gar nichts mehr. Aber ich danke Euch für Eure Nachricht. Doch nun: Lasst mich allein!“.
Enttäuscht und verbittert wandte sich der Ritter ab, und schritt an den Waldesrand, wo er auf einer Lichtung niederkniete. Dort tat er das, was ihm in diesem Moment als einziges zu tun übrig blieb. Er betete um den Erhalt des Friedens.


Drittes Schlaglicht: Der Priester des Lichts
Schon seit Tagen umfing den hohen Priester Durs ein unruhiger Schlaf. Träume eines grausamen Gemetzels und langwierigen Mordens, in welches sich zahllose Völker, von Hass und Wut erfüllt, bereitwillig und blindwütig stürzten, ließen den alten Mann kaum zu Ruhe kommen. Schwer und stoßweise atmend erwachte er ein ums andere Mal. Sein greiser Körper war schweißgebadet. „Die Dunkelheit wirkt“, ächzte er. „Zwietracht und Gier, Mordlust und Machtstreben... Die Prophezeiung des Lichtdrachen und der Priester der Lichtelfen beginnt sich zu erfüllen!“, hallte es zwischen den Schläfen des Hohepriesters.
„NEIN!“, schrie es plötzlich aus dem Mund des Priesters hervor. „NEIN! Sehen sie denn nicht, dass es keinen Sieger geben kann, wenn die Welt in Flammen steht? Sie werden allein sein, wenn niemand mehr da ist, mit dem sie diese Welt teilen können. Der letzte Überlebende wird alles und nichts besitzen. Denn er mag über die Asche eines Kontinents gebieten – doch wird er an seiner eigenen Einsamkeit zugrunde gehen. Dann wird die Geschichte der Welt enden und der Untergang nahen. NEIN! Das können sie nicht wollen!“ Schwerfällig erhob sich der Mann von seinem durchschwitzten Nachtlager. „Diener!“, rief er in die Dunkelheit hinein. „Bringe er mir Licht, Papier und Federkiel. Sie müssen die Worte des Lichtdrachen vernehmen: DAS WAHRE GUTE WIRD MIT DEN MITTELN, WELCHES ES ZUR VERFÜGUNG HAT, DEN SIEG ERLANGEN MÜSSEN. DAS DUNKLE WIRD SICH TROTZ ALL SEINER VERDERBTEN MACHT STETS GEGEN SICH SELBST WENDEN. Sie müssen erfahren: Die Einheit ist das Zeichen des Lichts, nicht Zwietracht und Hader um weltliche Güter! Sie wollen ihre Heere im Streit um einen unbedeutenden Landstrich opfern – ohne zu sehen, dass um sie herum die Welt droht, vom Chaos verschlungen zu werden. Sie müssen zur Besinnung kommen. Demut und Vergebung! - alles andere heißt doch, den Untergang Duriens wollen!“
Erschöpft und sorgenvoll wandte sich der Priester von seinem Nachtlager ab, und schritt an das Fenster seines Turmzimmers, wo am Horizont die ersten Sonnenstrahlen die umgebenden Berggipfel trafen. Dort tat er das, was ihm in diesem Moment als einziges zu tun übrig blieb. Er betete um den Erhalt des Friedens.

Mór´kishai Báofu Sun