De mytho variabile magiculturæ
Was unsere geneigte Leserschaft in der letzten Ausgabe des Opus unter dem Titel "De
natura magiculturæ" zu lesen bekam, war meines Erachtens ein Werk von solch
bestechender Logik und formidabler wissenschaftlicher Vorgehensweise, dass ich dem Autor,
Reiju Windfeder, hier selbst noch einmal zu seinem hervorragenden Traktat gratulieren
möchte. Und auch wer nicht mit dem Inhalt dieses Artikels übereinstimmt, der muss doch
zumindest die fachliche Kompetenz des Autors mit vor Neid erblassenden Augen anerkennen.
Welch Frevel an HESindes Gaben selbst wäre es also einen solch
fundierten Artikel ohne eine Erwiderung zu belassen!
Der letzte Aufruf des adeptus Windfeder war jener zur Wahrung der Vielfalt -
welchem ich denke schon alleine durch die freizügige Veröffentlichung vieler Artikel in
dieser Postille nachzukommen - zur Respektierung des Mysteriums - zu welcher ich mich
immer wieder erneut versuche durchzuringen, mich sogar, geprägt durch meine langjährige
magie-wissenschaftliche Tätigkeit, oftmals dazu zwingen muss - und zur Erkenntnis über
das Wesen der Magie. Und eben diesem Aufruf möchte ich versuchen in meiner nun folgenden
Abhandlung so gut als möglich nachzukommen:
Eine Forschung über das Wesen der Magie (in den uns bekannten Matrices, ergo in
unserer Welt) kann und muss gezwungenermaßen dorthin zurückführen, wo auch die
Entstehung der Magie und damit ihres Wesens liegt: Nämlich zum Frevel Madas. Diesen
Mythos um Madas Frevel, von dem es unzählige Varianten bei unzähligen Völkern und
Kulturen gibt, will ich im weiteren näher beleuchten und untersuchen, um vielleicht auf
diesem Wege dem Wesen der Magie etwas näher zu kommen. Und indem wir uns langsam dem
Wesen der Magie annähern, werden wir unweigerlich auch denjenigen Wesen näherkommen,
welche sich mit der Magie beschäftigen, sie formen, sie umwandeln etc., den verschiedenen
kulturspezifischen Ausprägungen der Magie also.
Die/Der zerstörende Mada
Die ältesten Überlieferungen dieses Mythos lassen sich wohl bei den Nivesen,
allen voran bei ihren weisen Schamanen, finden. Hier ist Mada der Sohn Væs, eines noch im
flachen und unvorstellbar großen Land lebenden Menschen. Und als eines Tages Liska, die
Himmelswölfin mit dem silbernen Auge, herabsteigt auf der Suche nach einem Lagerplatz,
denn sie ist trächtig, da bietet ihr Væ den Platz seines Sohnes an. Doch dieser ist so
sehr erzürnt darüber, dass er am nächsten Morgen zur schlafenden Mada hintritt und ihr
die beiden Welpen stiehlt, welche ein Fell aus reinem Gold haben. Kaum aber hat Mada die
Hütte verlassen, als die beiden Welpen auch schon kläglich zu wimmern beginnen, sodass
Mada Angst bekommt entdeckt zu werden und beide erschlägt. Als Liska dies erblickt, da
ruft sie ihre Geschwister zusammen und die Himmelswölfe ziehen allesamt rasend und tobend
über das Land, welches von da an mit Bergen und Seen bedeckt ist und uneben. Die beiden
toten Welpen aber legen sie auf einen silbernen Teller, welcher Nacht für Nacht am Himmel
zu sehen ist als Warnmal für die Menschen.
In dieser Variante des Mythos steht Mada in einer langen und uralten Tradition. Wie
zuvor bereits andere Teile der Schöpfung lehnt er sich gegen das von den Göttern, in
diesem Falle von den Himmelswölfen, Geschaffene auf, indem er eine - die erste? - Sünde
begeht. Für das heutige Verständnis vor allem der Nivesen, aber genauso aller anderen
Menschen, bedeutet dies eine unüberwindbare Urschuld, derer man sich nicht entledigen
kann und an die man von den strafenden Himmelswölfen durch das Madamal stets erinnert
wird. Doch der wesentliche Aspekt dabei wird gerne übersehen: Die Auflehnung des Mada
gilt dem von den Himmelswölfen Geschaffenen, der Welt, der Natur: flach und eben, ohne
Grenzen, ohne Erhebungen, ohne Senken. Für die Himmelswölfe mag dies wohl eine perfekte
Welt sein. Doch die Menschen sind in dieser Welt nicht frei, sie haben keine Möglichkeit
gestaltend einzugreifen. Liest man den Mythos im Sinne des Mada (der stellvertretend für
alle anderen Menschen und die Geschöpfe aller Rassen steht), so bedeutet die Beschreibung
Eintönigkeit und Langeweile. Die Nivesen führen sicherlich ein entbehrungsreiches Leben
und sind mit der Natur sehr nahe verbunden. Es muss also nicht verwundern, dass gerade bei
ihnen ein Mythos überliefert wird, welcher auf den täglichen Kampf mit der Natur
hinweist und ein Auflehnen dagegen beinhaltet.
Die/Der schöpferische Mada
Die nächste Variante des Mada-Mythos stammt von den Elfen. Als nämlich das Namenlose
die Elfen in die Wirklichkeit dieser Welt zieht und die Elfen beginnen ihre Vorfahren als
Götter (neben ihrem Allgott, der Natur) anzubeten, bringt Madaya, die Träumende, die
letzte der Hochelfen, als einzige das Opfer ihre Wirklichkeit aufzugeben, um ihr Schicksal
wieder selbst zu träumen. Madaya verbannt sich selbst ins Licht, um ihr Volk zu retten.
Diese Madaya begeht - ähnlich wie Mada in der nivesischen Fassung - einen Frevel wider
die Götter und damit wiederum gegen das von ihnen Geschaffene. Dieses Mal jedoch bleibt
ihr Tun nicht ohne Folgen: Sie träumt ihr Schicksal selbst weiter - und mit ihr alle
anderen Elfen. Hier bleibt der Akt des Auflehnens nicht bloß eine trotzige Reaktion auf
die unbezwingbare Natur, er geht über dies hinaus in einen schöpferischen Akt über,
welcher es erlaubt die Natur (und somit sein eigenes Leben) selbst zu gestalten bzw.
mitzugestalten. Dies muss auch umso weniger verwundern, je besser man sich mit der
elfischen Magie auskennt und so weiß, dass jene über etliche Zauber verfügen, mit deren
Hilfe sie die Natur umzugestalten vermögen. Durch Madayas schöpferischen Akt bekommen
alle Geschöpfe ein Mittel in die Hand, mit dem es künftig möglich ist der Natur nicht
mehr nur hilflos und trotzig auflehnend gegenüber zu stehen.
Die/Der gefesselte Mada
Mada, die Tochter HESindes und eines Sterblichen, fleht zu den Göttern,
auf dass die Menschen selbst in der Lage seien ihr Schicksal selbst zu gestalten (zu
träumen). Doch nur HESinde, PHEx und TSA
erhören ihr Flehen und so vergeht sie aufgrund der Sinnlosigkeit ihres Unterfangens. Zum
Zeitpunkt ihres Todes jedoch durchstößt ihr Geist die Sphären, wobei sich die Kräfte
der Sterne mit denen Deres vermischen - die Zitadelle der Magie zerstört wird - und so
die Magie nach Dere gelangt, mit deren Hilfe alle Geschöpfe von nun an ihr Schicksal
selbst gestalten können, indem sie z.B. die Natur umformen. Doch PRAios
straft Mada, indem er ihren Geist in einen Stein bannt und diesen auf den Himmel wirft,
damit sie sehe, was sie angerichtet habe und gleichzeitig Mahnmal sei.
Die dritte und letzte Variante des Mada-Mythos vereinigt die beiden oben genannten und
fügt zudem noch einen wichtigen Aspekt hinzu. Mada begeht hierin keinen direkten Frevel
gegen die Götter selbst, wird aber dennoch von diesen bestraft. Und auch die Auswirkungen
ihres Handelns sind weitreichender als in den vorangegangenen Varianten - mit der Magie
steht den Menschen nun ein Macht zur Verfügung, mit deren Hilfe sie die Natur bewältigen
und beherrschen können, die jedoch ebenso Verantwortung und bewussten Einsatz fordert.
Die Geschöpfe erleben sich selbst zwar immer noch als bedroht durch die Natur, aber nicht
als besiegt und machtlos, wie bisher.
Fassen wir also noch einmal zusammen: Zur Zeit des nivesischen Mythos (und auch
teilweise heute in der nivesischen Kultur) waren die Geschöpfe solche, die sich von den
Göttern verachtet glaubten und die ihre Existenz in einer ihnen feindlich gesonnenen oder
von ihnen als feindlich erlebten Umwelt/Natur einem Frevel verdankten. Zur Zeit des
elfischen Mythos (und auch sehr stark heute noch) waren die Geschöpfe solche, die ihr
Bestehen oder Überleben in der Natur und das Umgestalten derselben einem Frevel (gegen
die Götter sowie gegen die Natur selbst) verdankten; Geschöpfe also, die den Göttern
gegen ihren Willen die Fähigkeit zur Bewältigung und besonderen Formung der Natur
entwunden haben und deshalb die Rache der Götter fürchten müssen. Zur Zeit des
menschlichen Mythos schließlich (und hierunter fällt zu großen Teilen die jetzige
Situation) sind die Geschöpfe solche, die zum ersten Mal bewusst diese von den Göttern
oder zumindest gegen ihren Willen gestohlene Gabe (die Magie nämlich) nutzen und nun
wiederum in ihrem Sinne einsetzen.
Dies ist mein nicht geringer Anspruch an die Gildenmagie, den ich auch an mich persönlich
stelle, denn dies sind unsere Wurzeln, derer wir uns stets bewusst sein müssen.
Großmeister Erilarion Androstaal
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 90 am 7.1.2001. |