Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

 

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Einführung in die Wissenschaft der Magie

Dieser Artikel erscheint in Angedenken an den ehemaligen Großmeister der Academia Limbologica, Erilarion Androstaal, der zum Jahreswechsel das Amt des Akademieleiters niederlegte und die Akademie verließ.

Gestrengen Blickes schreitet Großmeister Erilarion Androstaal durch den hohen Säulengang der Akademie. An ihm vorbei eilen zwei Scolaren, offensichtlich darum bemüht, früher als der Großmeister im großen Vorlesungssaal einzutreffen. Auch am Eingang zum großen Lehrsaal tummeln sich einige junge Studiosi, die beim Herannahen des Großmeisters allesamt rasch in den Saal eilen. Doch Erilarions Gedanken weilen an einem anderen Ort und so nimmt er all dies nicht wahr.
Es wird wohl das letzte Mal sein, dass er die neuen Studiosi als Großmeister an der Akademie begrüßt. In Zukunft wird das ein anderer übernehmen müssen, jemand, der würdig ist seine Nachfolge anzutreten, jemand, der die große und ehrvolle Tradition dieser Akademie weiterzuführen vermag.
Seine Entscheidung hatte der Großmeister bereits vor geraumer Zeit getroffen - und vor wenigen Wochen hatte er seinen Entschluss sogar einigen Lehrmeistern mitgeteilt. Auf diese würde eine Unmenge an Arbeit zukommen, das wusste er bereits. Der gesamte Lehrplan der Academia Limbologica musste umgestellt werden, auch wenn Erilarion dies nicht gerne sah. Seit Punin seine Entscheidung bezüglich des Verbots der limbologischen Zauber, nämlich des AUGE DES LIMBUS sowie des PLANASTRALE, bekannt gegeben hatte, widersprach der gesamte Lehrbetrieb an der Akademie in den Goldfelsen den Gesetzen der Gilde. Wollte man die Chance auf Beitritt zur Großen Grauen Gilde des Geistes wahren, musste schnellstmöglich gehandelt werden. Erilarion wusste, dass einige Lehrmeister sich nur allzu gerne mit Punin überworfen hätten, vor allem Meister Achmed hielt nicht viel von den "Stubenhockern aus Punin", wie er sie immer nannte; doch ein solches Vorgehen kam für den Großmeister nicht in Frage! In welcher Weise die Lehrplanänderung vonstatten gehen sollte, ob eine komplette Neuorientierung oder nur eine teilweise Umstrukturierung, das wusste natürlich auch er nicht zu sagen; doch das war schließlich die Aufgabe der Lehrmeister der Akademie - und die des neuen Großmeisters.
Inzwischen ist es still geworden im großen Vorlesungssaal. Erilarion hat das Rednerpult erreicht und betrachtet nun die neuen Studiosi. Was die wenigsten wissen, ist für ihn schon eine sich jährlich wiederholende Routine-Handlung: Er sieht jedem der neuen Scolari streng und fest in die Augen -  und erwartet ihre Reaktion, die bei nahezu allen angehenden Magiern stets gleich ausfällt. Sie wenden den Blick ab, neigen den Kopf oder sehen sich nervös im ganzen Raum um. Nur einmal, vor etwa zehn Jahren, hielt ein Studiosus dem Blick des Großmeisters stand; sein Name: Eborëus. Er wurde zum Lieblingsschüler Erilarions und schloss als einziger seines Jahrganges summa cum laude ab. Doch dieses Mal fallen die Reaktionen wie gehabt aus.
Der Großmeister wendet sich enttäuscht ab und lässt seinen Blick auf den Stapel an handbeschriebenem Pergament fallen, der da vor ihm auf dem Rednerpult liegt. "Einführung in die Wissenschaft der Magie", steht da geschrieben. Kopfschütteln legt Erilarion den Stapel Pergament zur Seite. Wozu denn? Er kennt diese Unterlagen nach mehreren Jahrzehnten der Lehrtätigkeit ohnehin auswendig.

"Seid mir willkommen, Studiosi - ihr nach Wissen Strebende, wie das Wort sich dem des Bosparano Kundigen schon selbst erklärt.
Da ihr von euren Tutoren bereits in das allgemeine Prozedere hier eingewiesen wurdet, setze ich dieses als bekannt voraus und will nun gleich mit der "Einführung in die Wissenschaft der Magie" beginnen:
Mit dieser Vorlesung, welche die erste und wichtigste unter allen ist, will ich euch einen hortativen, also anregenden, und nicht dozierenden Zugang zur Wissenschaft der Magie eröffnen. Dabei ist mir besonders eines wichtig: Die Wissenschaftlichkeit von Magie. Denn das, was man im gemeinen Volk über die magischen Künste, die artes magicae, hört, ist nichts weiter als unreflektiertes und damit unwissenschaftliches Gefasel über Intuition und Spekulation. Erst im Lichte der Wissenschaften wird die Magie zu einer wahren Kunst, zu einer ars vera. Und erst, wenn ihr die Magie wissenschaftlich erklärt und verstanden habt, erst dann könnt ihr euch auch an die intuitive sowie spekulative Magie anderer Völker, anderer Zauberkundiger wagen. Erklären und Verstehen - das sind zwei grundlegende, fundamentale Begriffe in der Wissenschaft. Beides könnt ihr nur mit Hilfe der Wissenschaften. Und noch ein drittes braucht ihr: Legitimieren. Legitimieren vor anderen, legitimieren aber auch vor euch selbst und vor allem vor den Göttern, allen voran der Herrin HESinde.
Denn wie schon Rohal der Weise sagte: 'Die Magie ist keine Lehre, sondern eine Tätigkeit!' Nicht nur, dass ihr als angehende Magier selbstständig tätig seid, was euch in die Position bringt zu erklären, zu verstehen und zu legitimieren, nein, auch die magische Tradition ist insofern tätig, als sie miteinander diskutiert, sich gegenseitig Denkanstöße, Streit- und Kritikpunkt liefert, Fragen beantwortet - obwohl dies in den seltensten Fällen geschieht - Fragen stellt und Antworten befragt.
Ihr sollt dieses ungeheure Potential an Gemeinsamkeiten, aber auch an Widersprüchen der Wissenschaft der Magie nachvollziehen lernen, indem ihr einigen der besten Magier bei ihrer Tätigkeit und ihrem Wirken, in erster Linier dem Nachdenken, dem Schreiben und dem Reden, erst später dann auch der praktischen Anwendung, sozusagen über die Schulter blickt. Da jedoch in eurer Ausbildung niemals Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden kann, so wie dies überhaupt alleine den Göttern vorbehalten bleibt, bleibt es auch euch überlassen Leerstellen mitzudenken und argumentierend und insbesondere weiterlesend auszufüllen.
Was ist nun aber Magie? Was sie sei und vor allem was sie wert sei, ist umstritten. Man erwartet von ihr oftmals außerordentliche Aufschlüsse oder lässt sie als gegenstandsloses Denken weniger Auserwählter gleichgültig beiseite. Man sieht sie mit Scheu als das bedeutende Bemühen ungewöhnlicher Menschen oder verachtet sie als überflüssiges Laster. Man hält sie für eine Sache, die jedermann und jederfrau angeht, da sie ganz Dere durchströmt, und daher im Grunde einfach und verstehbar sein müsse, oder man hält sie für so schwierig, dass es hoffnungslos sei, sich mit ihr zu beschäftigen. Was unter dem Namen der Magie auftritt, liefert in der Tat Beispiele für so entgegengesetzte Beurteilungen.
Für den gemeinen Menschen ist das Schlimmste, dass die Magie gar keine allgemeingültigen Ergebnisse hat, die man nachzuprüfen imstande wäre, etwas, das alle wissen und damit besitzen können. Während andere Wissenschaften auf ihren Gebieten gewisse und allgemein anerkannte Erkenntnisse gewonnen haben, hat die Wissenschaft der Magie trotz der Bemühungen eines Rohal und vieler anderer ihren Status als Geheim-, als Pseudo- oder gar als verbotene Wissenschaft nie ganz ablegen können.
Und dennoch: Der Magie ist nicht zu entrinnen! Es fragt sich nur, ob sie bewusst wird oder nicht, ob sie gut oder schlecht, verworren oder klar wird. Und genau dies ist und bleibt Aufgabe der Wissenschaft der Magie."
Erwartungsvoll blickt Großmeister Erilarion in die gespannten Gesichter der jungen Scolaren - er weiß, nicht einmal gut der Hälfte von ihnen hat sich der ganze Sinn seiner Worte erschlossen, doch diese fehlende Erkenntnis würde sich schon noch früh genug einstellen. Deshalb hatte der Großmeister auch vor einigen Jahren eine durchaus sinnvolle Idee gehabt, wie er befand. Nach jedem Capitulum ordnete er eine kurze Pause an, in der die Studiosi Zeit hatten das soeben Gehörte noch einmal zu überdenken und zu reflektieren. Und diese Methode hatte auch nicht seine Wirkung verfehlt, denn fragte der Großmeister in früheren Jahren, ob es irgendwelche unbeantworteten Fragen gäbe, so blieben die Hände der Studiosi zumeist unten; fragte er hingegen jetzt, nach der kurzen Pause, so musste er oftmals unzählige Missverständnisse und Unklarheiten aufklären, bevor er mit seinem Vortrag fortfahren konnte.

"Nachdem also nun alle Fragen beantwortet sind, können wir fortfahren:
Nachdem wir nun geklärt haben, was und wozu Magie bzw. die Wissenschaft der Magie ist, kommen wir nun zu den magiohermetischen Terminologien. Diese sind allesamt nachzulesen in dem Werk mit ebenjenem Titel, herausgegeben und publiziert von der Academia Limbologica im Jahre 27 Hal. (in der Bibliothek einzusehen) Und unter 'nachlesen' versteht man im wissenschaftlichen Bereich das Studieren! Das heißt, dass mir ein jeder von euch diese Terminologien in- und auswendig kann bis zum..."
Erilarion überlegte kurz: Wie hatte ihn diese niederhöllisch lange Liste an Definitionen doch geplagt, damals als er noch ein Studiosus war...
"...sagen wir bis in vier Wochen.
Doch bevor ihr euch daran macht euch mit dieser überaus interessanten Materie zu beschäftigen, noch einige Grundbegriffe der wissenschaftlichen Terminologie.
Ad primum wäre da die Hypothese zu nennen. Eine hypothesis ist eine Annahme, welche sich auf noch nicht untersuchte Fakten bezieht, korrigierbar sein sollte, eine implikative Form aufzuweisen, also eine 'wenn-dann'-Beziehung darzustellen hat, eine gewisse Allgemeingültigkeit haben sollte sowie gehaltvoll sein muss.
Ad secundum gibt es ein Gesetz, immer gemeint ein wissenschaftliches Gesetz. Dieses sollte schon eine größere Wahrheitsnähe aufweisen als die Hypothese, universell und ebenfalls gehaltvoll sein, eine implikative Form aufweisen, sich bereits bewährt haben, trotzdem falsifizierbar sein, eine systematische Form haben und sich auf objektive Sachverhalte beziehen.
Und schlussendlich et ad tertium: eine Theorie. Dies ist ein System von Gesetzen und Hypothesen, das jedoch keine inneren Widersprüche enthalten darf, dessen Axiome, also Grundbegriffe, voneinander unabhängig sein müssen und das semantisch geschlossen sein muss, ergo einem Gegenstandsbereich der Forschung angehören muss.
Nebenbei möchte ich auch kurz die Metatheorien erwähnt wissen, welche Theorien über Theorien sind."
Eher leise und mehr an sich selbst gewandt meint der Großmeister: "Manchen ach so gescheiten Collegi et Collegae würde es gewiss nicht schaden, würden sie  dieses capitulum ebenfalls wieder einmal gewissenhaft studieren..."
Dann wendet er sich wieder an alle Anwesenden: "Studiosi, es kann kein Fehler sein, sich die letzten Ausgaben des Opus veritatis scientiæque zu Gemüte zu führen und die dort angeführten Theorien, Hypothesen und Gesetze auf genau diese Bedingungen hin anzusehen. Ich möchte, dass ihr mir alle die Ergebnisse eurer Untersuchungen das nächste Mal in schriftlicher Form mitbringt - das wird höchst interessant werden."
Kurz scheint ein schelmisches Lächeln um die Lippen des Großmeisters zu spielen, das jedoch sofort wieder verschwindet.
"Was ihr also in dem Werk 'magiohermetische Terminologien' finden werdet sind definitiones aus dem Bereich der Magia. Es gibt jedoch einige wichtige Bedingungen für korrekte Definitionen, die ihr wissen solltet:
Primo: Die definitio hat die Bedeutung des zu definierenden Begriffs widerzugeben.
Secundo: Die definitio darf nicht zirkulär sein, d.h. das Definiendum, das zu definierende also, darf nicht im definiens vorkommen.
Tertio: Das definiendum muss durch das definiens ersetzbar sein, ohne dass sich im Kontext eine wesentliche Bedeutungsverschiebung ergibt - dies nennt man auch die Eliminierbarkeit.
Die wichtigsten Arten von Definitionen sind:
I die explizite Definition - definiendum und definiens sind durch ein Definitionszeichen voneinander getrennt, z.B.: 'A=B',
II die implizite Definition - der zu definierende Ausdruck ist Teil eines bedeutungserläuternden Satzes, z.B.: 'Eine Norm ist entweder ein Verbot, ein Gebot oder eine Erlaubnis.',
III die rekursive Definition - Definition durch Aufzählung, z.B.: 'Die Menge Z bestehe aus 0, 1, 2, 3,...'
Gerüstet mit diesem Hintergrundwissen könnt ihr euch fleißig an das Studium der magiohermetischen Terminologien machen.
Nur eines fehlt euch noch, nämlich die Fähigkeit zu argumentieren, Dispute zu führen; denn damit verbringt - und da spreche ich aus leidvoller Erfahrung - ein studierter Magus die meiste Zeit, mit dem diskutieren, disputieren und argumentieren, und das zumeist nicht einmal in Fachkreisen, sondern vor einem ungebildeten und uneinsichtigen Publikum. Darum seien euch hiermit noch die häufigsten Argumentationsfehler kundgetan, auf dass ihr sie vermeidet und bei euren Gesprächspartnern sogleich erkennen könnt:
I Bloße Behauptung - eine bestimmte Position bloß darzulegen genügt nicht um andere davon zu überzeugen, Gründe müssen angeführt werden.
II Petitio principii oder Zirkel - man setzt, meist stillschweigend, voraus, was man beweisen möchte, z.B.: Ein gewisser Magus möchte jemanden, beispielsweise euch Scolaren, davon überzeugen Novadi zu sein und damit an Rastullah zu glauben und führt dabei Rastullahs 99 Gesetze an, so wäre dies ein unzulässiges Argument, denn auf jemanden, der nicht Novadi ist, haben auch die 99 Gesetze keine überzeugende Wirkung.
III Unklare Konklusionen - schwierig ist es der Argumentation von jemandem zu folgen, der seine Schlussfolgerungen nie ganz klar und eindeutig darlegt und seine Position immer wieder leicht ändert. Die Konsequenzen einer Position sind klar darzulegen, auch auf die Gefahr hin, dass sie dann leichter widerlegt werden können.
IV Bedeutungswechsel wichtiger Begriffe - problematisch ist es auch in einem Argument einen Begriff in unterschiedlichen Bedeutungen zu verwenden.
V Argumentum ad misericordiam - dabei handelt es sich um ein Argument, in dessen Prämissen Fakten angeführt werden, deren Schilderungen geeignet sind Mitleid oder Sympathiegefühle hervorzurufen.
VI Tu quoque-Argument - ein Vorwurf gegen eine oder mehrere Personen soll dadurch entkräftet werden, dass man darauf verweist, dass ebenjener Vorwurf auch auf den Vorwerfenden bzw. andere Personen zutreffen könnte.
VII Argumentum ad baculum - es enthält in einer oder in mehreren Prämissen die Androhung von Gewalt, wobei es sich allerdings keinesfalls um physische Gewalt handeln muss.
VIII Ad hominem-Argument - der Fehler liegt hierbei darin, dass man nicht Argumente gegen die Position einbringt, die ein Mensch vertritt, sondern gegen die Person, die diese Position erstmals vertreten hat.
Hierzu und zum Abschluss meines Vortrags noch ein berühmtes Beispiel, eine Aussage des G.C.E. Galotta:

'Wenn nicht die Magier in den Reichen Könige werden oder die Könige und Herrscher echte und gute Magier und wenn nicht in eine Hand zusammenfallen politische Macht und Magie, und wenn nicht die Vielzahl derer, die sich heute aufgrund ihrer Anlage nur der einen der zwei Aufgaben widmen, mit Gewalt davon ferngehalten wird, gibt es kein Ende des Unglücks und der Ungerechtigkeit in den Reichen, ja nicht einmal im ganzen Menschengeschlecht, und Unsere Verfassung, die Wir nun in Gedanken entworfen haben, wird nicht früher verwirklicht. Das ist das Wissen, welches mir zuteil wurde.'

Nun denn, Studiosi, macht euch an die Arbeit!"

von: Philipp Schumacher
Erschienen in Opus no. 93 am 28.1.2001.

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