ACADEMIA LIMBOLOGICA publicat
Opus veritatis scientiæque
seit Praios 29 Hal


Das Grauen in der Bibliothek

Vorfall im Zusammenhang mit der Bibliothek im Archiv gefunden.

Beim Durchstöbern einiger Archive fiel mir ein Bericht aus vergangenen Tagen auf, welchen ich hier getreulich wiedergeben möchte. Vielleicht steht er ja in Zusammenhang mit den Ereignissen in unserer Bibliothek:

   "Einen endlos scheinenden Gang hetzt Cyrene entlang, alle astrale KRAFT war verloren und auch die körperliche Kraft beginnt schon nachzulassen. In ihrem Nacken glaubt sie den fauligen Atem des Unwesens, das hinter ihr herjagt, zu spüren. Da plötzlich, die Ahnung eines Lichtschimmers weit vor ihr, hier wird wohl die Rettung zu finden sein. Cyrene beschleunigt ihren Lauf, doch die ungewöhnliche Belastung fordert ihren Tribut - sie knickt mit einem Fuß um und stolpert. Von Verzweiflung gezeichnet dreht sich Cyrene herum, will den Stab zur letzten Abwehr heben, doch das Grauen hat sie schon erreicht...

...

     Der späte Herbst hatte das Land fest im Griff, als die frischgebackene Adeptin Cyrene am Tor der Academia Limbologica um Einlaß bat. Erst vor wenigen Wochen hatte die Magierin ihr Examinatio an der Halle der Antimagie zu Kuslik erfolgreich abgelegt. Ihre erste Reise hatte sie nach Methumis geführt, hier hoffte sie auf weitere Erkenntnisse in der Contramagie. Dort wurde sie auf die Akademie in den Goldfelsen verwiesen.
     Von
Seiner Spektabilität willkommen geheißen wurden ihr mehrere Tage für das Studium der Akademiechronik und spezieller Traktate versprochen, doch Cyrene wollte insgeheim mehr.
     Es ging auf die Mitternacht zu, als endlich Ruhe einkehrte. Cyrene wartete noch mehrere Minuten, doch niemand schritt mehr durch die Gänge und Säle der Akademie. Leise öffnete die junge Magierin die Tür ihrer Kammer, lauschte erneut und trat auf den im Dunkeln liegenden Flur hinaus. Durch die Fenster funkelten Madas Licht und Phexens Juwelen und wunderten sich, was die einsame Gestalt hinter den dicken Mauern suchte. Leise stieg Cyrene die breite Treppe zum Eingang der Bibliothek hinauf. Huschten da nicht Schatten durch die Finsternis?

     Vorsichtig versuchte Cyrene einen der Türflügel der Bibliothek zu öffnen, und sie war tatsächlich wie so oft unverschlossen. Nur selten machten sich die Magister die Mühe, sie spät nachts noch abzuschließen, sehr zum Ärger der Bibliothekarin Roana, die spät nachts meist schon schlief. Cyrene schlüpfte durch den Spalt und schloß die Tür hinter sich wieder.
     Blauweiß flackerte in ihrer linken Handfläche ein fahles Licht auf und warf zitternde Schatten auf die alten Bücher und die seltsamen Artefakte in den Regalen. Neugierig sah sich Cyrene um. Trotz des schwachen Lichtscheins war die Bibliothek als solche unverkennbar. In den Regalen stand Buch an Buch, gebunden in hartes Leder, dickes Pergament oder anderes, unbekanntes Material, dazwischen mehrere Figurinen und geometrische Körper, zumeist als Buchständer dienend. Etwas jagte ihr eine Schauer über den Rücken, erschrocken drehte sie sich um, doch da stand zwischen alten Zauberbüchern nur eine knapp doppelt spannhohe Statuette in Gestalt eines geflügelten, aufrecht stehenden Drachens in einem Regal auf Augenhöhe. Sie trat näher und nahm die Statuette genauer in Augenschein. Aus irgendeinem dunkelgrauen Gestein war sie gemeißelt, lediglich in den Augenhöhlen funkelten böse zwei dunkelroten Edelsteine.
     Nun besann sich die Adeptin wieder auf ihr eigentliches Anliegen und begann mit dem Studieren des Bibliothekregisters, welches auf einem der drei Tische beim Eingang lag. Allein dieser Foliant bot genug beschriebene Seiten für viele Stunden des Lesens. Antimagie und Dämonologie waren die zwei Themengebiete, in denen Cyrene sich näher in der Bibliothek umschauen wollte. Ungeduldig begann sie zu blättern, während Satinav auf seinem Schiff durch den Strom der Zeit trieb.
     Während die Minuten verrannen, wurden Cyrenes Augenlieder immer schwerer. Nur mit Mühe konnte sie sich auf die Buchstaben des Registers konzentrieren, irgend etwas schien ihr die Augen schließen zu wollen. Bevor Cyrenes Kopf auf das Holz des Tisches schlug, fiel ein letzter verschwommener Blick auf die Drachenstatuette im Regal. Flatterte sie nicht mit den Schwingen, war ihr Antlitz nicht von einem unheilvollen Grinsen verzogen, richtete sie sich nicht auf, wie um sich von dem Regal abzustoßen? Cyrenes Gedanken verschwanden in einem Strudel des Nichts.
     Ein höhnisch finsteres Lachen ließ Cyrene hochschrecken und noch bevor sich ihre Augen richtig an die Düsternis gewöhnt hatten, wußte sie instinktiv, daß etwas nicht stimmte. Nachdem sie ihre Müdigkeit abgeschüttelt hatte sah sie sich schnell um. Die Bibliothek schien ins bösartig Chaotische verwandelt, oder befand sie sich überhaupt noch in der Bibliothek? Boden und Wände schienen auf unmögliche Weise pulsierend zu glühen, von den Dachbalken tropfte zischender Schleim, in den Regalen standen Bücher mit unbekannten, schrecklichen Schriftzeichen und im Kronleuchter hing ein schillerndes Netz wie das einer Spinne, doch auf irrsinnige Weise fremdartig - die Statuette war fort. Wieder erklang aus dem Nichts ein schauriges Lachen und ohne sich weiter umzusehen sprang Cyrene auf den Ausgang zu, das schreckliche Schlurfen und Schmatzen hinter ihr drang durch Mark und Bein.

     Ohne Probleme ließ sich der Türflügel öffnen und den Zwölfen dankend eilte Cyrene auf den Flur hinaus und schlug die Tür hinter sich zu, das unbekannte Grauen in der Bibliothek zurücklassend. Das ist nicht die Akademie, kam ihr die niederschmetternde Erkenntnis. Ein schier endlos langer Gang lag vor ihr, im Nichts der Dunkelheit verschwindend. Dunkel leuchteten seltsame dünne Flechten an den unbehauenen Wänden, schwere Tropfen fielen von der Decke und platschten laut in zähflüssige Lachen auf dem Boden. Ein plötzliches Krachen und Splittern sagte Cyrene, daß der unbekannte Verfolger die Tür der Bibliothek durchbrochen hatte und ihr auf den Fersen war. Ohne bei der Flucht innezuhalten, drehte Cyrene ihren Kopf, dem Verfolger in die Augen zu blicken. Mit ungläubigem Schrecken stolperte sie, konnte sich aber wieder fangen.
     Ein amorphes Etwas floß in atemberaubender Geschwindigkeit auf sie zu. Ohne nachzudenken murmelte Cyrene magische Worte und streckte dem unbarmherzigen Verfolger Zeige- und Mittelfinger entgegen. Die Lanze aus tödlich heißem Feuer fuhr aus den Fingerspitzen und... verpuffte am Körper des immer gewaltigere Ausmaße annehmenden Verfolgers. Nicht zu beschreibendes Gebrüll drang durch den Gang und schleuderte die Magierin gegen die grobe Wand, von der Decke bröckelte Gestein und mit lautem Tosen wurde das Etwas unter Quadern von Stein und Erde begraben, den Rückweg versperrend.

     Stunden schien Cyrene schon durch die gewundenen Gänge zu hetzen, selten mußte sie sich an einer Gabelung entscheiden, doch spielte der Weg vielleicht gar keine Rolle? Kein einziges Mal war sie in eine Sackgasse geraten.
     Mehrmals schien sie in Fallen zu laufen, der Boden öffnete sich und spie giftgrünes Feuer, die Decke stürzte krachend herunter und begrub sie fast, aus Seitennischen stolperten irrsinnige Wesenheiten und noch immer und überall leuchtete das seltsame Gespinst an den Wänden. Und immer wieder musste sie sich gegen den Verfolger von hinten oder Angreifer von vorne zur Wehr setzen, verschmorte verfaulte Menschenähnliche mit Lanzen von magischem Feuer oder hieb Schattengestalten den Stab zwischen die Augen oder was immer das Leuchten in der Dunkelheit darstellen mochte.
     Doch Cyrenes Kräfte ließen spürbar nach.
     Als Cyrene kurz verschnaufte, konnte sie einen Blick auf ihren Verfolger erhaschen. Eine dunkelgrau geschuppte Gestalt mit funkelnden Augen in dunklem Rot. Wohl mehrere Schritt groß, mit breiten Schwingen und einem langen Schwanz der die Balance hielt. Die Konturen des Wesens schienen verschwommen zu sein. Wieder traf die Erkenntnis die Magierin wie ein Schlag. Dies war ohne Zweifel die Statuette aus der Bibliothek, zu unheiligem Leben erweckt. Mit dem Stab versuchte Cyrene die Angriffe abzuwehren, doch die Klauen wurden vom magischen Holz nicht zurückgehalten. Mühsam hob die Adeptin die Hand, doch die KRAFT war versiegt. Verzweifelt bohrte Cyrene den Stab in die Grimasse des Grauens, doch sie stieß auf keinen Widerstand.

     Mit Triumph in den Augen hob das Wesen die Klauen zum letzten Schlag, doch sie durchschlugen nur die Luft - mit letzter Kraft hatte sich Cyrene herumgeworfen und raste den Gang entlang. Enttäuschtes Gebrüll hallte ihr um die Ohren, und dann nahm das Grauen die Verfolgung wieder auf.

...

    Ihren Tod vor Augen blickt Cyrene in die Augen des Drachen, der sich über sie beugt und das riesige Maul zu einem Grinsen verzieht. Wie in freudiger Erwartung schimmert das verwirrend gesponnene Netz heller. So nah scheint der Lichtschimmer am Ende des Ganges zu sein, doch Cyrenes letzter Schrei verhallt ungehört, als die Klauen zum tödlichen Schlag herabsausen. Gnädige Dunkelheit umgibt Cyrene und sie spürt nichts mehr.

...

     Keiner der Meister kann sich einen Reim auf die Vorfälle der Nacht machen, nachdem Roana im Morgengrauen die im Irrsinn brabbelnde Cyrene auf dem Boden der Bibliothek fand. Wohl ist die frei gewordene astrale Energie innerhalb der Bibliothek deutlich spürbar und ein seltsamer Geruch hängt in der Luft, doch die einzige Zeugin der Vorkommnisse ist nicht mehr in der Lage, auch nur ein vernünftiges Wort von sich zu geben oder klar zu denken.
     Und im Regal der Bibliothek sitzt noch immer die Gestalt mit den funkelnden Augen. Doch irgendwie scheint das Grinsen der Statuette heute greifbarer zu sein..."

 

Grossmeister Erilarion Androstaa

von: Philipp Schumacher
Erschienen in Opus no. 6 am 21.2.1999.


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