Durische Postille

Im Palast des Imperators
28. Woche des 2. Jahres

So schnell seine müden Knochen ihn tragen können eilt der alte Zeremonienmeister durch die Gänge des imperialen Palastes, den jungen Fremden stets auf den Fersen. Mißbilligend schüttelt er hin und wieder den Kopf. Inzwischen weiß er, daß es sich bei dem 'Gesandten' um König Brynndal I. höchstselbst auf einem 'inoffiziellen Staatsbesuch' handelt. Erneutes Kopfschütteln. Inoffizieller Staatsbesuch! Ein Widerspruch in sich!

Schließlich erreichen sie das prunkvolle Schlafgemach Imperator Asmodeus Äternitas' des Ersten. Nur zwei Prätorianer der Leibgarde, der Leibarzt, ein Lichtpriester und der Erste Adjutant Parapheus sind bereits anwesend, wirken geradezu verloren in dem riesigen Raum. Die beiden Neuankömmlinge eilen zu dem Himmelbett, in dem die zerbrechliche Gestalt des Imperators, stark geschwächt von langer Krankheit, erst auf den zweiten Blick zu erkennen ist.

Brynndal tritt neben Parapheus. Ein fester Händedruck, dann die geflüsterte Frage:
"Wie steht es um ihn? Wird er es schaffen?"
"Das liegt längst in höheren Händen als den unseren," lautet die ernste Antwort des Adjutanten.

Mit schwacher Geste winkt Asmodeus Brynndal heran. Vorsichtig setzt sich der junge Mann an den Rand des Bettes.
"Seid gegrüßt, alter Freund. Ich hätte mir glücklichere Umstände für unser erstes persönliches Treffen gewünscht. Mögen die Götter Euch Gesundheit schenken und das Licht über Euch leuchten lassen."
"Ich habe Euch ein Geschenk mitgebracht," sagt er leise und holt den prächtigsten Edelstein hervor, der je in diesen Hallen leuchtete. Faustgroß, saphirblau und trotz des noch unbearbeiteten Zustandes makellos und glitzernd.
"Der 'Blaustern', so nennen wir ihn. Er fängt das Licht der Sonne ein und gibt es des Nächtens in sanften bläulichem Glühen wieder. Möge er Euch die dunklen Stunden erhellen. Ich habe ihn noch nicht bearbeiten lassen, damit Ihr frei entscheiden könnt, wie Ihr ihn verwenden wollt."
Sanft legt er ihn dem Imperator auf die Brust, der den glimmenden Stein sogleich mit einer Hand umfaßt und an dieselbe drückt. Seltsamerweise nimmt das bläuliche Glühen sogleich an Intensität zu.

Auf ein Zeichen hin eilt der Priester herbei und schiebt einen Polster hinter den Rücken der Kranken, sodaß er in eine aufrechtere Lage kommt.
"Habt Dank, mein Freund. Mir wurden beunruhigende Geschichten zugetragen. Sagt, was geschieht in der Welt dort draußen?"
"Ja, die Geschichten. Propaganda und Gegenpropaganda, und die Wahrheit wie stets im Schleier."
Brynndal schüttelt traurig den Kopf.
"Nur die Götter kennen alle Fakten, doch ich will Euch die Wahrheit aus meiner Sicht präsentieren, so gut ich kann. Durien steht am Rande eines Krieges. Der Große Krieg, so werden sie ihn später nennen. Und das traurige dabei ist, beide Seiten halten sich selbst für Streiter des Guten. Die Môr'Kishai, Bollwerk wider das Cheton, auf der einen, und der Schildbund bestehend aus dem Faldûranischen Fürstkönigtum, dem Ritterorden von Gloriana, dem Bund der Alten Weisheit, dem Zwergenreich der Edelsteinberge und vielleicht Fangorien auf der anderen Seite.
Stein des Anstoßes sind, wie so oft, die Bergalben. Sie haben beschlossen, ihre Heimat zu verlassen und nach Osten zu ziehen. Mit dem ihnen eigenen unnachahmlichen diplomatischen Geschick verabsäumten sie es, die Zustimmung der Reiche, die sie durchqueren wollten, namentlich des Ritterordens und Faldûriens, einzuholen. Nach einigen Drohungen hat der Schildbund dies zum Anlaß genommen, das Gebiet der Bergalben zu annektieren. Ihr kennt meine Einstellung zu den Bergalben, doch selbst ich halte dies für völlig überzogene Reaktion.
Zur gleichen Zeit verkauften die Bergalben ihre Hauptstadt und die Provinzen südlich davon an die Keltaraun. Diese wollten dadurch hauptsächlich verhindern, daß der Schildbund noch weiter wächst, da ihnen deren beiläufige Annektion kleinerer Reiche ein Dorn im Auge ist. Und wohl auch, weil der Schildbund eine beeindruckende und zumindest ebenbürtige Macht darstellt, und, seien wir ehrlich, Môr'Kishai gerne selbst der größte Fisch im Teich wäre.
Nun standen aber die Truppen des Bundes der Alten Weisheit, die die Eroberung des Zwergenreiches tatsächlich durchführten, schon kurz vor der Hauptstadt der Bergalben. Und selbstverständlich erkannten sie den hastigen Verkauf dieser für ihre eigene Expansion so wichtigen Stadt nicht an. Ich hätte damit an ihrer Stelle wohl auch so meine Schwierigkeiten. Sie eroberten die Stadt und töteten den frisch eingesetzten Stadthalter der Keltaraun."

Der König räuspert sich und streckt den Rücken ein wenig.
"Danach hat sich die Lage durch das Eingreifen der Karmanthi weiter verkompliziert. Kriegsgewinnlerei der opportunistischsten Sorte, freundlich ausgedrückt. Euer Großinquisitor hat dieser Angelegenheit bereits seine Aufmerksamkeit geschenkt. Sollte er hierbei Hilfe benötigen, wird Sashnadâr wie stets an der Seite des Imperiums stehen."

Wieder verändert Brynndal seine Sitzposition und seufzt.
"Bündnisse und Pakte, Abmachungen und Versprechungen. Und alle laufen einander entgegen. Es wird mir nichts anderes übrigbleiben, als den einen oder anderen Vertrag zu lösen. Ich hatte gehofft, daß es niemals dazu kommt, doch wenn kein Wunder geschieht und die Verhandlungen zwischen den Keltaraun und dem Bund der Alten Weisheit doch noch zu einem Ergebnis führen, habe ich wohl keine Wahl."

Leise, aber bestimmt mischt sich der Lichtpriester wieder ein.
"Euer Majestät, Seine Herrlichkeit bedarf nun dringend der Ruhe!"
"Ja, ich denke auch, das wird das Beste sein. Schlaft gut, alter Freund, und entsagt dem Licht, das Euch jenseits des Schleiers erwartet, noch ein Weilchen."

Ilbeoria