Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

 

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Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral'

Vorwort

Auszüge aus dem gleichnamigen Kollektan
aller der Rohalszeit entstammenden Bände 
der 'Gespräche Rohals des Weisen' 
in freier Transkription, 
verfasst in der Sprache des Volkes, 
getätigt durch Lizentiatus Vitus Ehrwald,
Abgänger der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis,
so geschehen im Jahre 2515 Horas zu Gareth 
mit gnädiger Unterstützung des Pentagontempels 
der Herrin Hesinde

Quid faciemus nos? - Was sollen wir tun?

Selbst 500 Götterläufe nach der Entstehung der 'Gespräche Rohals des Weisen' scheint diese Frage den kulturschaffenden Völkern Aventuriens nach wie vor ungeklärt. Die Götter haben uns die Vernunft geschenkt und uns damit in die Verantwortung gesetzt, all unser Handeln vor uns selbst und anderen zu legitimieren. Doch Glaube, Tradition und weltliches Recht geben uns eine Vielzahl von Handlungsweisen vor, denen zu folgen oftmals nicht bloß eine Sache des guten Willens, sondern häufig auch eine der rechten Entscheidung ist, denn allzu oft scheint uns durch das eine geboten, was das andere verbietet. 

Der himmlischen Kriegsherrin Rondra gilt der Kampf als ehrenhaft, doch die junge Göttin Tsa gemahnt uns, den Frieden zu wahren. Travia, die Göttin des Herdfeuers, spricht in ihren Lehren von Treue und Sittsamkeit, die schöne Göttin Rahja hingegen lobt den freimütigen Genuss. Phex, der Listenreiche, preist Humor als eine Tugend, doch wer nach den Lehren des schweigsamen Boron lebt, wird statt dessen seine Erfüllung in ernsthaftem Schweigen suchen. Der nicht weniger ernste Firun bringt uns Kälte, Eis und Schnee, doch solange er herrscht, ist es uns nicht möglich, im Sinne der gütigen Peraine Ackerbau zu betreiben. Der launenhafte Efferd heißt uns, unter den Elementen das Wasser zu ehren, Feuer jedoch zu meiden; sein göttlicher Bruder Ingerimm lehrt uns das genaue Gegenteil. Die allwissende Herrin Hesinde schließlich zeigt sich erfreut über unseren Umgang mit Magie, welche der Götterfürst Praios mit Bann und Geringschätzung belegt.

Dies sind nur einige Beispiele, welche aufzeigen sollen, wie oft wir uns in unser aller Leben für die Lehren des einen, damit jedoch gleichzeitig auch gegen die Gebote mindestens eines anderen der Zwölfe entscheiden. Auf die Konflikte, welche sich zudem mit den Weltanschauungen und Religionen anderer Kulturen ergeben (man könnte hier viele Völker, so etwa die Nivesen, Novadis, Maraskaner und Waldmenschen, ja sogar fremde Rassen wie Zwerge und Elfen als Beispiele heranziehen), soll an dieser Stelle erst gar nicht eingegangen werden. So sehr wir auch mit all unseren Kräften danach streben mögen, nie wird es uns gelingen, alle Gebote der Götter mit gleicher Strenge und Inbrunst zu befolgen, denn zu unterschiedlich ist selbst die Einheit der Zwölfe in ihren Lehren, als dass dieses Ziel jemals für uns erreichbar wäre.

Bedenkt man nun, dass auch die Fürsten unseres Kontinents, welchen es obliegt, für ihre Herrschaftsgebiete weltliches Recht zu schaffen, nicht ohne derartige Glaubensentscheidungen auskommen, und nimmt man hinzu, welch mannigfaltige, altehrwürdige Traditionen innerhalb der verschiedenen Kulturkreise vielleicht zusätzlichen Einfluss auf das Verhalten einer Gemeinschaft ausüben, so wird offensichtlich, wie schwer es ist, in unserem Leben nicht fortwährend gegen weltliches Recht, öffentliche Moral oder gar göttliche Lehren zu verstoßen, und es stellt sich die Frage, ob es uns unter diesen Bedingungen überhaupt möglich sein kann, in geistiger Einigkeit ein wahrhaft göttergefälliges Leben zu führen, das es wert ist, gelebt zu werden.

Die Moralphilosophie Rohals des Weisen

Die Antwort auf diese Frage ist jedoch seit langem schon gegeben, und niemand anderer zeigte sie uns auf als der große Rohal selbst, auch genannt der Weise. Rohal hält ein göttergefälliges Leben durchaus für möglich, und vor allem hält er es für unser aller Pflicht, ein solches Leben anzustreben. Als Weg zu diesem Ziel benennt er die wahrhafte Ethik, welche er als den Weg der goldenen Mitte bezeichnet, der nicht versucht, gezielt die Lehren eines einzelnen Gottes zu befolgen, sondern keinem der Zwölfe ernstlich zu missfallen.

Rohals moralphilosophische Lehre geht von dem Grundgedanken aus, dass das der göttlichen Schöpfung entstammende Leben mit all seinen mannigfaltigen Facetten vor Göttern wie vor Sterblichen das höchste Gut ist, welches man in unserer Sphäre wird finden können. Die kulturschaffenden Völker setzt er in die Pflicht, diesen Wert zu erkennen, sich ihrer Verantwortung gegenüber allem Lebenden bewusst zu werden und sich aktiv für dessen Erhalt und Förderung einzusetzen.

Für Rohal liegt der nicht weiter zu hinterfragende Endzweck des Lebens im Streben nach Glück, für das wir, wann immer wir es erfahren, dankbar sein sollten, denn es ist mitnichten selbstverständlich. Darum sollen wir uns um möglichst intensive Freude am Leben für uns und alle anderen Lebewesen der zwölfgöttlichen Schöpfung bemühen, Schmerz und Leid jedoch in jeglicher Form zu vermeiden trachten. Dies schaffen wir, indem wir uns vom gedankenlosen Dahinleben frei machen und uns stetig darin üben, andere bewusst so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen - nicht jedoch, wie wir selbst von ihnen behandelt werden, denn dies würde das gegenwärtige Unrecht in der Welt nur erhalten, statt es zu beseitigen.

Der Weise warnt uns davor, nur das als unsere Ethik anzuerkennen, was sich leicht erreichen lässt, statt das erreichen zu wollen, was wahrhafte Ethik ist. Auch die schüchterne Furcht, angesichts der eigenen, ethischen Ideale von anderen als schwach und sentimental belächelt zu werden, lässt er nicht als Entschuldigung für ein verfehltes Leben gelten. Damit erklärt Rohal die Ethik zur ersten und höchsten Herausforderung in unser aller Leben, an der allein wir unseren wahren Wert vor Göttern und Menschen beweisen können.

Das Ergebnis dieses simplen Ansatzes ist ein vollständiges, moralphilosophisches System, welches uns unregelmäßig verteilt auf die 21 Bände der 'Gespräche Rohals des Weisen' überliefert wurde und nahezu alle Fragen der Sittlichkeit und Moral beantwortet, seien es nun solche nach ewiger Wahrheit, dem Ursprung des Bösen, der richtigen Erziehung, wirklichem Glück, dem Umgang mit Tugenden, dem Wesen der Liebe, einem göttergefälligen Recht, wahrhaftem Heldentum oder gar dem Sinn des Lebens. Ein halbes Jahrtausend hat der Bedeutung dieses Werkes nichts anhaben können, doch die Zahl derer, die Zugang zu diesem Wissen haben, ist noch immer sehr klein. Dies zu ändern und zu einem göttergefälligeren Miteinander aller vernünftigen Wesen Deres beizutragen, soll Intention und Ziel dieser Kolumne sein, welche ab der nächsten Ausgabe des Opus veritatis scientiæque wöchentlich erscheinen und über mehrere Götternamen hinweg die Moralphilosophie Rohals des Weisen ausführlich vorstellen wird.

Von dem Zustandekommen dieser Artikelreihe

Die 'Gespräche Rohals des Weisen' entstanden, wie allgemein bekannt sein dürfte, durch die Mitschrift von Aussprüchen des großen Philosophen, welche seine Schüler im Laufe mehrerer Generationen in Form einer lediglich chronologisch geordneten Sammlung von Zitaten in der Sprache der Gelehrten anfertigten. Wer jedoch meint, dies hätte zu einer nandusgefälligen Verbreitung dieser wertvollen Lehrinhalte auszureichen vermocht, irrt sich sehr, denn wie schon Rohal sagte: 

'Die Menschen scheinen zuweilen zu glauben, dass das Teilen von Wissen oder ethischen Erkenntnissen dem Teilen eines Kuchens gleichkomme, von dem einem selbst weniger bleibt, je mehr man davon abzugeben bereit ist. Das Gegenteil jedoch ist der Fall, denn eine Kerze, welche ihr Licht an eine andere weitergibt, wird darum selbst ja nicht erlöschen, gleichwohl ihr Anteil an der Helligkeit geringer werden wird und man ihr darum weniger Beachtung beimessen mag. Euch jedoch soll es nicht um die eigene Flamme, sondern um das Licht als solches gehen, denn alles andere wäre nichts als bloße Eitelkeit.'

Aufgrund dieser weisen Worte fasste ich den Entschluss, den moralphilosophischen Inhalt der 'Gespräche Rohals des Weisen' einer möglichst breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen, auf dass diese gehaltvolle Botschaft gleichsam als Sauerteig in der Gesinnung der Welt endlich aufgehen und ihre segensreiche Wirkung entfalten kann. In den vergangenen Monaten wurde es mir ermöglicht, die Originale der 'Gespräche Rohals des Weisen' im Pentagontempel der Hesinde zu Gareth einzusehen, die dort niedergeschriebenen Zitate thematisch neu zu ordnen, in freier Transkription in die Sprache des Volkes zu übertragen und somit schließlich einen eigenständigen, moralphilosophischen Sonderband über Ethik und Moral aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen' zu extrahieren. 

Dieser neue Kollektan der Sittlichkeit ist in einem dem Original sehr ähnlichen Stil verfasst und zeichnet sich dadurch aus, dass er nicht nur die wichtigsten Aussprüche des großen Rohal betreffend Sittlichkeit und Moral enthält, sondern darüber hinaus diese in einer leicht verständlichen Form und inhaltlichen Abfolge präsentiert, die dem Leser das Verständnis erleichtern, Zusammenhänge zwischen den einzelnen Gedankengängen verdeutlichen und die Lektüre zu einem ebenso anregenden wie kurzweiligen Leseerlebnis machen soll, ohne dafür jedoch einen ungebührlich hohen Preis an geistreichem Gehalt oder Authentizität gegenüber dem Original zu entrichten.

Mit dem erklärten Ziel, zu einer möglichst weiten Verbreitung der ethischen Lehren Rohals des Weisen beizutragen, wandte ich mich Anfang diesen Jahres an die Redaktion des Opus veritatis scientiæque, wo man meinen Vorschlag, den von mir angefertigten Text in dieser Postille zu veröffentlichen, mit großer Begeisterung aufnahm. Alsdann trat ich in beidseitig äußerst produktive Verhandlungen mit Adeptus Maior Eborëus Zachariad, mit welchem ich sehr schnell darüber einig wurde, den von mir zusammengestellten Kollektan zukünftig allwöchentlich als regelmäßige Kolumne in nicht zu umfangreichen, in sich geschlossenen und in ihrer Abfolge systematisch geordneten Lektionen der Leserschaft dieses Blattes zugänglich zu machen. Gleichwohl es sich bei diesen Inhalten nicht um solche arkaner Natur handelt, hoffen wir doch, mit der Präsentation dieser Artikelserie gemäß dem Interesse der Leserschaft des Opus veritatis scientiæque zu handeln und möglichst vielen Lesern dieses für uns alle so bedeutsame Thema näher bringen zu können.

Anmerkungen zu Inhalt und Auslegung

Ich möchte an dieser Stelle noch einmal vorwegnehmend darauf hinweisen, dass es sich bei den in dieser Kolumne präsentierten Positionen um eine neu systematisierte, freie Übersetzung von Mitschriften verschiedener Dritter handelt, welche sich wiederum ausschließlich auf mündliche Äußerungen Rohals des Weisen stützen. Für einen uneingeschränkt hohen Grad an Authentizität bezogen auf Rohals tatsächliche philosophische Sichtweise der behandelten Themen kann ich euch, werte Leser, daher keine Garantie geben, sondern mich lediglich als Herausgeber dafür verbürgen, beim Erstellen dieses Textes nach besten Kräften sorgfältige, wissenschaftliche Arbeit geleistet zu haben.

Des weiteren bin ich mir bewusst, dass nichts unphilosophischer sein könnte, als auf irgendeinem Gebiet unumstößlich von einer Sichtweise überzeugt oder dogmatisch zu sein. Ich muss jedoch zugeben, dass die in dieser Artikelreihe präsentierte Darstellung die Sache der Moralphilosophie in ein so helles Licht rückt, dass ich gegenwärtig von keiner Theorie, die ich aus Überlegung und Argumenten gewinnen könnte, überzeugter sein kann als von dieser, und wann immer ich in einer heiklen Lage nicht sicher weiß, was zu tun ist, frage ich mich, wie Rohal nach seiner eigenen Lehre an meiner Stelle wohl gehandelt hätte. Nichtsdestotrotz ist dies nur meine persönliche Sichtweise und erfolge daher noch einmal der prophylaktische Hinweis, dass es sich bei dieser Artikelreihe ähnlich dem Original, aus welchem sie hervorgegangen ist, im Grunde um historische Dokumente handelt, welche nicht vollkommen losgelöst von ihrem geschichtlichen Kontext und dem politischen, religiösen wie kulturellen Standpunkt ihres Verfassers interpretiert werden sollten. Ohne Zweifel hat das Werk auch heute noch uneingeschränkte Gültigkeit, doch will es lediglich die philosophische Position eines großen Mannes der aventurischen Geschichte wiedergeben, keinesfalls jedoch den Anspruch erheben, ewige Wahrheiten zu formulieren, obgleich die Autorität des großen Rohal solches nahe legen mag.

In Ergänzung dazu sei angemerkt, dass die systematisierende Übersetzung eines Kollektans aus einzelnen, ungeordneten Sinnsprüchen in eine andere Sprache niemals die literarische Qualität einer fließend niedergeschriebenen Novelle erreichen kann und den Übersetzer darüber hinaus recht häufig zu sprachlichen Kompromissen zwingt, welche ich bitte, mir an dieser Stelle wohlwollend nachzusehen. Als Beispiel sei hier stellvertretend für viele andere die Verwendung der Begriffe 'Mensch' und 'Menschheit' genannt, welche in dieser Artikelserie nahezu ausschließlich als simplifizierende Umschreibungen zu verstehen sind und im eigentlichen Sinne einzelne, vernunftbegabte Wesen mit der Fähigkeit zum Mitgefühl, beziehungsweise den Oberbegriff über all diese Wesen bezeichnen sollen. Rohals Moralphilosophie ist also durchaus universal zu verstehen und lässt sich nicht nur auf Menschen, sondern auf alle kulturschaffenden Rassen und Völker mit der gleichen Berechtigung anwenden.

Anmerkungen und Kritik zu dieser Artikelreihe, welche über die genannten Punkte hinausgehen, bitte ich, direkt an mich zu richten. Sie werden - soweit möglich - persönliche Beantwortung finden und gegebenenfalls im Anschluss an die vollständige Veröffentlichung des Textes in dieser Postille neu zur Diskussion gestellt werden, wenn bei allen Lesern die vollständige Kenntnis des zu diskutierenden Gegenstandes vorausgesetzt werden kann. In Übereinstimmung mit der Redaktion des Opus veritatis scientiæque wurde jedoch beschlossen, eine inhaltliche Diskussion der hier präsentierten Moralphilosophie in diesem Blatt erst nach deren vollständiger Veröffentlichung zuzulassen, um dem Text die Möglichkeit zu geben, eventuell auftauchende Fragen an anderer Stelle selbst zu beantworten.

Danksagung

Schließen möchte ich dieses einleitende Vorwort mit einer Danksagung an all jene, ohne die dieses ehrgeizige Projekt sich niemals hätte verwirklichen lassen. Mein besonderer Dank gilt den Geweihten des Pentagontempels der Hesinde zu Gareth, welche mir die Abschrift der 'Gespräche Rohals des Weisen' und deren Veröffentlichung als eigenständigen Kollektan überhaupt erst möglich gemacht haben. Ich danke dem Curriculum scientiae limbologicae, besonders Adeptus Maior Eborëus Zachariad, welcher auf die vorbereitende Korrespondenz mit mir viel Zeit verwendet hat, für die Möglichkeit, mein Werk in dieser Postille zu veröffentlichen. Meinem Dienstherrn Satu Drudner schulde ich Dank für mannigfaltige Unterstützung jedweder Art, sei es nun in Form zeitlicher Freistellung, finanzieller Förderung oder inspirierender Gespräche. Dem Geweihten des Nandus Lucianus Spiritus, sowie dem Gelehrten Emano Nebelweiher danke ich für ihre kompetenten Rezensionen meines Werkes, welche mir stets ein wichtiger Antrieb waren. Nicht unerwähnt bleiben sollen an dieser Stelle auch die Seelenheilerin Leodane Spinosa und der Rechtsgelehrte Doctor Abelmir Plantanego, welche ebenfalls großen Einfluss auf die Entstehung meines Werkes genommen haben. Ich danke fürderhin der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis, besonders der Fakultät für göttliches und menschliches Recht, wo man mich zum ersten Male mit den Schriften Rohals des Weisen bekannt machte, und meinem Mentor, dem Hesindegeweihten Voltan, den die Fertigstellung meines Werkes sicherlich mit Stolz erfüllt hätte, so er sie noch hätte erleben dürfen.

Lizentiatus Vitus Ehrwald
Abgänger der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis

Erschienen in Opus no. 100 am 18.3.2001.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (I.).

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