Durische Postille

Der Morgen graut über Umbra-Zar
21. Woche des 3. Jahres

Der Morgen graute über Umbra-Zar, es würde ein weiterer verregneter Tag werden, an dem kein Sonnenstrahl die dicke Wolkendecke durchdringen würde. Erschöpft von den anstrengenden Befestigungsarbeiten der letzten Wochen standen die Verteidiger des Chetonswalls in den vom Schlamm einheitlich grauen Mänteln auf ihren Posten und blickten bang in Richtung Südosten, woher bereits das Heulen der wilden Jagd des Chetons zu hören war. Nur noch knapp eine Stunde, um Gebete zu sprechen, Abschied zu nehmen, seine Gedanken in Ordnung zu bringen.

So hatte sich Klein-Belrik das nicht vorgestellt. Da würde man Teil der vielleicht größten Schlacht dieses Zeitalters werden, und anstatt blinkender Rüstungen, stolz angetretener Garden in perfekter Haltung, Glanz und Glorie, stand er, grau in grau, inmitten eines Haufens unrasierter Bewaffneter, die durchnässt gen Südosten starrten, bereit, diese seltsamen blauen Tore hinter ihnen mit ihrem Leben zu verteidigen. Oder nicht?

Da trat ein Elf in schwarzer Kleidung auf die Mauer. Er hatte ihn schon gesehen, der General der Wüstenelfen. Ein rechter Leuteschinder, aber wo immer er in den letzten Wochen aufgetaucht war, hatte der Bau des Walls bald erstaunliche Fortschritte gemacht. Sein goldenes Szepter hatte er auch wieder dabei.

Das Grüppchen Wüstenelfen, welches den General begleitete, stimmte einen seltsamen Gesang an, der ein bisschen wie das Heulen des Windes klang, nein, das Heulen des Windes war? Jedenfalls schien es so, als würden sie die Winde mit ihrer Melodie beeinflussen, und als der General seine Rede begann, waren seine Worte deutlich über das gesamte Schlachtfeld hinweg von allen Anwesenden zu vernehmen.

„Ein schwarzer Pfeil wurde abgeschossen. Ein schwarzer Pfeil, der sein Ziel nicht verfehlen wird, ein Schwarzer Pfeil, der dem Herz des Lebens selbst gilt. Wenn er trifft, wird das Herz des Lebens aufhören zu schlagen, und Durien wird sterben.

Doch dieser Pfeil kann abgefangen werden. Durch einen Wall, das Cheton aufzuhalten, einen Wall, das Leben zu schützen. Und nicht einen, nein, gleich drei Wälle haben wir in den letzten Wochen hier errichtet. Und nur einer davon muss halten, einer reicht aus, den Weg des Pfeils zu beenden.

Ich sehe einen Wall aus Stein, einen Graben, eine mächtige Mauer, errichtet aus dem Schweiß und den Mühen der Kämpfer der freien Völker Duriens. Die Steine in Umbra-Zar sind alt. Dieser Wall ist die mächtigste Verteidigungsanlage ganz Duriens.

Doch noch weit mächtiger als diese gewaltige Anlage ist der zweite Wall. Ich sehe einen Wall aus Schwertern und Speeren, einen Wall aus Pfeilen und Lanzen, einen Wall aus Schild und Wehr. Einen Wall aus gestählten Körpern und starken Armen, die bereit stehen, der wütenden Kraft des Chetons entgegenzutreten.

Und doch ist der dritte Wall der mächtigste von allen. Ich sehe einen Wall aus Willen und Zuversicht, einen Wall aus Opferbereitschaft und Kampfeslust. Keinen Fingerbreit Boden werden wir aufgeben, keinen Schritt zurückweichen von unserer Position.

Hinter uns befinden sich die Tore, welche direkt zum Herz des Lebens führen, vor uns der Schwarze Pfeil des Chetons. Mit unseren eigenen Herzen werden wir das Herz des Lebens schützen. Stehen und kämpfen, stehen und sterben, damit es weiterhin eine Heimat, ein Durien, gibt, in das man heimkehren kann.“

Die Winde über Umbra-Zar hatten ein Loch in die Wolkendecke gerissen, und die Morgensonne warf ihre Strahlen über das durchweichte Schlachtfeld. Der Kristall im Szepter des Generals brach das Licht in alle Farben des Regenbogens und erstrahlte gleich einem Leuchtfeuer über dem mächtigen Chetonswall. Ein Funken der Hoffnung wurde in die Brust aller Zeugen dieses Auftrittes gelegt, welcher die Herzen erwärmte und die versammelten Kämpfer mit Zuversicht erfüllte.

„Für Durien, Für die Heimat, Für das Leben!“

Môr'Kishai Tho'delka