Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

 

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Die Dämonischen Zwänge des Menschen

verfasst von
Melcher Dante von Angbar,
Doctores der Noionitischen Künste

veröffentlicht im Travia des Jahres 1023 nach den Fall des Vieltürmigen Bosparan

Wenn wir dieser Tage unseren Blick nach Osten wenden und das Leid und die Frevel sehen, die in der besetzten und zu rettenden Heimat des tobrischen Volkes geschehen, so kann sich uns nur eine Frage aufdrängen: Was befähigt ein vernunftbegabte Wesen dazu, voller Verachtung gegenüber der Schöpfung und seinem kostbarstem Gut, sogar mit Freude und Inbrunst, seine Seele in den gierigen Schlund der Niederhöllen zu schleudern? Wie kann es gar der Religion einer Kirche folgen, die ein Wahnsinniger geschaffen hat? Wieso schändet es seinen Körper in den niederträchtigen Gewaltorgien einer dekadenten Gemeinschaft und empfindet dabei Lust?
Diese Fragen lassen nur einen Schluss zu: Der Mensch ist im Innersten seines Wesens verdorben und von einem dämonischem Zwang getrieben.
Diese Thesis mag auf den ersten Blick gewagt erscheinen, wahrscheinlich gar frevlerisch. Erstes stimmt, zweites mitnichten. Doch bevor man über uns ein Urteil fällt, das der Sache nicht gerecht wird, wollen wir uns erklären.
Ausgang sind die oben gestellten Fragen. Schlechte Menschen hat es immer gegeben, doch gerade in den letzten Jahren seit Beginn der borbaradianischen Invasion werden wir gezwungen, das Böse, das uns umgibt, auch wirklich wahrzunehmen. Wir befinden uns in einer Zeit, in der wir nicht mehr wegsehen können. Das dämonische Gift hat Form angenommen und ist präsenter als je zuvor in der Geschichte. Und leisten wir uns doch manches Mal den Luxus, uns der Illusion hinzugeben, dass die Schwarzen Lande auf einem anderen Kontinent liegen und unendlich weit weg von unserer Heimat – die lauernde Angst, dass es unser Umfeld ebenso treffen mag wie die Länder im Osten, ist damit nicht abzuwehren.
Doch es scheint wirklich erst einen alle Gesetze brechenden Halbgott gebraucht zu haben, um uns vor Augen zu führen, wie präsent das Böse wirklich ist. Wie oft haben wir finstere Schwarzmagier für Erfindungen der Märchenerzähler oder für ferne Schrecken abgetan. Aber nun müssen wir erkennen, dass Nachbarn, engste Vertraute, ja wir selber nicht gänzlich gegen die Versuchungen der Siebtsphärigen gefeit sind.
Und erst als ganze Reiche entstehen, in denen die Widersacher der Götter in blutigen und perversen Ritualen gehuldigt werden, in denen die Namen der Zwölfe verboten sind und in denen ein gefallener Alveraniar oberste Staatsgottheit ist – erst jetzt erkennen wir und versuchen verzweifelt diese unwirkliche Unverständlichkeit zu begreifen.
Dämonenverehrung ist keine Krankheit einzelner, sondern etwas, dessen Ursache in dem Wesen eines jeden einzelnen von uns verwurzelt ist.
"Wie kann dies sein?", mögen jetzt Rufe erklingen. Die Götter haben uns geschaffen und Sumus Atem erfüllt unseren Leib. Man sollte annehmen, dass diese Umstände eine feste Mauer um unser Sein errichten, die kein Flüstern dämonischer Versuchungen durchlässt.
Es gibt aber eine Fuge in der dichten Mauer, eine Hintertür, zu der die Erzdämonen einen Schlüssel besitzen, der ihnen überreicht wurde von dem größten aller Frevler.

Die Kirchen und ihr wichtigstes Werk, die Annalen des Götteralters, lehren uns folgendes:
"Als die Schöpfung vollendet war, hielten die Götter in Alveran Rat und sprachen: 'Wir wollen einen von unserer Art erschaffen, und er soll Menschen heißen.' Darauf stiegen sie hinab und kamen im Tempel des Lebens im Herz der Dritten Sphäre zusammen. Schwer stieg der Atem SUMUs empor, und manche Kreatur wartete auf ihre Entstehung. Doch um den Menschen zu machen, brauchte es mehr als schiere Lebenskraft. HESinde sammelte die sechs Elemente und fügte sie im Ebenmaß zusammen, zum reinsten aller Stoffe, dem Stein der Weisen, und er war groß wie ein Monolith."
Ein jeder der Zwölfe trat daraufhin vor und sprach, wie des Menschen Wesen aus seiner Sicht sein sollte. Doch ob der Gegensätzlichkeit der Vorstellungen zersprang der Stein der Weisen in Myriaden von Splittern. Und ein jedes Wesen, das von einem dieser Splitter berührt wurde, lernte die Kultur.
Dies erscheint uns - mit Verlaub - eine eher vereinfachte Darstellung der wahren Begebenheiten zu sein. Denn könnte unser begrenzter Geist die Schöpfung begreifen? Wohl kaum. Dennoch stellt diese Legende einen wichtigen Umstand dar, auf den wir uns im Folgenden berufen möchten.
Wir halten es für unbestreitbar, dass während der Schöpfung der sterblichen Rassen, zu denen wir nun mal auch zu zählen sind, ein jeder Gott einen Funken seiner selbst dem Wesen der Sterblichen beifügte. Was darauf entstanden ist, ist in seiner Gesamtheit so unterschiedlich wie die Götter untereinander. Dies schafft eine unnennbare Vielfalt und schafft Völker der Individuen, die einander nicht gleichen. Denn danach, welche Funken am hellsten glimmen, entwickelt sich der Mensch.
Dass diese innere Widersprüchlichkeit aber nicht nur individuelle Kreativität schafft, sondern aufgrund der Gegensätzlichkeit auch der Ursprung seelischer Leiden sein kann, sei an dieser Stelle nur der Vollständigkeit halber erwähnt, zumal dieser Umstand unserem gelehrten Collegae bewusst ist.
Worauf wir hinaus möchten, ist eine viel entscheidendere Sache, auf die sich die gesamte These stützen wird. Mythologisch ist die Schöpfung der sterblichen Rassen zwischen dem Mysterium von Kha und dem Sturz des Namenlosen zu setzen. Das wird zwar in dem oben aufgeführtem Werk anders dargestellt, zumal dort explizit die Zwölfgöttern als Beteiligte an der Schöpfung aufgeführt werden, allerdings scheint mir jene Darstellung dem Gesamtbild zuwiderzulaufen.
Der ohne Namen hat sich - so die Geschichtsschreibung - von den Sterblichen verehren lassen. Daraus folgern wir, dass sein Sturz, seine Rache und seine Bannung nach der Schöpfung geschehen sind. Damit ist er - und dies ist der wichtigste Umstand - während der Schöpfung ein freier Gott gewesen.
Was spricht nun dagegen, dass der Namenlose von seinem Recht Gebrauch gemacht hat und während der Schöpfung auch seinen göttlichen Funken in das Wesen der Sterblichen hat einfließen lassen? Nichts, denn so ist es geschehen, auch wenn diese Erkenntnis einen jeden rechten Glauben Schreckliches befürchten lässt.
Denn dies ist das Wesen der Funken: Sie sind Verbindungen zwischen des Gottes und unserem Sein. Durch sie werden wir von dem Geist der Gottheit inspiriert. Sie machen uns empfänglich für die göttlichen Gaben.
Wem der Gedanke nun ungeheuerlich scheint, dass unser Sein in einer Verbindung mit dem Namenlosen steht, der mag noch folgendes weiter bedenken: Der Namenlose ist der größte Frevler der Geschichte gewesen, sein Hass war und ist gewaltig und jede Vorstellung übersteigend. Er hat sich freiwillig gegen die Schöpfung gewandt, als er ein Bündnis schloss mit dem Dämonensultan. Und um den nach der Vernichtung allen Seins trachtenden Heerscharen seines dämonischen Verbündeten den Weg zu ebnen, schlug er letztendlich gar eine Bresche in den schützenden Sternenwall – eine Tat, von der sich die Welt bis heute nicht erholt hat. Zwar wurde er in jene Leere zwischen den Sternen gekettet, aber seitdem steht den Dämonen der Weg in unsere Welt frei.
Doch können wir sagen, ob das Bündnis nicht noch viel mehr beinhaltete? Der Namenlose öffnete den Dämonen nicht nur ein Tor in unsere Welt, sondern auch in unseren Geist. Denn wie jeder Gott besitzt er Zugang zu dem Wesen der Sterblichen und jenen Zugang zeigte er auch den Kreaturen der Niederhöllen.
Das Bündnis ist schon seit Urzeiten gebrochen. Doch wie die Sternenleere schlagen die Schandtaten jener Zeit bis heute hohe Wellen. So wie der Namenlose seinen Funken nutzt, um die Menschen vom rechten Glauben zu bringen, so nutzen ihn die Dämonen, um uns mit ihren Einflüsterungen zu verderben.
Und eines dürfen wir nicht außer Acht lassen: Auch wenn es ein erschreckender und jede Hoffnung zermalmender Gedanke ist, so ist es unleugbar, dass der Namenlose der mächtigste unter den Göttern ist.

Wer diesen Gedanken folgen kann, der begreift das gesamte, erschütternde Ausmaß unserer Lage. Der Funke des Namenlosen leuchtet hell und nur die Gesamtheit der anderen Funken kann ihn bändigen. Wenn diese Funken der Zwölfe aber nicht gefestigt werden durch einen starken Glauben, dann werden sie verglimmen gegenüber dem einen.
Und mit dem einen kommen auch jene anderen jenseits des Sternenwalls in unser Wesen und vergiften es. Langsam, aber unaufhaltsam ist ihr Einfluss, der uns mit unerbittlicher Sicherheit in die Verdammnis reißt.
Darin finden wir die Antwort auf die eingangs gestellten Fragen. Dämonische und namenlose Zwänge treiben ständig unser Wesen an. Wenn ihr Wirken erfolgreich ist, dann wenden wir uns ab von aller Ordnung und folgen einem Wahnsinnigen, der die dämonischen Irrhalken auf seine Staatsflagge zeichnet.

Es gibt nur zwei Möglichkeiten, den Zwängen zu entgehen: Eine zwölfgöttliche Erziehung und eine fundierte Bildung.
Die Gründe sind offensichtlich. Eine Erziehung im Sinne der Zwölfgötter fördert die Funken eben jener. Nur so ist die Grundlage im späteren Leben gegeben, einen Widerstand gegen die dämonischen Zwänge aufzubauen. Zudem lehren uns die Unterweisungen der zwölfgöttlichen Kirchen, die Zwänge, die uns die Erzdämonen einflüstern, gefällig zu sublimieren. Wenn die Herrin der Schwarzfaulen Lust in uns unzulässige Triebe regt, dann können wir sie mit Hilfe Rahjas umwandeln. Aus brutalem Nehmen wird eine berauschende, gegenseitige Erfahrung. Praios Gesetze helfen uns, einen Schuldigen gerecht zu bestrafen, ohne in rachsüchtigem Zorn womöglich einen Unschuldigen zu lynchen.
Wenn wie im Moghulat Oron offen der Dekadenz gehuldigt wird, dann lässt sich die Ursache darin finden, dass jene Menschen keine entsprechende Erziehung genossen haben, die ihnen geholfen hätte, den finstren Einflüsterungen zu widerstehen.
Die zweite Säule zur Rettung unserer Seele ist die Bildung. Sie greift dort auf, wo die Erziehung endet. Sie dient dazu, das, was in der kirchlichen Unterweisung begonnen wurde, zu festigen.
Bildung muss uns nicht nur lernen, wie man liest, schreibt und rechnet. Dies verblasst in unseren heutigen Zeiten schon fast zur Nebensächlichkeit. Bildung muss uns lehren, zu unterscheiden. Nicht immer sind die Umtriebe der Dämonen offensichtlich. Diese müssen wir aber erkennen können, um sie zu packen und mitsamt ihrer fauligen Wurzel herauszureißen, auf dass sie nicht weiter die Welt mit ihren Lügen vergiften!
Bildung muss uns befähigen, in größeren Maßstäben zu denken. Wenn wir nur das Offensichtliche sehen und nicht die Strukturen begreifen, die sich dahinter verbergen, dann werden wir blind einem jeden Führer folgen, auch wenn er uns am Ende von den Klippen stürzt. Aber wir sind keine Lemminge, sondern die Götter haben uns einen freien Willen gegeben.
Diesen zu nutzen hilft, den dämonischen Zwängen entgegenzuwirken. Denn das ist, was uns die Kirche die Phex im Prinzip lehrt: Eine individuelle Autonomie in einem zwölfgöttergefälligem Rahmen zu schaffen. Wohl bemerkt, wir sprechen hier nicht von einer von den Kirchen losgelösten, völligen Unabhängigkeit, denn dies würde wie oben genannt, zur gleichsamen Schwächung auch der zwölfgöttlichen Funken führen. Zudem hieß es, die Macht der Zwölfe leugnen, und dies bringt uns wiederum in die Gefahr dämonischer Zwänge, von denen wir uns eigentlich zu lösen gedachten.

Jetzt mögen manche an dieser Stelle Zweifel an unserer These zum Ausdruck bringen. Das am meisten gehörte sogenannte Gegenbeispiel ist das der gefallenen Geweihten, von denen wir in den letzten Jahren leider allzu oft vernehmen mussten. Schließlich haben diese Geweihten wie kaum jemand anderes eine sehr intensive zwölfgöttliche Unterweisung erhalten und gleichsam bewegen sie sich auf einem hohen Bildungsstandard.
Wir möchten nun aufführen, warum dies keineswegs unsere These stürzt, sondern sie auch noch untermauert. Wie erwähnt, sprechen wir von Bildung nicht im Sinne einer funktionalen Unterweisung. Es geht nicht darum, möglichst viele Sprachen sprechen zu können, ein kreativer Bastler zu sein oder viel aus fernen Ländern zu wissen. Wir sprechen von einem formalen Bildungsverständnis, das dem Gebildeten vor allem lehrt, abstrakt zu denken. Nicht nur einen weiten Horizont besitzen, sondern die Strukturen innerhalb dieses Horizontes auch zu begreifen.
Als Beispiel möchten wir Gareth verwenden. Wenn man sich innerhalb der Straßen bewegt, dann gibt es nur diese eine Straße. Man sieht hier und dort mal eine Abzweigung, aber dies war es auch. Das ist, was sogar ein ungebildeter Bauer begreift. Aber auch viele angeblich gebildete Menschen bewegen sich auf diesem Niveau.
Blickt man nun auf eine Stadtkarte von Gareth, dann erkennt man plötzlich, dass diese eine Straße nur Teil eines gewaltigen Geflechtes ist. Ein kleiner Ausschnitt eines großen Gesamtwerkes, das in seiner Gesamtheit un-endlich komplizierter ist als ein Spinnennetz. Und Gareth ist nur ein vereinfachtes Beispiel für die Wirklichkeit.
Das erste, das einen gefallenen Geweihten auszeichnet, ist, dass er nicht diese abstrakten Konstrukte erfassen kann. Er ist zwar in funktionaler Sicht gebildet, sieht sich selbst aber hilflos in dem Netz gesellschaftlicher und überderischer Verwicklungen (vor allem im zweiten ist er stark involviert) – ein Ausbruch daraus ist für ihn in seiner überforderten Situation der einzige Ausweg und dies ist, worauf die Dämonischen warten. Diese Gelegenheit - oft zusammen mit der zweiten, noch folgenden und meist auch daraus resultierenden - ergreifen die Frevler der Schöpfung und wenden den Geweihten als Mittel der Zwölfe zur Wahrung der Ordnung gegen eben diese.
Das zweite, das einen gefallenen Geweihten auszeichnet, ist der verlorene Glauben. Durch ein bestimmtes Ereignis verliert der Mensch seinen Glauben an die Götter und an die von ihnen geschaffene Welt. Dies kann auch bei noch so gründlicher Erziehung passieren. Es ist oft ein Resultat der oben aufgeführten mangelnden Bildung, dass der Mensch - in diesem Falle der Geweihte -  mangels eines vorhandenen Schuldigen - oder aber aufgrund der Unfähigkeit, die eigene Schuld einzugestehen - die Götter als Verursacher sieht. Auch hier greifen die Erzdämonen auf und die Folgen sind fatal.
Damit wird deutlich, dass ein gefallener Geweihter keineswegs gegen unsere These spricht, sondern die Wichtigkeit einer neuen Bildung noch unterstützt!

Der Funke des Namenlosen ist machtvoll und er strahlt hell. Nur wenn die Gesamtheit der anderen Funken sowie der Glaube und der Wille zur Selbstverwirklichung des Menschen innerhalb des gegebenen Rahmens gestärkt werden, kann dem Dreizehnten die Stirn geboten werden. Das Fundament dazu muss in der Erziehung gelegt und mittels eines neuen Bildungsverständnisses gestärkt werden.
Das ist es, wofür wir einstehen.


Melcher Dante von Angbar wurde 987 BF in der Nähe von Angbar in einfachen Verhältnissen geboren. Er ging in Angbar in Lehre und absolvierte dort auch seinen Abschluss als Doctor der noionitischen Künste. Nach langen Jahren auf Reisen trat er 1020 BF als Akoluth den Noioniten bei und arbeitete bis zum Jahr 1023 BF in dem Kloster in Perricum. Danach eröffnete er eine Praxis in Gareth. Vor kurzem, im Boron des Jahres 1024 BF hat er allerdings Gareth wieder verlassen und ist an die nordtobrische Front gezogen.

von: Michael Masberg
Erschienen in Opus no. 122 am 24.9.2001.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Contrathese zu "Die Dämonischen Zwänge des Menschen".

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