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Durische Postille |
Estnoloth, Reichsgebiet der Karmanthi 10. Woche des 3. Jahres Gleich würden sie ihn erreicht haben. Vor Tagen schon hatten sie sich an seine Spur geheftet, und er wusste, was das bedeutete. Sie würden ihn abschlachten, vermutlich seinen Kopf abtrennen und ihn als grausige Trophäe auf einen Speer gespießt in ihre Garnison mitnehmen. Oder sie würden seinen toten Körper einfach wieder erheben, auf dass er als Teil ihres schweigenden Heerwurmes in ewiger Sklaverei für seine neuen Herren zu kämpfen hätte.
So viele Wochen, um vom heimatlichen Sashnadâr hierher zu gelangen. Und wofür? Um hier, fern der Heimat, sein Ende zu finden. Gehetzt durch die dichten Wälder Estnoloths von den Schergen der Karmanthi. Da vorne, eine Lichtung, doch welche Überraschung? Auf den zerstörten Überresten zweier großer, schwarzer Nachschubkarren, eine einzelne, schwarz verschleierte Elfe. Eine Tho’Delka? Hier?
„Was geht hier vor? Wieso jagen mich die Karmanthi?“
„Die zweite Frage kann ich Euch nicht beantworten, das können wohl nur die frevelhaften Führer des schwarzen Volkes. Die erste Frage jedoch … Was hier vorgeht, ist der Anfang vom Ende der Dynastie der Kalphagoriten. Sie haben mit ihren Handlungen ihr Ende heraufbeschworen. Setzt Euch zu mir, ein bisschen Zeit haben wir noch bis sie uns erreichen. Gemeinsam stirbt es sich besser.“
„Seit letzter Woche greifen sie offenbar jeden an, der sich in ihren Ländereien aufhält. Und nicht nur das, auch in Gebieten, die gar nicht ihnen gehören wurden alle unsere reisenden Händler, Diplomaten und Gesandten abgeschlachtet. Ich selbst konnte nur knapp entkommen, die Garnison hier hat ihre Befehle offenbar nicht schnell genug erhalten. Ich nutzte die Zeit, um mich auf unsere Weise erkenntlich zu zeigen“, dabei blickte sie auf die zerstörten Transportwägen.
„Aber dies wird Konsequenzen haben, wenn Euch das beruhigt, wir werden gerächt werden. Dieses Verbrechen der Schwarzalben war eines zu viel. Seht Euch die satten, grünen Wälder hier an, Mutter Natur hat die Karmanthi mit allem versorgt, was sie brauchen. Das hat sie dekadent und weich gemacht. Unsere Mutter, die Wüste, ist grausam. Sie gibt nur dem, der es versteht, sich zu nehmen. Wer eine Gefahr nicht erkennt, und nicht schnell und entschieden Maßnahmen dagegen ergreift, der vergeht wie ein Tropfen Wasser im heißen Sand. Eine Lektion, die unsere Brüder im Norden vergessen haben, denn anders ist es nicht zu erklären, dass die Karmanthi immer noch existieren, trotz ihrer Übergriffe auf den Bund der Alten Weisheit und Fangorien, obwohl sie ja eigentlich Teil des vielleicht stärksten Bündnisses Duriens sind.“
„Dabei sind die Karmanthi das dekadenteste und verweichlichtste Elfenvolk überhaupt. Sie haben eine derartige Angst vor dem eigenen Tod, dass sie sogar die Gebeine ihrer Ahnen erheben und für sie kämpfen lassen müssen. Wir Tho’delka werden die Verbrechen der Karmanthi jedenfalls nicht dulden. Wir werden der Gefahr ins Auge blicken, und sie neutralisieren. Sie sind diesmal an die falschen geraten, sie werden endlich den Krieg bekommen, den sie so lange schon herbeisehnen. Der Wind der Wüste wird über sie hereinbrechen wie ein Sandsturm über einen unbedarften Reisenden.“
Mit diesen Worten setzte sich die Elfe auf den Boden und begann zu singen. Ihr leises Lied schien den Wind zu bewegen, der in die Wipfel der Bäume fuhr, und ihren Gesang durch das Rascheln der Blätter begleitete. Der Gesang beruhigte den einsamen Wanderer aus Sashnadâr, und für einen Moment vergaß er, wo er war und welche Umstände ihn in diese bizarre Situation gebracht hatten.
Das letzte, das er in seinem Leben sah war ein schwarzer Pfeil im Hals der Elfe, der diesen kurzen Moment inneren Friedens jäh beendete.
Môr'Kishai Tho'delka
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