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Recht oder Unrecht? Aureolus Anlass!
Lange schon ist es her, dass die hochgeschätzte Leserschaft einen Artikel
aus des Großmeisters Hand in dieser Postille abgedruckt sah. Lange Zeit
hatte ich weder die Muße noch die innere Ruhe und das innere Gleichgewicht
meiner Lieblingsbeschäftigung nachzukommen - dem Schreiben.
Ich weilte nämlich - und dies möchte ich dem Leser nicht als causa einer
Entschuldigung anbieten oder gar darlegen - einige Zeit in Punin, der Prächtigen
Stadt am Yaquir. Oh Punin, du Zwiespältige, du Stadt der Kaufleute, der
Pferdehändler und Sattler, du heißblütige Perle am Yaquir...
Doch weilte ich in Punin nicht zu meinem Plaisir, wie sich der Leser nun
vorstellen mag! Nein, der Gildenrat der Großen Grauen Gilde des Geistes
sandte seinen Ruf weit bis in die Goldfelsen hinauf zu unserer Akademie, um
mich nach Punin zu bitten. Was mich nun dort erwartete, das will ich dem
geneigten Leser gerne getreulich berichten, da es ja ohnedies in
unmittelbarem Zusammenhang mit den Artikeln aus den letzten Ausgaben des
Opus steht.
Anfang EFFerd kam ich in Punin an und wurde sogleich von
einem adeptus maior am Westtor erwartet - dachte der wohl ich würde mich
hier in ihrer großen Stadt nicht alleine zurechtfinden und war überdies
ein ganz ungezogener junger Bursch, wie man sie bei uns auf der Akademie nur
selten und dann meist nicht lange antrifft. Zuerst war ich freilich noch
vorbei am Barnisshof und an der Maquammeile gekommen, dann führte mich mein
Weg zum Pentagrammaton, jenem dreistöckigen Gebäude aus rotem Marmor, in
dem die Academia der Hohen Magie zu Punin beheimatet ist. Da man auf diesem
Wege auch gleich am HESindetempel vorbeikommt, gedachte ich
sogleich die allweise Göttin für die kommenden Angelegenheiten um Weisheit
zu bitten und sie zu preisen - was mich beinahe schon eine disputatio mit
jenem unwilligen adeptus kostete, der meinte mich auf direktem Wege zur
Akademie führen zu müssen. Wenn ich damals schon geahnt hätte, dass mich
mein Besuch im HESindetempel so nahe an jenes schicksalhafte
Gebäude, die Schule der Juristerei, heranführen sollte, in dem ich noch
wochenlang schlaflose Nächte zu verbringen hatte, ich hätte wohl einen
anderen Weg gewählt.
In der Akademie wurde ich bereits von einigen Collegi et Collegae meines
Standes sowie dem Erzwissensbewahrer Durian von der Heydt erwartet. Man
wartete nicht einen Moment länger als nötig - hier fiel mir wieder einmal
die Hast und Eile auf, in die einen eine solche Großstadt wie Punin
versetzt - und begann sogleich mit einem conventum occultum non publicum.
Was also während dieser conversatio besprochen wurde, durfte bis zum
Abschluss des Verfahrens nicht an die Öffentlichkeit gelangen. Man hatte
mich hinzuberufen, da man sich innerhalb des Gremiums nicht einig werden
konnte und nun wohl von mir als Außenstehendem eine objektivere Sichtweise
und damit auch Entscheidung erhoffte. Die zu beurteilende Causa war die des
Magisters Aureolus Taubentanz, eines Lehrmeisters der Academia zu Punin. Wie
ich beim ersten Gespräch mit besagtem Magister herausfand, musste er wohl
elfisches Blut in den Adern haben, denn man sah ihm die leicht zugespitzten
Ohren noch an. Dieses Faktum und das seines Titels als Magister machten es
mir nicht gerade leichter, denn ich musste mich einige Tage in das Studium
der Rechtswissenschaften an der weiter oben bereits erwähnten 'Schule der
Juristerei' vertiefen.
Doch will ich den werten Leser nun nicht mehr länger im Unwissenden
belassen und ihm hiermit endlich die Auszüge aus den protokollares meiner
convocatio mit ebenjenem Magister Aureolus zur Lektüre vorlegen:
"...war ich damals - denn schließlich habe ich nun auch schon das
37. Lebensjahr erreicht - war ich also damals fest entschlossen mein Konzept
und damit gleichzeitig meinen Lebenstraum in die Tat umzusetzen. Wie in der
Magie ist es ganz im allgemeinen bei Kindern so, dass man sie zu dem zu
erziehen fähig ist, was man sich als Ziel gesteckt. Ein an unserer Academia
herangewachsener Zögling wird zu einem hervorragendem Theoretiker, er wird
den grauen Weg des Geistes niemals verlassen und er wird auch nie mehr in
seinem Leben die Fähigkeit zur Ausübung der Magie verlieren. Doch was wird
nicht alles vernachlässigt bei der Erziehung an unserer Schule! Welch
genialer Geist könnte nur heranwachsen, wenn ihm bloß die richtige
Erziehung zuteil würde!..."
"...Die Götter sagt ihr? Nein, die Götter - vor allem unsere Herrin HESinde
- haben da wenig Einfluss! Natürlich ist es so - und das weiß ja schließlich
auch jedes kleine Kind - dass die Götter uns unsere Gaben mit auf den Weg
geben, HESinde die Weisheit, RONdra den Mut...
Aber die ersten Lebensjahre eines Menschen sind dazu da, dass er sich vor
den Göttern seines Geschenkes als würdig erweist..."
"...und so habe ich mich auf die Suche nach einer geeigneten Partnerin
ad causam creationis - also zur Zeugung - gemacht. Meine Suche, die kürzer
als erwartet andauerte, führte mich in eines jener mittelständigen
Etablissements, in denen reisende Abenteurer von weit her so gerne absteigen
- nichts für eine Mann meines Standes, aber es musste nun einmal sein. Und
dies war auch der Ort, an dem ich sie fand: Ihren Namen habe ich nach all
den Jahren schon wieder vergessen, ihr Aussehen blieb mir jedoch all die
Zeit unvergesslich im Geiste eingeprägt. Sie war eine junge Elfe mit
silbrigem Haar, die Haut wie Elfenbein und die großen Katzenaugen wie
Amethyst... Nun, wie dem auch sei, ich hatte mein Anliegen rasch vorgebracht
und erstaunlicherweise schien sie kein bisschen überrascht von meinem
Ansinnen. Es schien fast, als hätte sie nichts anderes erwartet. Nun, die
Sache war schnell hinter sich gebracht und so konnte ich mich schon am nächsten
Morgen erneut meinen Studien widmen. Ich fing in den kommenden Monden an die
verschiedensten Unterweisungsmethoden bei meinen Eleven ad probandum zu
testen und protokollierte alles aufs Genaueste mit. Neun Monate blieben mir
ja noch..."
"...war also endlich der Zeitpunkt gekommen. Das Zimmer war eigens von
mir präpariert worden und auch einige Zauber aus dem Bereich der Magica
Phantasmagorica taten mir einen guten Dienst. Der Monat war HESinde,
so wie ich es vorausgeplant hatte - im Tag hatte ich mich wohl ein wenig
verrechnet, aber das sollte keine allzu große Rollen spielen. Für das
Problem der Mutterschaft hatte ich bereits einige Monde vor der Geburt eine
einfache Lösung parat: Mein Schwager, welcher beim Stadtmagistrat
arbeitete, hatte mir damals von seinem kleinen Problem erzählt, welches ihn
im Bette des öfteren überkam, und nachdem ich ihm Abhilfe verschaffen
konnte, hätte ich von ihm nahezu alles verlangen können..."
"...Der Verweis der Elfe aus der Stadt war nicht so einfach durchzuführen
gewesen, wie ich mir das gedacht hatte, schließlich hatte sie jedoch
freiwillig die Flucht angetreten und ward gen Norden in Richtung ihrer
heimatlichen Wälder verschwunden.
Nun begann der erfreuliche Teil meiner Arbeit: Ich ließ meinem Sohn die
beste aller Ausbildungen zukommen, welche man sich bloß vorstellen kann -
und das fing im Säuglingsalter an, wo das Vorlesen aus Folianten ebenso zu
einer täglichen Angewohnheit wurde wie das Vorspielen bestimmter Tonfolgen
auf einem eigens aus dem Lieblichen Feld angeschafften Instrumentarium,
dessen Handhabung ich in den Monden vor der Geburt bei Meister Niro von
Ysilienhain gar selbst, dem Schöpfer solch wunderbarer Werke wie 'Oden
an die Liebe', 'Gesänge einer reuigen Jungfrau' oder 'Musikalische
Geständnisse eines Philosophen', erlernt hatte. In den späteren Jahren
dann achtete ich immer mehr auf das eigenständige Arbeiten meines Sprösslings;
er konnte schon bald seine ersten Schritte tun, war bald darauf bereits des
Lesens mächtig und rechnete bereits im Alter von sechs Jahren!
Vielleicht mag sich nun manch besorgte Mutter fragen, wie ich das Kind denn
gestillt habe, doch auch daraus ergab sich kein Problem. Meine allerliebste
Schwester (und Frau meines mir auf ewig dankbaren Schwagers) hatte wenige
Zeit vor der Geburt meines Sprösslings einen Sohn zur Welt gebracht, der
allerdings nicht magiebegabt zu sein schien, was die Eltern sehr traurig
stimmte, hatten sie sich doch einen solchen kleinen Magus gewünscht. Nach
langen Nächten konnte ich die beiden dann endlich davon überzeugen, ihren
Sohn wegzugeben und es doch noch einmal zu versuchen - vielleicht war ihnen
TSA ja ein anderes Mal besser gesonnen. Doch durfte es nicht
sein, dass die wertvolle Muttermilch meiner Schwester, diese Gabe der Natur,
dieses Geschenk der Götter, ungenützt blieb..."
"...Der großartige Erfolg meiner nahezu schon revolutionären
Erziehungsmethodik ließ nicht lange auf sich warten: Mit 8 Jahren nahm ich
meinen Sohn zu den ersten magietheoretischen Vorlesungen mit auf die
Akademie, mit 11 Jahren hatte er bereits alle Bände der 'Enzyklopaedia
Magica' gelesen und mit 12 schrieb er seinen ersten Essay ad subjectum 'De
Causibus nodicibus'. Meine Collegi et Collegae staunten nicht schlecht
über das magietheoretische Wissen meines Sohnes - doch um wie viel mehr
waren sie alle erstaunt, als ich ihnen mitteilte, dass ich meinem Sohn die
Ausbildung in der praktischen Anwendung der Magie auch schon seit seinem 8.
Lebensjahr zukommen ließ. Denn ich meine, dass die Jahre der Vorübungen
und all der lästigen Pflichten, die ein angehender adeptus seinem
Lehrmeister zu erfüllen hat, vollkommen umsonst sind. Mein Konzept sieht
vor, dass man den Lehrling in medias res führt, will heißen ihm zugleich
theoretische als auch praktische Ausbildung zukommen lässt. Und es hatte
funktioniert: Mein Sohn konnte vom einfachen FLIM FLAM
über den BLITZ bis zum MOTORICUS
alles meistern - und magietheoretisch erklären noch dazu...."
"...Doch auch die Jahre bis zur Prüfung vergeudete ich in keinster
Weise. Das magietheoretische Wissen wurde ausgebaut, die aktive Kenntnis der
Formeln beinahe verdoppelt und inzwischen erschien auch schon monatlich ein
Artikel meines Sohnes im Salamander. Es gab an der gesamten Akademie keinen
Lehrmeister, der nicht über die Fähigkeiten meines Sohnes erstaunt gewesen
war - auch wenn diese Unwissenden alles den Göttern, ad primum HESinde
zuschrieben.
Der Tag der Prüfung war weder für ihn noch für mich etwas Besonderes - außer
dass es galt die angefangenen Studien für einen Tag ruhen zu lassen. Auch
wenn es in der Zeit davor wieder etwas ruhiger um meinen Sohn geworden war,
so waren sie doch nun alle erschienen: Meine hochverehrten Collegi et
Collegae, Ihre Spektabilität, sowie etliche angereiste magistri et
magistrae. Allen sollte zuteil werden, wie mein eigen Fleisch und Blut, wie
die Früchte meiner jahrelangen und mühevollen Arbeit erblühten, wie ein
neuer Stern am Himmelsgewölbe der Magietheorie aufging - und auch wenn sie
alle es nicht wussten, es war alleine mein Verdienst!..."
"...Langsam und gemessenen Schrittes durchmaß er den Raum, trat auf
Ihre Spektabilität zu und verharrte, den Kopf aufrecht und die Augen direkt
auf die meiner Collegi et Collegae gerichtet. Welch würdevollen Anblick er
da bot, welcher Stolz aus seiner Seele sprach! Er hatte die examinatio mit
Bravur bestanden, bei der demonstratio gar mehr Zauber als gefordert gewirkt
und bei der disputatio seine neuesten magietheoretischen Überlegungen
dargelegt. Jetzt also stand er vor dem letzten großen Schritt. Ihre
Spektabilität, Prishya Garlischgrötz von Grangor, sprach die
allesentscheidenden Worte in die Stille des altehrwürdigen Gewölbes..."
"... Seine Antwort war ein 'Ja!' gewesen. Alles nur das
nicht! Hatte er denn nichts verstanden? War alles umsonst gewesen? All die
Jahre des mühevollen Studiums, all das Streben und Lernen, das Rezitieren
der Formeln immer und immer wieder. Sollte denn alles umsonst gewesen sein?
Wie konnte er mir das nur antun? Wo ich mich doch aufgeopfert hatte für
ihn, alles perfekt gestaltet hatte! Es war wohl meine letzte Chance, denn
ein zweites Mal würde ich zu selbigem nicht mehr die Kraft haben! Wie
grausam sind doch die Götter, denn sie lassen einen hoffen, nur um im
letzten Moment doch wieder alles zu zertrümmern!..."
"...Am Heimweg noch verspotteten uns die Leute, zeigten mit dem Finger
auf uns. All die Adepten seines Jahrgangs, denen er weitaus überlegen war,
sie alle hatten es geschafft - nur er nicht. Das alles nahm mich sehr mit
und ich haderte mit mir und zweifelte an meinen Methoden - doch meine größten
Zweifel konnten das Gefühl der Scham nicht übersteigen, welches meinem
Sohne zu eigen ward in diesen Stunden, da er alleine auf seinem Zimmer saß..."
"...Als ich am nächsten Morgen dann aufwachte und nach ihm sah, da lag
er tot in seinem Zimmer, sich selbst niedergestochen mit dem eigenen Dolche,
fünf, sechs Mal in die Brust. Ich musste wohl eingeschlafen sein am Abend
zuvor, denn ich hatte von all dem nichts bemerkt, hatte nichts gehört. Nun,
vielleicht war es besser so für ihn..."
Der geneigte Leser mag sich nun vielleicht wundern, aber kein Urteil
wurde gefällt über den Magister Aureolus Taubentanz. Nicht ob der
Komplexität des Casus, nein, ob des Verschwindens des Magisters einen Tag
nach meiner conversatio mit ihm. Seitdem gilt der Magister als verschollen.
Ich aber fand auf meinem Zimmer noch eine Nachricht hinterlegt,
gezeichnet mit des Magisters Unterschrift:
"Euch, der Ihr alles getreulich aufgezeichnet und
niedergeschrieben habt, gilt mein letzter Dank und eine Bitte: Lasst alle
Leute wissen, was hier zu Punin geschehen und welch trauriges Ende all dies
nahm. Ich selbst bin - so Ihr dies lest - schon aufgebrochen, denn ich habe
mittlerweile erkannt, worin mein Fehler lag, der mich bereits zu Beginn
zweifeln ließ. Doch so, wie ich meinen zweiten Fehler beseitigt habe, so
werde ich auch meinen ersten finden und beseitigen.
Magister Aureolus Tuabentanz"
Wie man mir bei meiner Abreise aus Punin mitteilte, hat man die Spur des
abtrünnigen Magiers inzwischen aufgenommen - er soll wohl gen Norden in die
Salamandersteine gereist sein...
Großmeister Erilarion Androstaal von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 70 am 11.6.2000.
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