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Der Schwarze Limbus    

 

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Demokratie in Aventurien
Ein Gedankenspiel

von Drakmore Eolan Cardin, Magus h.c.

Initium

Demokratie ist Frevel, Demokratie ist Ketzerei. Im vom Glauben an die Zwölfgötter geprägten Aventurien ist diese von der Kirche des Praios geformte Meinung weit verbreitet, und - auch wenn es fanatische Vertreter des Prinzips der Herrschaft des Volkes gibt, die das Gegenteil behaupten - dieses Ablehnung der Demokratie ist nicht unverständlich, bedenkt man das Für und Wider der Diskussion um dieses Prinzip.

Doch jedem von den Idealen der Herrin Hesinde überzeugten Magier und Wissenschaftler kann eine derart pauschale Ablehnung nur ein Greuel sein - so zumindest empfindet der Autor dieses Werks die Haltung der Kirche des Praios bezüglich dieser Frage. Wenn auch das Endergebnis der Überlegungen, die er in diesem Dokumente vollführt mit der Ablehnung durch die Praioten durchaus übereinstimmen kann, so muss der Ansicht des Autors nach diese Haltung genau durchleuchtet und durchdacht werden. Genauso falsch wie dieser Haltung prinzipiell zuzustimmen, wäre es aber, sie prinzipiell abzulehnen.

Wenn auch absolute, unumstößliche Überzeugungen dem Autor zuwider sind, so muss doch eine solche als oberstes Prinzip festgelegt werden: Objektivität. Der Autor wird sich also bemühen, größtmögliche Neutralität in den Betrachtungen walten zu lassen. Er ist sich des Risikos bewusst, welches aus einer möglichen Zustimmung zum demokratischen Prinzip resultieren würde - in unseren dunklen Tagen ist der Tatbestand der Ketzerei schneller erfüllt als selbst Praios es lieb sein kann - doch will er das Nachsinnen wagen, um so - mit oder gegen das bestehende System - dem Wahren ein Stück näher zu kommen.

Exkurs: Definitiones

Was ist Demokratie? Mit dieser Frage muss sich ein jeder beschäftigen, bevor er über dieses Thema ernsthaft nachdenken will. Es wird wohl keine einheitliche Definition zu finden sein, welche all die unterschiedlichen Auslegungen dieses Begriffes miteinschließt, doch soll eine solche versucht werden. Wenn sie auch nicht von allen Streitenden akzeptiert werden mag, so soll sie dennoch die Grundlage für dieses Dokument sein.

Demokratie ist diejenige Form von Herrschaft, welche jedes Mitglied einer Gemeinschaft an der Regierung derselben teilhaben lässt.

Es scheint mir weiterhin wesentlich darauf einzugehen, was genau Regierung ist, dürfte sich doch an diesem Punkt eine wichtige Diskussion entzünden. Die Regierung eines Gemeinwesens besitzt Macht über die Mitgleider der Gemeinschaft. Wie groß diese ist, wie weitgehend diese Macht ist, soll an dieser Stelle offen bleiben. Fest steht eines: Eine Regierung die diesen Namen verdient kann nicht ohne Macht sein. Macht sei dieser Stelle einfach als die Möglichkeit definiert, jemanden dazu zu bewegen, etwas zu tun, was er sonst nicht getan hätte.

Primum: Formen der Demokratie

Direkte Demokratie

Welche Ausprägungen besitzt dieses Prinzip? Nun, als erstes und am einleuchtendsten mag es erscheinen, wenn Demokratie einfach bedeutet, alle Mitglieder einer Gemeinschaft sind direkt an den Entscheidungen beteiligt, die die ganze Gemeinschaft betreffen. Dies ist mit Sicherheit die direkteste Form der Demokratie.

Sie ist jedoch mit enormen Problemen versehen, denn es scheint schwer, ja schier unmöglich allen Mitgliedern einer großen Gemeinschaft ihre Verantwortung und die Folgen ihrer Entscheidung klar zu machen. Und selbst wenn sie sich dieser bewusst sind, wird es schwer sein, ohne leitendes Element zwischen all den verschiedenen Meinungen einen Konsens zu erzielen - kurzum ein Modell, welches im kleinen Rahmen durchaus seine Arbeit tun kann, jedoch mit der Organisation eins großen Dorfes schon überfordert wäre, geschweige denn jemals erfolgreich in einer Stadt oder einem ganzen Reich praktiziert werden könnte.

Herrschaft eines "kleinen" Volkes

Dies meint nicht die Herrschaft der Zwerge, sondern die Herrschaft einer Auswahl aus Mitgliedern der Gemeinschaft in Vertretung aller. Diese Erklärung macht ersichtlich, dass dieses Repräsentanten so ausgesucht werden müssen, dass sie wirklich die Interessen aller Mitglieder der Gemeinschaft vertreten. Sie müssen also diesem Gedanken nach irgendwie ernannt oder festgelegt werden, soll diese Form der Volksherrschaft ihrem Namen gerecht werden. Dies aber ist das wesentliche Problem bei jeder Diskussion der einzigen der beiden Formen von Demokratie welche in einem großen Menschenverbund funktionieren kann. Und zuvor Antworten auf diese Frage gegeben werden sollen, muss geklärt werden, welches Ziel Regieren hat.

Exkurs: Legislatio et Executio

Ein anderer Aspekt, der in dieser Betrachtung nicht vergessen werden darf, ist die Frage nach der Aufgabe oder den Aufgaben einer Regierung. Kurz gesagt lässt sich das Ziel jeden Regierens als das Erreichen eines Zustands von Glück für jedes Mitglied der Gesellschaft beschreiben. Dieses Ziel gibt der Regierung ihre Existenzberechtigung, ist es doch eines, welches nur in gemeinsamer Anstrengung erreicht werden kann und dasjenige, zu dem sich ein Volk sich überhaupt regieren lässt. Praios hat in seiner Allweisheit diese Notwendigkeit erkannt und dafür gesorgt, dass die Menschen von jemandem regiert werden. Sozusagen die Grundlage jeden Glücks ist zunächst einmal das eigene Überleben - wie wohl jeder einsehen sollte - und je besser das gestaltet werden kann, umso größer der Erfolg der Regierenden. Weitere wesentliche Bestandteile guter Führerschaft sind das Ausbleiben von Hungersnöten und Seuchen durch kluge Vorsorge und das Vermeiden von Kriegen. Sind diese Grundvorrausetzungen einmal erfüllt, geht es darum, den aus sozialer Ungleichheit resultierenden inneren Frieden zu garantieren. In dieser Funktion ist der Staat den Bürgern in Form von Gerichten und Stadtwachen am nächsten.
Bleiben wir beim Beispiel der Rechtsprechung: Hier zeigt sich, das das Wesen des Regierens zweigeteilt ist. Zum einen gibt es diejenigen, die ein Gesetz, also einen allgemeingültigen Katalog von Verhaltensnormen, kreieren. Zum anderen gibt es die volksnahen Teile der Regierung, die für die Vollstreckung des Gesetzes sorgen.
Denn ein Gesetz an sich ist nicht mit seiner Durchsetzung gleichzustellen - wie Beispiele aus der Geschichte zu zeigen vermögen - und um ebenjene zu gewährleisten, ist es die zweite Aufgabe eines Staates für die Durchsetzung der von ihm selbst festgelegten und in Gesetzen festgeschriebenen Ziele zu sorgen. Diese beiden Teile kann man wohl als Gesetzesfestlegung (legislatio) und Gesetzesdurchsetzung (executio) bezeichnen. Beide zusammen nur sind in der Lage eine funktionsfähige Führung eines Landes zu sein.

Secundum: Demokratie - ein für Aventurien passendes Modell?

Eine demokratische Regierung ist eine schwache Regierung

Wie oben gezeigt wäre die einzig praktikable Form einer Demokratie in einer Gesellschaft von der Größe eines aventurischen Volkes die indirekte Demokratie, die Herrschaft des Volkes durch seine Vertreter. Dabei sei anzumerken, dass eine solche Regierung legislatio, niemals aber executio sein könnte - eine sich selbst nach demokratischen Prinzipien organisierende Stadtwache wäre ein Vorbild einzig in Disziplinlosigkeit und Chaos, niemals aber in effizientem Erfüllen ihrer Aufgabe. Nun bedeutet aber eine Trennung von legislatio und excutio eine unglaubliche Schwächung der Regierung, könnte sich doch die executio weigern, die Gesetze der legislatio auszuführen.

Die Vertreter des Volkes müssen fähige Männer sein

Die Idee einiger demokratischer Sekten, das gesamte Volk abstimmen zu lassen, um die Volksvertreter zu bestimmen, ist extrem unklug und kurzsichtig. Der größte Teil aventurischer Menschen sind Bauern, einfache Landwirte, die seit Generationen ohne nennenswerte Schulbildung auf ihrer Scholle lebten. Ein Bauer wird einen Bauern wählen. Und wie soll eine Versammlung ungebildeter Bauern jemals über die Dinge wie Krieg und Frieden entscheiden? Die Vertreter, welche in der legislatio einer Regierung teilhaben, müssen fähige Männer sein, ansonsten ist davon auszugehen, dass sie nicht in der Lage sein werden, eine Entscheidung zu finden, die das Wohl das gesamten Volkes bewirkt.

Der Wille des Volkes ist nicht das Maß aller Dinge

Ein Problem, welches bislang noch nicht angesprochen wurde ist die Frage, ob der Wille, der in einer demokratischen Versammlung entsteht, wirklich zwangsläufig das größte Wohl aller im Auge hat, oder nicht. Ein einfaches Beispiel soll zeigen, dass dies nur der Fall ist, wenn die Volksvertreter langfristig denken und auch gewillt sind gegen den Willen der Massen der Bevölkerung zu entscheiden. Wenn in einer demokratischen Versammlung einer der Vertreter vorschlagen würde, jegliche Steuern abzuschaffen, so würde sich in der Bevölkerung bestimmt eine Mehrheit aus den Reihen ungebildeter Bauern finden, die diesen unterstützt. Würden die Repräsentanten nun einzig und allein den Willen des Volkes durchzusetzen versuchen, würden sie diesem Vorschlag zustimmen. Der weise Anführer aber wird den Vorschlag ablehnen, schadet er doch dem Volk auf lange Sicht. Der Wille des Volkes ist also nicht das Maß aller Dinge.

Demokratie verbietet Willkür

Ein demokratisches System wird niemals willkürlich herrschen, da es zur Willkür einen einzelnen oder ein kleine Gruppe Gleichgesinnter braucht. Gefahren in solcher Hinsicht bestehen einzig darin, dass ein Teil der Exekutive sich über die legislatio erheben könnte und dann mit seiner Macht fern von allen Gesetzen herrschen.

Beratung erbringt bessere Ergebnisse als alleiniges Entscheiden

Dies setzt voraus, dass die Beratenden sich kollegial verhalten, alle grundsätzlich das gleiche Ziel haben und bereit sind , auch Kompromisse einzugehen. Ist eine solche Gestalt bei einer Versammlung gegeben, wird sie mit Sicherheit sachlich bessere Entscheidungen treffen als ein Einzelner es kann.

Tertium: Conclusio

Ich denke, die wesentlichen Punkte bei einer Betrachtung des demokratischen Prinzips getroffen zu haben. Auch kommen die im zweiten Teil geäußerten Zusammenhänge zu einem recht eindeutigen Ergebnis: Kollegiale Beratung in den Entscheidungen JA, Demokratie NEIN.

Das Prinzip der Demokratie ist aus den geschilderten Gründen unpassend für die aventurische Realität. Fromme Wünsche von einer Gleichstellung aller mit freien Wahlen für alle oder einer allgemeinen Volksbildung sind im Aventurien, wie wir es kennen, zwar vielleicht lobenswert und langfristig erstrebenswert, doch im Moment sind solche Vorstellungen noch Zukunftsmusik. Und auf solchen - (noch) nicht vorhandenen - Tatsachen ein Herrschaftsprinzip wie die Demokratie zu konstruieren ist nicht sinnvoll.

Wohl aber kann bei kritischer Betrachtung festgestellt werden, dass einige der Vorteile wie sie die Demokratie verspricht schon in Reichweite unserer Generation sind. Es liegt also an uns, dies zu erkennen und in die Tat umzusetzen.

Letzteres wird versucht im Staat Arkania, in dem die Herrschaft nicht auf einzelne begrenzt ist, sondern versucht wird, im Rat der Stadt kollegiale Momente - ähnlich wie in den drei Magiergilden - einzubauen. Geherrscht wird über das Erreichen eines Konsens, da jeder sich seiner Pflicht bewusst ist, das Wohl der Stadt an oberste Stelle zu setzen. Dies ist allerdings nur deshalb möglich, weil von oberster Instanz in der executio die Auswahl der Ratsmitglieder sehr genau kontrolliert wird und auch der Rat insgesamt bemüht ist, seine Reihen mit fähigen Männern zu füllen.

Keine Demokratie also, sondern eine Herrschaft der dazu Fähigen. Diese positive Formulierung soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies noch immer ein Experiment ist und es ist nicht klar, wohin es führen mag und was das Ergebnis sein wird.

·F·I·N·I·S·

Erschienen in Opus no. 80 am 29.10.2000.
Zu diesem Artikel erschienen folgende Reaktionen oder Fortsetzungen: Commentarius zu "Demokratie in Aventurien", Commentarius zu "Demokratie in Aventurien", Demokratie, Commentariolus ad reactionem oratoris de "Demokratie in Aventurien".

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