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Durische Postille |
Der klagende Turm 28. Woche des 2. Jahres Nun, da jeder Ausweg versperrt war und die Angst ihr die Brust so zusammenpresste, dass sie glaubte zu ersticken, da handelte Elema nicht mehr bedacht und weise. Wie von Sinnen rüttelte sie an dem Portal, schlug mit Fäusten dagegen und kratzte mit Fingernägeln über das splittrige Holz. Nur fort, nur weg von den Mächten, denen dieser Turm Unterschlupf gewährte. Nach einer Weile verließ sie die Kraft. Der unbändige Drang, diesem Verlies zu entkommen, wich lähmendem Grauen.
Sie sank neben dem Portal zusammen. Wo war die Laterne? Es grenzte an ein Wunder, dass sie auf den klammen Stufen nicht ausgerutscht war und sich am Fuße der Treppe das Genick gebrochen hatte. Der Laterne hatte sie keinen Gedanken gewidmet. Und viel schlimmer noch war der Verlust des Amuletts. Doch wie sollte sie das Amulett finden, wenn sie nicht einmal ihre Laterne finden konnte?
Während sie noch fieberhaft grübelte, wurde ihr plötzlich die Stille bewusst. Das Infernal der heulenden Winde war einer völligen Ruhe gewichen. Elema konnte das Rascheln ihrer Kleidung hören, als sie den Kopf zu allen Seiten wand und doch unfähig war, auch nur ihre Füße in der Schwärze der Eingangshalle auszumachen. Der Turm schwieg in Erwartung.
Nach einer Weile war ein leises Knirschen zu vernehmen. Das Geräusch wiederholte sich, wurde lauter und anhaltender. Bald hallte im Turm ein Kreischen wider, dass Elema die Hände auf ihre Ohren presste. Das grausige Singen von gespanntem Eisen steigerte sich zu einer Kakophonie und mündete auf ihrem Höhepunkt in einen lauten Knall. Schließlich trat wieder Ruhe ein.
Doch dann waren Schritte zu vernehmen. Leise und ohne Hast, aus den Eingeweiden des Turms. Etwas schritt die Treppe herunter. Elema überkam wieder die Panik. Links und rechts tastete sie nach einem Versteck. Doch ohne Licht und ohne Kenntnis des Raums konnte sie sich nicht einmal vorstellen, wie ein solches Versteck aussehen könnte. Starr vor Schreck musste sie auf das warten, was nun näher und immer näher kam. Der Rhythmus der Schritte änderte sich, etwas war bei ihr in der Eingangshalle. Ein Luftzug verriet, dass das Wesen nun in unmittelbarer Nähe war. Einige Herzschläge lang geschah nichts, die Dunkelheit blickte auf ihre jämmerliche Gestalt herab.
„Hat dir niemand verraten, dass man nicht in den Wald zu den Ungeheuern geht?“ Das Zischen fuhr ihr durch Mark und Bein. „Man wartet, bis eines von ihnen den Wald verlässt und man es im Lichte betrachten kann. Wenn nicht, muss man sich allen Albträumen zugleich stellen und findet nie wieder den Weg nach Haus.“ Elema erkannte das Klimpern ihres Amuletts. Und mit trockenem Knarren öffnete sich das Portal einen Spalt. Die dunklen Umrisse eines Wesens hielten auf der Schwelle der Tür noch einmal inne. „Und hüte dich. Einige von diesen Ungeheuern haben gelernt, ihre Türen zu öffnen.“ Die Gestalt war verschwunden, das Portal zugefallen und wieder setzte das Klagen der Winde ein.
(Gerücht)
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