Durische Postille

Die Schlacht von Vodruk
30. Woche des 4. Jahres

“Besinge mir, Gottheit, den Zorn des wogenden Feuers!”
Heldenlied von Aethoralyel Fen’Andor

Vodruk war der Name, der die Furcht in den Reisenden erweckte, denn in jener Provinz verweilte das Herz der Dunkelheit. Durch die schwer zugänglichen Pfade der näheren Umgebung pumpte die Dunkelheit ihr verdorbenes Blut in die benachbarten Provinzen: wiederliche Kreaturen, die Reisende verschlangen, die alte Siedlungen in den Staub des Vergessens verbannten und die das Fruchtbarkeit aus dem Stück Land rissen, das ihre krallenbewhrten Füße betraten - es war eine Seuche, die sich mit jedem Herzschlag weiter ausbreitete und ihr verdorbenes Adernetz über das Land warf.

Doch die Dunkelheit weilt kurz und das Licht währt lang - so erhoben sich drei Banner: Das der Elfen im Osten, die die Strahlen des Lichts in die Welt trugen; jenes der Bergalben, deren sakrale Überzeugung oft mit Sturheit verwechselt wurde und jenes der Elfen, die den Zorn der Natur in sich trugen. Diese drei Banner waren es, die tausende Schwerter, Schilder, Bögen - Leben - unter sich versammelten, die sich erhoben und den schweren Zug in das Herz der Dunkelheit antraten.
Und so kam es, dass diese drei Banner sich auf den Anhöhen von Sangrunsur trafen, dort, auf der höchsten Erhebung dieses Landstrichs. Das Banner des nördlichen Sterns war bereits in die steinige Erde getrieben worden und wehte in der sanften Brise. Davor stand Olaryd vom wogenden Feuer in die brennend roten und goldenen Farben seines Hauses gekleidet. Er ging auf Perl zu, als dieser Ankam, Ritualmeister vom Licht des Ostens, der sein Banner ebenfalls in die Erhebung von Sangrunsur stieß.
“Mein Bruder!”, begrüßte ihn Olaryd.
“Bruder!”, erwiderte Perl und sie begrüßten sich auf der Art der Elfen dieser beiden Reiche, indem sie ihre Unterarme umfassten und die Stirn des gesenkten Kopfes aneinander hielten.
Dann war das schwere Stapfen eisernen Rüstzeugs zu hören und der Bergalb Krakas Wartak kam heran, stieß mit einer Hand das Banner schräg in die Erde: “Servus. Wir sind auch schon da. Gut, dass ihr auch schon da seid. Keine Zeit, für das was auch immer ihr da tut. Wir müssen gleich weiter!”
Und so zogen die Banner vereint in die dunkle Umarmung Vodruks.

Die blasse Gestalt, deren Blässe man nicht sah, da sie sich in schwere dunkle Roben hüllte und ihr Gesicht mit der eisernen Maske einer entstellten Fratze verdeckte - diese Gestalt beugte sich über einen Ritualkreis, gezeichnet durch das vergossene Blut Unschuldiger, die während ihrer letzten Atemzüge Qualen solch vollkommener Verzückung erlitten hatten, dass sie dem Licht und all seinen sanften Vorzügen abgeschworen haben.
Die Gestalt hatte von ihren spärlich zurück kehrenden Spähern bereits gehört, dass ein Heerzug unterwegs war. Sie kümmerte sich nicht um die Banner und die Herkunft dieser Heere. Vor dem großen Verderben war ein Sterblicher wie jeder andere und wie jeder Sterbliche so würden auch diese den verlockenden Versprechen der wahren Dunkelheit erliegen, so wie es auch ihr einst ergangen war.
Der Schmerz des Dolches war ihre Belohnung, als sie ihr eigenes, schwarz-rotes Blut auf die Erde tropfen ließ. Der Ritualkreis antwortete auf dieses Opfer: Die vom Kreis eingeschlossene Erde waberde, wurde flüssig und ölige Dämpfe stiegen aus der blasenwerfenden, schwarzen Flüssigkeit auf. Unnatürlich schnell zogen die Dämpfe über Ebene und erreichten die Lager der Heere, die bald davon eingehüllt wurden. Jeder der Krieger spürte diese öligen Dämpfe: Die Luft selbst schien schwerer zu sein und behinderte jeden Schritt, sie spürten grundlosen Hass und wenn sie nicht mit anderen streiten konnten, reinigten sie ihre Klingen mit ihrem Blut.
Ein orgastische Ekstase durchzuckte die Gestalt, als sie den wachsenden Streit, die durch den Streit entflammten Kämpfe und die Verletzungen spürte, die die Verbündeten einander zufügten. Der kollosale Kopf eines Wurms senkte sich herab und fauchte.
Die Gestalt aber, von den nachbebenden Verzückungen geschüttelt, hauchte mich einer krächzenden Stimme: Nein, noch ist es nicht Zeit.
Doch es wäre Zeit gewesen, denn nun fiel ihr auf, wie etwas durch die Wolken brach.

Zuerst sahen es die Elfen von Evinor: Ein neuer Stern, der am nodöstlichen Himmel aufzuglühen schien. Doch es konnte kein Stern sein, denn das gleißende blieb kein ferner Punkt am Himmel, sondern wurde zu einem Strahl, der gegen Osten reiste. Zwei adlige Bergalben, verdieft ein ein Spiel, sahen diesen mächtigen Strahl gegen Westen reisen und lächelten wissend. Die Wüstenelfen sahen ihn am Nachthimmel vorbeiziehen und auch die Ilbeorischen und imperialen Truppen sahen diesen Strahl, der sich erst in Vodruk herab senkte und dort durch die schwarzen Wolken stieß.

Als die Befehlshaber der auseinanderfallenden Streitmacht jegliche Hoffnung verloren hatten, begann der Himmel über Vodruk zu glühen und tausende Elfen und Bergalben blickten in den von dunklen Wolken verdeckten Himmel.
Nur die drei Armeeführer blickten einander an und spürten den Funken zurück kommen. Allein die Furcht plagte sie noch, dass mehr als nur ein Bruchteil der Macht des nulfuitischen Himmelturms auf Vodruk treffen würde, denn wäre dies der Fall, würden nicht nur die Chetonwürmer und die Armeen hinweggefegt werden, sondern auch der Wächterbann.
Doch die Hoffnung wurde zur Gewissheit, als das reinigende Licht des Ostens in Vodruk aufschlug, den öligen Nebel verbannte und die blasse Gestalt sterben ließ - unbenannt und ungesehen von anderen sterblichen Augen.
In der darauf folgenden Schlacht gegen die Chetonwürmer starb nicht eine Seele.

Aethoralyel Fen’Andor