Der Leib-Seele-Dualismus der
maraskanischen Philosophie
aus den Dialogen des Plaziber von Jergan
Noch niemals wurde - soweit mir das bekannt ist - der maraskanische
Glaube und die damit verbundene Philosophie in einem nennenswerten Werk
oder einer größeren Postille genauer betrachtet und beleuchtet. Dieses
nun nachzuholen will ich versuchen und somit zumindest ansatzweise riesige
Lücken in unserem heutigen Philosophieverständnis auffüllen. Zu diesem
Zwecke suchte ich vor kurzer Zeit den (mir bislang gänzlich unbekannten)
maraskanischen Denker und Philosophen Plaziber von Jergan auf. Zusätzlich
jedoch will dieser Artikel an die hervorragenden Ausführungen über den
Leib und die Seele im letzten Opus anschließen und soll somit gleichermaßen
zu einer anderen, aber doch nicht so verschiedenen Sichtweise führen.
Ich werde im folgenden nun weder allgemein noch für mich persönlich
geltende Wahrheiten aufstellen, noch werde ich jene maraskanischen und
dadurch für den geneigten Leser zutiefst befremdlichen Überlegungen
verurteilen, ich werde lediglich das wiedergeben, was ich aufgrund des von
mir geführten Gespräches erfahren konnte. Ich finde jedoch, dass es
dieses höchst interessante systema philosophia der Maraskaner
verdient hat endlich Aufnahme in den Kreis der erlauchten Theorien finster
gesonnener Borbaradianer und licht-strahlender Praioten zu finden - wo
genau denn nun sein Platz sei, das überlasse ich jedem Leser und jeder
Leserin selbst.
Zunächst einmal steht in jeglicher Phase und Richtung maraskanischer
Philosophie von vornherein fest, dass man es nicht mit einem Monismus,
sondern mit einem Dualismus zu tun hat. Von Plaziber von Jergan, einem
wandernden Philosophen, wird vorausgesetzt, dass Körper und Seele
voneinander verschieden sind. Nach dieser Auffassung ist dasjenige, was
die Identität von mir als Mensch ausmacht, nicht die konkrete Gestalt
meines Körpers, auch nicht (von den Zwölfgeschwistern geschenkte)
bestimmte Fähigkeiten wie z.B. die Magie, sondern das, was man als Seele
(hier gibt es im Maraskanischen eine relative Vielfalt der begrifflichen
Differenzierungen) bezeichnet.
Dem Körper kommt in diesem Verständnis nur eine Aufgabe als Vehikel, als
Instrument für die Seele zu - gewissermaßen das Fahrzeug, dessen sich
die Seele bedient um sich zu äußern, um ihre Handlungen in dieser Sphäre
zu tätigen. Der Leib ist demnach also ein, wenngleich auch nur temporäres,
Gefängnis der Seele.
Die Frage nach der Unsterblichkeit, welche ja in sämtlichen
philosophischen Systemen einen besonderen Stellenwert einnimmt, bezieht
sich natürlich hier nur auf den Status der Seele und nicht auf den des Körpers.
Schon alleine deshalb, so lehrt uns Plaziber von Jergan, sei es für einen
Maraskaner vollkommen un-EIN-sichtig (das EIN wird von den Maraskanern
gerne als Schimpfwort verwendet, z.B. wenn etwas EIN-malig ist), warum er
nach einer Verlängerung seines körperlichen Daseins streben sollte, oder
gar - so wie das viele fanatische Magier des Zwölfgötterglaubens tun -
nach einer Möglichkeit diesen seinen Körper in alle Ewigkeit zu
behalten. Schließlich wird die unsterbliche Seele eines jeden einzelnen
ja ohnehin wiedergeboren.
Leicht könnte man nun annehmen, dass der Maraskaner in seiner
Philosophie das Körperliche als etwas Schlechteres im Vergleich zur Seele
sieht, dem Leib demnach also einen pejorativen Charakter zuschreibt.
Schenkt man jedoch Plaziber von Jergan Glauben, so ist dies nicht der
Fall. Denn, so erläutert er, in allem Geschaffenen steckt die Schönheit
der Welt. Dieser ominöse und oftmals auch abwertend verwendete Begriff
von der Schönheit der Welt bedeutet in der maraskanischen Philosophie
sehr viel: Er sagt aus, dass Rur, Schöpfer und Schöpferin des
Weltendiskus und Bruderschwester Grors, allem von ihm/ihr Geschaffenen das
Abbild seiner/ihrer Schönheit mit auf den Weg gegeben hat. Und schon
alleine deshalb kann der Körper, das Leibliche oder Materielle, nichts
Schlechtes an sich sein. Denn in jedem Ding steckt das Abbild seines Schöpfers
- und damit steckt in allem Geschaffenen (was die Dämonen ausnimmt!) ein
Abbild der Schönheit der Welt - allein: es muss oftmals erst gefunden
werden! Insofern ist es für Plaziber von Jergan auch undenkbar, dass in
einem von Rur geschaffenen Gegenstand mehr oder weniger an Schönheit
enthalten sei als in einem anderen (womit er sich ja auch gegen die
sonderbaren Lehren des Zaboron von Andalkan wendet, welcher sagte, dass
die Schönheit der Welt durch gewisse Personen gemindert werde und diese
deshalb umbringen ließ).
Dieser Dualismus von Leib und Seele zieht sich naturgemäß durch das
gesamte maraskanische Weltbild, betrifft also ebenfalls den Bereich der
Wahrnehmung: Der Mensch, so Plaziber von Jergan, nimmt seine Umgebung auf
zwei unterschiedliche Weisen wahr. Einmal nimmt er das Körperliche, das
Dingliche wahr, also alles, was elementar ist, und zum zweiten nimmt er
das Geistige wahr, dasjenige, was seine Seele betrifft. Nach konkreten
Wahrnehmungsformen befragt, zählte mir Plaziber einige interessante Phänomene
auf, welche jeweils unter die eine oder andere Weise der Wahrnehmung
fallen, sodass ich zu dem Schluss gekommen bin, dass es zwischen unserer
Teilung der wahrnehmbaren Welt in Nayrakis (von Los Stammendes, Geistiges)
und Sikaryan (von Sumu Geschaffenes, Körperliches) und der maraskanischen
Teilung in Leib-Seele erstaunliche Parallelen gibt. - Eine logische
Folgerung, wie mir der Philosoph Plaziber mitteilte, denn dies zeige nur
überdeutlich die Zweiheit hinter der Zweiheit, welche ich nun ansatzweise
erkannt hätte...
Meine Vermutung ging - bis zu diesem Zeitpunkt des Gespräches - dahin,
dass die Mittelreicher und die Tulamiden, aus welchen ja die Marasakner
"entstanden sind", bei ihrer Flucht nach Maraskan jeweils die
Aspekte ihrer beider Glaubensformen und Philosophien miteinander
verbanden: die Zwölfgeschwister als klares Relikt des Zwölfgötterglaubens,
die Zahlenmystik um die Zahl 2 ein deutlicher Verweis auf den
tulamidischen Einfluss - und dass dann die feindliche Natur der Insel ihr
übriges dazu getan habe, dass das entstanden sei, was wir heute als
maraskanische Philosophie kennen.
Also fragte ich Plaziber von Jergan, ob denn dieser Dualismus der
Maraskaner nicht etwa davon herkomme, dass jeder Glaube und jede
Philosophie etwas brauche, was ein Weiterleben nach dem (körperlichen)
Tod garantiere. Er antwortete mit einem "Nein".
Doch als ich erneut nachfragte, ob der Dualismus dann etwa nicht aus der
Angst eines jeden einzelnen vor seiner endgültigen Vernichtung geboren
wurde, so antwortete er mir: "Gewiss doch ist dies einer der beiden
Gründe dafür. Die Geburt nämlich ist der zweite." Und er erklärte,
dass das Werden und Vergehen, die Geburt und der Tod also, einen weiteren
Dualismus in Verbindung zu Leib und Seele darstelle. Und wiederum gibt es
eine Zweiheit hinter der Zweiheit, denn so wie der Körper beim Tod von
Bruder Boron genommen und die Seele von Schwester Tsa bei der Geburt
gegeben wird, so wird auch die Seele von Bruder Boron beim Tod genommen
und der Körper bei der Geburt von Schwester Tsa neu gegeben.
Schließlich fragte ich Plaziber von Jergan noch, ob er denn verständliche
Beweise zu geben in der Lage sei, welche die maraskanische Form der
Unsterblichkeit der Seele beweisen. Und er nannte mir - wie könnte es
auch anders sein - zwei Gründe:
- Jeder, so meinte er, führe in sich bereits von Geburt an
gespeichertes Wissen. Nichts Körperliches (wie die Magie z.B.),
sondern eine Form von Kenntnis und Erfahrung, welche sich alleine
durch das Vor-Wissen der Seele aus einem vorherigen Leben herleiten
ließe.
- Und, so führte er weiter aus, die Seele ist als Bestandteil des Körper-Seele-Dualismus
etwas, was nicht in Teile zerlegt werden kann. Ein Aufhören jedoch,
so seine Argumentation, kann es nur dort geben, wo es ein Auflösen in
Bestandteile gibt.
So will ich nun mit jenen Argumenten schließen und hoffe damit dem
geneigten Leser einen Einblick in das nicht uninteressante Gedankengebäude
der maraskanischen Philosophie gegeben zu haben. Plaziber von Jergan
selbst teilte mir mit, dass er demnächst auf einer Reise durch das
Horasreich sein werde und dort jedermann und jederfrau, die gepackt von
der Neugierde sich intensiver mit der Materie beschäftigen wollen, gerne
und ausführlich Rede und Antwort geben werde.
Eborëus Zachariad
adeptus maior
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 114 am 1.7.2001. |