Aus den 'Gesprächen
Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (XVIII.)
Auszüge aus dem gleichnamigen Kollektan
aller der Rohalszeit entstammenden Bände
der 'Gespräche Rohals des Weisen'
in freier Transkription,
verfasst in der Sprache des Volkes,
getätigt durch Lizentiatus Vitus Ehrwald,
Abgänger der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis,
so geschehen im Jahre 2515 Horas zu Gareth
mit gnädiger Unterstützung des Pentagontempels
der Herrin Hesinde
Über den Sinn des Lebens
Meister, sagt, was ist der Sinn des Lebens?
Ihr verlangt, das Leben müsse einen Sinn haben, doch es hat nur genau soviel Sinn, wie ihr ihm gebt. Jedes Wesen außer dem Menschen weiß, dass der Sinn des Lebens allein darin besteht, es zu genießen. Doch der Mensch ist einzigartig, weil er mit anderen Wesen mitfühlen kann. Das macht ihn verantwortlich für das Leben um ihn herum, ja selbst für das Leben derer, die lange nach ihm kommen werden. Darum soll ihm nicht nur an seinem eigenen Glück und am Glück derer gelegen sein, die von ihm abstammen, sondern am Glück eines jeden Wesens, das Leben in sich trägt. Glück und Schmerz sind die durch das Gefühl vorgegebenen Endzwecke, die weiter nicht zu hinterfragen sind; alles andere taugt nur als Mittel für diese beiden. Indem ihr das eine für euch und andere sucht, das andere jedoch zu vermeiden trachtet, erfüllt ihr den Zweck eurer menschlichen Existenz, der einzig darin besteht, menschlich zu sein, und sorgt gleichzeitig für euer Seelenheil.
Über das Leben
Meister, sagt, warum genau sollen wir das Leben so hoch achten?
Nichts gibt es in der Welt, dessen ihr euch sicher wissen könntet, außer eurem eigenen Willen zum Leben. Die Einfühlung ermöglicht es euch, diesen Lebenswillen auch in allen anderen lebendigen Wesen zu erkennen. Ihr seid Leben, das Leben will, inmitten von Leben, das Leben will und fühlt, dass es gut ist, Leben zu erhalten und Leben zu fördern, schlecht jedoch, Leben zu vernichten oder Leben zu hemmen. Aus dieser Erkenntnis erwächst in euch die Grundhaltung der Ethik. Ihr wisst, dass ihr das Recht auf Leben habt und gesteht es auch allem anderen Leben um euch herum zu, so gut ihr es vermögt, ohne euer eigenes Leben aufzugeben, denn soweit geht eure Verantwortung nicht, dass ihr euer eigenes Leben, das die Grundlage eurer ethischen Erkenntnis bildet, für anderes Leben opfern sollt, es sei denn vielleicht im Dienste wahrhafter, selbstloser Liebe. Damit erkennt ihr die höchste Grundhaltung jedweder Ethik: Die Ehrfurcht vor dem Leben!
Über das Töten
Meister, sagt, kann das Beenden von Leben jemals gerechtfertigt sein?
Selten tötet der Mensch grundlos, noch seltener aus einem guten Grund, aber selbst dann hat er nur Gründe für sein Tun, nie jedoch eine Rechtfertigung. Ihr könnt nicht leben, ohne den Tod anderen Lebens zu verursachen. Nicht immer tragt ihr dafür die Schuld, aber stets die Verantwortung. Darum sollt ihr Tod und Leid zu vermeiden suchen, wo immer es möglich ist. Der Landmann, der soeben viele Rechtschritt Gras als Futter für seine Tiere gemäht hat, soll sich hüten, auf seinem Heimweg gedankenlos eine Blume oder einen Käfer zu zertreten. So ihr meint, nicht auf das Essen von Tieren verzichten zu können, esst sie zumindest seltener, doch macht euch stets bewusst, was eure Schwäche für anderes Leben bedeutet. Die Menschen gehen lieber zugrunde, als dass sie ihre Gewohnheiten ändern, doch man verliert nicht immer, wenn man entbehrt. Denkt daran und trefft nur solche Abwägungen, zu denen ihr auch stehen könnt, ohne euch selbst täuschen zu müssen.
Erschienen in Opus no. 118 am 26.8.2001 als Reaktion oder Fortsetzung zu Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (XVII.).
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (XIX.). |