Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

 

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Über das elfische `Wipfelläufer-Sein´

Beitrag sich auf den Artikel von Magus Travian Norfold
über die Magie der Elfen beziehend

von Maga Inara Thorban

Die ehrwürdigen Gelehrten mögen verzeihen, dass ich hier meine unbedeutenden Erfahrungen einer Begegnung in meiner Heimatakademie in Donnerbach zur in diesem Periodicum angesprochenen sehr interessanten Thematik der elfischen Magie einem kurzen Beitrag zugrunde lege, doch hege ich die Hoffnung, dass ich mit dieser Schrift in allem bescheidenen Anspruch den Tractatus des Magus Travian Norfold durch einige spezielle Details ergänzen und vielleicht zu noch besserer Anschauung bringen kann.

Es trug sich zu, 1006 Jahre nach dem Falle Bosparans, ich war gerade in den Status der Adepta Major an der Akademie zu Donnerbach getreten, dass eine Halbelfe, etwa so alt wie ich selbst, damals für einige Monate an unserer Akademie weilte. Sie war bei einer Auelfensippe aufgewachsen, hatte diese aber vor wenigen Jahren verlassen um, wie sie sagte, die Menschenwelt und die Magie der Menschen kennenzulernen. Ihr elfischer Name war Elleara Schatten-in-Blättern, doch von uns Menschen wollte sie Andra, die Jägerin, genannt werden.
Obwohl sie eine Halbelfe und bei Auelfen aufgewachsen war, beherrschte sie doch den in den Kreisen der Gildenmagie weitgehend unbekannten Waldelfenzauber ÜBER WIPFEL, ÜBER KLEE ICH WIE ÜBER ERDE GEH, ein Zauber, der es dem Elfen erlaubt, sich behende und sicher durch das Geäst eines Baumes zu bewegen und auch über sehr dünne Äste zu laufen, außerordentlich gut, ebenso auch alle anderen Zauber, die in Verbindung mit diesem einen `Wipfelläufer´, so etwa bezeichnete sie sich selbst, ausmachen (nicht alle dieser Formeln mögen den werten Collegae geläufig sein, und auch ich musste einiges Studium aufwenden um die folgenden aus Andras Worten zu extrahieren): CHAMAELIONI MIMIKRY; SPURLOS, TRITTLOS, FÄHRTENLOS; AXXELERATUS BLITZGESCHWIND; MOVIMENTO DAUERLAUF; ADLERAUG UND LUCHSENOHR und HASELBUSCH UND GINSTERKRAUT, da sie in ihrer Jugendzeit bei einem Waldelfen in der Lehre gewesen war.
Ich möchte hier ausgehend von den damaligen Gesprächen mit Andra über elfische Magie und besonders anhand ihrer Bemerkungen zu ihrem `Wipfelläufer-Sein´ versuchen zu veranschaulichen, in welchem Zusammenhang die Zauber, die ein Elf `beherrscht´, mit ihm selbst stehen, wodurch sich ein Bild der elfischen Magie ergibt, das die theoretischen Ausführungen von Magister Norfold sowohl bestätigen als auch ergänzen mag.

Die Gildenmagie würde dem Wipfelläufer bestimmte Zauber zuordnen, weil diese ihn in seiner Fähigkeit durch den ÜBER WIPFEL ergänzen. Ich lernte aber in meinen Gesprächen mit Andra, dass es im Zusammenkommen dieser Zauber als `Fertigkeiten´ eines Elfen, die ihn zum Wipfelläufer machen, nicht so sehr um eine Ansammlung von zusätzlichen nützlichen Fähigkeiten zur Ergänzung des `Hauptzaubers´ ÜBER WIPFEL geht, sondern um den Ausdruck einer bestimmten Wesensart und einer spezifischen Art, mit der Welt in Kontakt zu treten. Ich bin überzeugt, dass man bei jedem Elfen finden würde, dass die Zauber, die er beherrscht, von seinem Wesen untrennbar sind - dass sie also über ihn selbst etwas aussagen und wiederum für sein Wesen ausschlaggebend sind. Die Wesenszauber eines Elfen sind nicht etwa einfach nach Zweckmäßigkeit zusammengestellt, sondern bilden in ihm, mit ihm, mit seinem Leben und seinem Wesen eine Einheit. Wir Magier wählen jene Zauber, die wir erlernen, meist nach Zweckmäßigkeit, Notwendigkeit, wissenschaftlichem Interesse oder geleitet durch Machtwillen, aber niemals lässt sich diese Wahl mit der Art und Weise vergleichen, wie ein Elf zu seinen Wesenszaubern findet. Dies ist vielmehr ein Hineinwachsen in etwas, das in dem Elfen von Geburt an angelegt ist, und somit sind diese Zauber mit seinem Wesen und seinem Schicksal verwoben. 
Außerdem bedeutet dies, dass ein Elfenzauber als Spruch in seinem Gewirkt-Werden und seiner Wirkung niemals eine einheitliche Form besitzt, sondern sich sowohl von Elf zu Elf als auch von Situation zu Situation stark unterscheidet. Deshalb ist es nicht nur vermessen anzunehmen, mit unserer Festlegung einer Beschreibung eines Elfenzaubers in Wirkungsart und Wirkungsweise könnten wir tatsächlich etwas Ähnliches über den Zauber aussagen wie über unsere gildenmagischen Sprüche mit eben diesen Mitteln; letztendlich stellt sich sogar die Frage, ob dies im konkreten Fall überhaupt noch etwas mit dem zu tun hat, was durch den und mit dem Elfen geschieht, wenn er jenen Zauber webt, oder ob unsere Bestimmung desselben nicht nur ein leeres Abstraktum ist.

Andra beschrieb mir, dass das, was bei einem Elfen passiert, wenn er den ÜBER WIPFEL webt, so dass wir Menschen sehen, dass der Elf plötzlich in der Lage ist, an Baumstämmen hoch und über dünnste Äste zu laufen, nicht bedeutet, dass der Elf kurzzeitig eine bestimmte Fähigkeit dazugewinnt, sondern dass er in einen besonderen Kontakt mit dem Wald tritt. `Besonders´ heißt jedoch nicht `völlig andersartig´ als der normale Kontakt, den ein Waldelf zu seiner Umgebung hat. Wäre nicht die Fähigkeit, eine solche Einheit mit dem Organismus Wald einzugehen, wie dies beim Wirken des ÜBER WIPFEL geschieht, schon von Geburt an im Wesen des Elfen und seiner Art zu leben und mit seiner Umgebung in Kontakt zu treten, angelegt, könnte er einen solchen Zauber niemals erlernen. 
Hätte nicht Andra, wie sie mir erzählte, sich schon von jeher zu Bäumen hingezogen gefühlt, hätte es nicht ihrem Wesen entsprochen, stundenlang still auf einem Baum zu sitzen und sich mit ihm in Einfühlung zu bringen, hätte es ihr nicht von jeher Freude bereitet, sich behende und flink durch Wald und Busch zu bewegen, aber ohne in den Rhythmus dieser Lebensformen einzubrechen, sondern in dem Bedürfnis, zu diesen gehören zu wollen und sie mit allen Sinnen zu erfahren, das heißt, sich selbst mit dem Wald in Einklang zu bringen und diesen wiederum auf ihr eigenes Wesen wirken zu lassen - sie hätte niemals die Fähigkeiten einer Wipfelläuferin erwerben können. Dieses `sich selbst in Einklang mit etwas bringen´ ist vielleicht nicht nur schon das Wichtigste, was wir Menschen über das sagen können, was das Wesen des Elfen mit dem verbindet, das durch diese Verbindung zum `Gegenstand´ seines Wesenszaubers wird - für Andra wäre also alles, was man über ihr Wesen in Bezug auf den Wald und die Bäume sagen könnte, auch schon fast alles, was man zur Beschreibung ihres Wirkens des ÜBER WIPFEL braucht. Zudem beschreibt `sich selbst in Einklang mit etwas bringen´ die Art und Weise des elfischen `Zauberns´ insgesamt.
Außerdem kann man in dieser kurzen, natürlich im Grunde sehr unzulänglichen Beschreibung sehen, dass hier auch andere Zauber angelegt sind, nämlich die oben bereits erwähnten, die, wie es nun einleuchtend sein sollte, nicht separat, also für sich und unabhängig vom Wesen der Elfe zu betrachten sind. Der Zauber ADLERAUG UND LUCHSENOHR lässt sich zwar nicht unmittelbar aus diesem Zusammenhang ersehen, wenn man jedoch bedenkt, dass ein Wipfelläufer nicht nur in seinen Bewegungen eine besondere Einheit mit dem Wald eingeht, sondern auch mit seinen Sinnen, sieht man, dass auch dieser Zauber zu dem Wipfelläufersein dazugehört - gerade weil er sich eben nicht auf die von Gildenmagiern für diesen Zauber bestimmte und für einen Elfen sehr abstrakte Wirkungsweise des `Sinneschärfens´ reduzieren lässt, sondern immer nur in Verbindung mit dem Wesen des Elfen und der Umgebung, in der jener sich befindet und einen Zauber wirkt, betrachtet werden kann.
Die genannte Aufzählung verführt dazu, diese Zauber wiederum als eigenständige `Sprüche´ zu betrachten; nach den Erzählungen von Andra möchte ich jedoch behaupten, dass es für einen Elfen gar keine klare Trennung, keine klaren Grenzen zwischen seinen Wesenszaubern gibt. Für einen menschlichen Beobachter stellt es zwar einen Unterschied dar, ob ein Elf sich sicher und leichtfüßig durch das Geäst eines Baumes bewegt (ÜBER WIPFEL), ob er auf seinem Weg durch den Wald keine Spuren hinterlässt (SPURLOS, TRITTLOS) oder ob er stillstehend mit seiner Umgebung verschmilzt (CHAMAELIONI MIMIKRY) - schon allein, weil wir das eine der Bewegungsmagie und das andere der Illusionsmagie zuordnen -, für einen Elfen ist das Verbindende dieser Situationen - das Eingehen einer intensiven Einheit mit dem Organismus Wald - jedoch viel wichtiger als das trennende Moment von Bewegung oder Stillstehen. (Insgesamt wäre es vielleicht angebracht, von den gildenmagischen Magieklassifikationen für Elfenzauber abzusehen. Eher scheint es mir sinnvoll, sich solchen elfischen Wesenszauber-Verbindungen in Bezug auf die Elemente zu nähern, wobei bei Andra unübersehbar eine deutliche Affinität zum Element Humus zu finden ist, wie bei einem typischen Firnelfen zum Element Eis oder bei einem Auelfen mit dem Wesenszauber IN SEE UND FLUSS, der das Atmen unter Wasser erlaubt, zu dem Element Wasser.) 

Ich hoffe, ich konnte mit diesen kurzen Ausführungen den verehrten Collegae die elfische Magie etwas vorstellbarer machen und ein Gefühl für die Besonderheit und Verschiedenheit des Umgangs der Elfen mit und ihrer Beziehung zu den astralen Kräften vermitteln, was letztenendes wieder die M. Norfold und M.ex. Windfeder gemeinsame These vertritt und bestätigt, dass wir die Elfenmagie nicht einfach mit unseren gildenmagischen Augen betrachten können, wenn wir ihr gerecht werden wollen, sondern uns stärker auf diese fremde Kultur einlassen müssen, als es unser altbewährtes gildenmagisches Denken nahelegt oder sogar zulässt.

Inara Thorban,
Seminar der elfischen Verständigung zu Donnerbach

Erschienen in Opus no. 92 am 21.1.2001 als Reaktion oder Fortsetzung zu Versuch einer allgemeinen Betrachtung der Magie der Elfen.

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