Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

 

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Die Psychologie des Chimärs II

Vor zwei Wochen berichtete ich euch, wie ich zu diesem Wesen kam, welches sich als Bär-Mensch-Mischwesen identifizierte. Ebenso berichtete ich euch über die körperlichen Zustände, die ich vorfand: ein unvollkommenes Wesen, sicherlich nicht das gewünschte Produkt. Lange überlegte ich, wie ich meine Erkenntnisse am Besten darstellen könnte. Ich entschied mich dafür, die Aufzeichnungen meines Tagebuchs auszugsweise abzudrucken um die spontanen Erregungen meiner selbst sowie den chronologischen Ablauf am besten darzustellen.

27. Rondra
Das Wesen ist erwacht, immer noch sehr schläfrig und abwesend läuft es geduckt in seiner Zelle herum. Ich habe beschlossen dem Wesen einen Namen zu geben um es nicht immer als Wesen und Ding bezeichnen zu müssen.

28. Rondra
Ich habe mich entschlossen das Wesen Tsadan zu nennen. Es damit unter den Schutz der Jungen Göttin zu stellen erschien mir eine gute Idee. Tsadan zeichnet sich im Moment durch einen großen Hunger aus den er durch ungeschliffene Grunz- und Brülllaute zu Ausdruck bringt. Scheinbar hat es in seiner Bewusstlosigkeit Vorräte verbraucht die es jetzt wieder auffüllt.

29. Rondra
Tsadan bevorzugt Fleisch als Nahrung, am liebsten rohes Fleisch. Es verzehrt jedoch auch Gemüse und allerlei anderes wenn es nichts anderes bekommt. Seine Hungerschübe kommen etwa alle 2-3 Stunden. Es scheint mich inzwischen als seinen Herren zu akzeptieren, so ich die Grunzlaute und Blicke richtig deute.

30. Rondra
Eher spontan als wohldurchdacht habe ich mich heute zu Tsadan in die Zelle begeben. Er war erst erschreckt und zog sich in eine Ecke zurück. Dann nachdem ich ihm einige Zeit ruhig ansah, begann er sich auf mich hinzuzubewegen. Sein Gang war trotz seiner etwas verdrehten Gestalt recht geschickt, er wechselte beim Gehen zwischen Vorderballen- und Ganzfußschritt. Sein Gesichtsausdruck verriet seine Gefühle nicht eindeutig, seine Mimik war eher sparsam. Das Grinsen, das sich in seinem Gesicht abzeichnete, schien jedoch eher ein Angstgrinsen zu sein, wie es manche Zirkusäffchen zeigen.

1. Efferd
Tsadan scheint seine Zelle nicht zu mögen. Das Rütteln an den Gittern scheint jedoch eher eine Botschaft, als echter Ausbruchversuch zu sein. Durch ein Loch in der Wand kann ich beobachten, dass er seine Zeit damit verbringt, seinen Pelz zu waschen und zu pflegen. Er untersucht seinen Körper, als sei er mit seiner Funktion noch nicht ganz vertraut. Bewegt die Arme in alle möglichen Richtungen. Als ich ihm am Abend sein Essen brachte, glaubte ich in seinen Lauten so etwas wie "Gorgo" herauszuhören. Mein voller Name Gorgonius schien für seinen Verstand oder auch für seinen Rachenraum zu schwierig zu sein.

2. Efferd
Heute bekam meine Tochter Tsadan zum ersten mal zu sehen. Naturgemäß war sie recht erschreckt. Auch er schien von dem Anblick recht verwirrt er kauerte sich in seine Ecke und kam wiederum nur langsam zum Gitter. Er wiederholte meinen Namen und schien auch meine Gestik in einer rohen Form nachzuäffen. Am Abend fragte Tsaja mich warum der komische Mann eingesperrt ist. Es war keine so schlechte Frage. Er hatte sich bis jetzt noch nie aggressiv verhalten. Und mit meinen Fähigkeiten würde ich ihn zur Not auch problemlos im Zaum halten. In dieser Zelle würde ich auch nicht mehr wesentlich mehr über sein Verhalten lernen. Morgen würde ich ihn unter Aufsicht freilassen.

3. Efferd
Als ich Tsadans Tür öffnet war er erst sehr skeptisch und wollte seine Zelle nicht verlassen. Erst als ich ihn mit Gesten bedeutete, dass er kommen solle, verließ er langsam und zögerlich den Raum. Neugierig bewegte sich sein Kopf hin und her. Ebenso schien er seien Geruchssinn intensiv zu benutzen und viel zu beschnuppern. Draußen an der frischen Luft schien sich Tsadan erheblich besser zu fühlen. Er rieb sich den Rücken an einigen Bäumen im Garten, purzelte über den Rasen und atmete intensiv die verregnete Herbstluft ein. Während er draußen war, schien er mich kaum wahrzunehmen. Als ich ihn mit einigen lauteren Worten wieder zurückrufen wollte, schien er sehr widerstrebend, er zog die Augenbraun hoch und legte die Ohren an. Es schien mir lehrreich zu sein, ihn weiter in der frischen Luft zu beobachten also machte ich es mir an einem Baum bequem und bedeutete ihm, dass er nicht rein musste. Abends nahm Tsadan dann ein Bad im Gartenteich. Er schien es sehr zu genießen. Es schien mir fast so als würde ihm das Wasser Linderungen bei seinen, doch etwas angestrengten Bewegungen bieten.

Den zweiten Teil will ich ihnen bald nachreichen, da ich hier noch gewisse Schlussfolgerungen überarbeiten will. Ich hoffe sie, verehrte Leser, nehmen mir die Zerteilung meines Berichtes nicht übel.

Gorgonius von Selem

Erschienen in Opus no. 161 am 7.7.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu Die Psychologie des Chimärs.
Zu diesem Artikel erschienen folgende Reaktionen oder Fortsetzungen: Reaktion zum Artikel "Die Psychologie des Chimärs II", Brief der Tsaja von Selem.

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