Vom kaanjuk oder dem Namensbogen
Gesegnet sei der Eine, der uns jeden Tag aufs
Neue erfreut mit seinen Geschenken und unseren Glauben jeden Tag aufs Neue mit
Versuchungen prüft!Viele wunderbare und wundersame Dinge habe ich auf meinen
Studienreisen durch die ungläubigen Lande gesehen, erforscht oder auch widerlegt. Und
mögen auch viele eher dem Geiste eines gestörten Kopfes zuzuordnen sein als einem Genie,
so waren es doch gerade die Waffen der fremden Völker, dich mich immer wieder aufs Neue
zu verblüffen wußten! So mag ich euch nun vom kaanjuk erzählen, der selbst
unter Seinen Augen Sein Gutheißen erhält.
Ich saß damals in einer Taverne weit im Norden, wo die Norbarden ihre Zelte
aufschlagen, Hilgerds Heim hieß sie wohl. Und dort hatte ich das Vergnügen, einen
nivesischen Jäger kennenzulernen mit Namen Wolpert. Einige Krüge Wein später zeigte
dieser mir dann voller Stolz seinen Bogen und wahrlich, nie zuvor hatte ich ein solches
Prachtstück gesehen. Aber es waren nicht etwa irgendwelche Verzierungen oder ein
kunstvoll geschliffenes Ende, ja nicht einmal das Holz war von besonderer Qualität, nein,
es war die Tatsache, mit welcher Vollkommenheit diese Waffe zu seinem Besitzer passte.
Sie erweckte den Anschein, als könnte kein
anderer, als der Jäger Wolpert diese Waffe führen und mit ihr ein Ziel treffen. Also
bestellte ich sofort noch einen dieser eher schal schmeckenden Weine, Rastullah möge mir
für diesen Frevel verzeihen, wie habe ich auf meinen Reisen immer den süßen, vollen
Geschmack des Dattelweines vermisst, und fragte den Nivesen, woher er denn dieses
Prachtstück habe. Dieser erzählte mir, nachdem er seine Kehle wieder etwas angefeuchtet
hatte, dass diese Waffe nach einer uralten Tradition angefertigt wurde. Diese kaanjuk,
oder Namensbögen, werden auf magische Weise durch einen Nivesenschamanen an ihre
zukünftige Besitzer gebunden, indem ein Haar desselben in den Bogen eingearbeitet wird.
In einem rätselhaften Ritual, in welchem der Bogen für eine Vollmondnacht in der
heiligen Erde vergraben werden muß, wird der Zauber vollendet. All das habe zur Folge,
daß nur noch der wahre Besitzer mit der Waffe schießen und treffen kann. Und wo diese
heilige Erde denn sei, wollte ich vom Nivesenjäger wissen. Dieser jedoch schien an diesem
Abend dem Wein doch zu sehr zugesprochen zu haben und kippte vornüber hinweg. Als ich
dann am nächsten Morgen erwachte, war der Jäger leider schon verschwunden.
Meister Achmed ibn Mhukkadin al Ghunar von: Clemens Schumacher Erschienen in Opus no. 5 am 14.2.1999. |