Eine Reise nach Brig-LoDer
30. PRAios, Tag der 2.
Dämonenschlacht
Aus den Reisetagebuchaufzeichnungen eines Scolaren:
Wir waren schon eine seltsame Gruppe, als wir da zu sechst im Innenhof
der Academia zusammenstanden:
Einmal waren da die zwei "Auserwählten", wie sie seit der ersten
Lehrstunde mit Leutnant-Magister Emmerian nur noch genannt wurden. Die
beiden waren körperlich gut gebaut, breitschultrig und gut und gern einen
Kopf größer als der Rest von uns anderen Scolaren. Doch das, was ihnen der
Leutnant-Magister da aufgebunden hatte, überstieg sogar ihre Kräfte: In
der Linken hielten sie je einen Stab, auf den sie sich wie mit letzter
Kraft stützten, in der Rechten baumelte ihr persönliches Reisebündel, auf
ihren Rücken waren Rücksäcke gegürtet, die bis zum Rand und darüber hinaus
mit allerlei verschiedenen Dingen gefüllt waren, auf die der
Leutnant-Magister einfach nicht verzichten wollte. Und als dann
schließlich noch Hochwürden Argelia mit ihren Bündeln voller
alchimistischer Präparate und Apparaturen auf den Hof kam, da bot der
Leutnant-Magister der Hesinde-Geweihten bereitwillig die Hilfe seiner
beiden auserwählten Schüler an. Keine guten Worte hätten geholfen, den
Leutnant-Magister zu überzeugen, dass seine beiden Schüler unter jeder
weiteren Last zusammenbrächen, und so lehnte Hochwürden Argelia das
Angebot bestimmt mit den Worten ab: "Habt Dank, aber diese gefährlichen
Utensilien in die Hände solch unerfahrener Schüler zu geben, das wäre
töricht." "Nun", erwiderte der Leutnant-Magister, "dann werde
selbstverständlich ich Eure Bündel tragen." Kraftvoll warf sich Magister
Emmerian die Bündel auf den Rücken, eine Leichtigkeit für ihn, den
durchtrainierten Magus, als ihn die Worte Argelias wie ein Hieb trafen:
"Aber, dass mir da ja nichts kaputt geht, mein Lieber! Sonst endet Ihr in
einem Inferno aus Rauch, Asche und Feuer..."
Die beiden Scolaren in der Gefolgschaft Hochwürden Argelias kicherten ob
dieser Worte der Geweihten, doch auf den scharfen Blick Argelias hin
verstummten sie sofort wieder. So ich mich recht erinnere, waren sie es
gewesen, die bei der letzten großen schriftlichen Bosparano-Wiederholung,
die die Geweihte stets zweimal in jedem Mond zu machen pflegte, "auf dass
auch ja kein einziges Vocabulum in die Abgründe des Vergessens
verschwinde", wie sie sagte, die besten Ergebnisse hatten.
Und schließlich waren da noch mein Freund Doraio und ich. Wir beide waren
von Meister Eborëus ausgewählt worden, ihn auf diese Reise zu begleiten.
Wie wir zu dieser Ehre kamen, konnten wir uns beide nicht recht erklären,
doch es war eine abwechslungsreiche Gelegenheit einmal das alte Gemäuer in
den Goldfelsen zu verlassen...
adeptus maior Eborëus Zachariad:
In wenigen Worten erklärte ich den sechs Scolaren, was Ziel und Grund
unserer Reise waren:
Das letzte Mal, als ich am Weg von Gareth ins Horasreich war, da kam ich
auch im kleinen Örtchen Brig-Lo vorbei, das an und für sich eher
unbedeutend ist, wäre da nicht das Faktum zu nennen, dass an eben jenem
Ort am Tage der 2. Dämonenschlacht die Götter selbst in das
Weltengeschehen eingegriffen hatten. Ich verbrachte dort also einen Abend
mit einigen Weinbauern und Fischern aus der Gegend, die mich auf ein paar
Becher Wein eingeladen hatten. Und wie es des Almadaners Art ist, so
begannen diese einfachen Leute auch alsbald über ihre alltäglichen
Probleme zu reden, wohl in der Hoffnung, dass ich ihnen mit meiner
Zauberei weiter helfen könnte. Unter anderem erzählten sie mir auch davon,
dass sich in den letzten Jahren immer mehr Novadis hier in der Nähe
niedergelassen hatten, von denen aber keiner der braven Dorfbewohner zu
sagen wüsste, woher sie eigentlich kämen und was sie hier wollten,
geschweige denn womit sie sich ihren Lebensunterhalt verdienten. Nun war
auch vor einem Mond, so erzählte mir einer der Bauern, der Baron der
Gegend selbst zu Gast hier gewesen und der habe die armen Dörfler dazu
angehalten, dass man diese Novadis vertreiben müsse. Den armen Leuten fiel
natürlich nichts ein, was sie gegen die Wüstenkrieger unternehmen konnten,
bis eines Tages ein wandernder Ordensbruder des Bundes des wahren Glaubens
vorbeikam, der den Dörflern vorschlug, die Novadis doch durch ein Zeichen
der Macht der Zwölfe zum Gehen zu veranlassen. Und er meinte weiter, dass
man dazu nur die Feierlichkeiten am 30. Praios zum Gedenken an die zweite
Dämonenschlacht nutzen müsse, indem man an diesem Tag ein imposantes Fest
veranstalte. Nun, was soll ich sagen, im Laufe des Abends, den ich in
Brig-Lo verbrachte, (und mehrerer Becher Wein) konnten mich diese armen
Bauern und Fischer davon überzeugen, dass ich ihnen bei dieser
göttergefälligen Sache zur Hand gehe und so werden wir uns nun nach
Brig-Lo begeben, um dort mit allerlei alchimistischem und magischem
Feuerwerk ein imposantes Fest zu veranstalten.
Aus den Reisetagebuchaufzeichnungen eines Scolaren:
Die Reise verlief eigentlich recht... angenehm. Nicht dass ich sagen
möchte, ich hätte gerne mehr erlebt, oh nein, Herrin der Weisheit! Ich
weiß sehr wohl, dass es viele Gefahren gibt, die dem braven Wandersmann
hier und da auflauern, und dass man den Göttern danken muss für den
sicheren Weg, den sie einem bescheren, aber all die Tage der Reise nur den
Gesprächen Meister Eborëus und Hochwürden Argelias zuzuhören, das kann
schon sehr ermüdend sein. Und die andere Alternative wäre wohl auch nicht
besser gewesen, denn die ständigen Übungen, die der Leutnant-Magister
seinen beiden Schülern auferlegte, waren das genaue Gegenteil von den
magietheoretischen Diskussionen der anderen beiden. Aber so hatte ich
zumindest die Zeit mir die Umgebung genau anzusehen, während die zwei
Scolaren im Auftrag des Leutnant-Magisters "die Umgebung
auskundschafteten", wie er es nannte, und die anderen beiden Scolaren von
Hochwürden Argelia nebenher beständig Bosparano-Vokabeln ausgefragt
wurden.
Argelia von Kuslik, Geweihte der Göttin:
Wir kamen um die 4. Mittagsstunde in Brig-Lo an, das eigentlich nur ein
sehr unscheinbares Fischerdorf ist. Wir suchten uns Quartier bei einer der
ansässigen Familien, und zum Glück kannte Eborëus den Besitzer, denn so kamen wir doch zu einem
ansehnlichen Zimmer, mit sogar einem Tisch und einem Stuhl, wie der
Hausbesitzer stolz erklärte. Ich schlug vor uns einmal kurz zu erfrischen
und von der Reise zu erholen, damit man dann die Erkundungen am Schauplatz
der Dämonenschlacht und der morgigen Feierlichkeiten durchführen konnte.
Der 'Leutnant' (wie ihn die Schüler zu nennen pflegen) erwiderte, wie
immer ein bisschen scharf und übertrieben zackig, dass er und seine Leute
Erholung keineswegs nötig hätten, sie würden sofort, nachdem die
Unterkünfte eingerichtet seien, noch einen kurzen Lauf zur Brigella machen,
um sich dort zu erfrischen und den Straßenstaub abzuwaschen. Seine zwei
Scolaren fielen bei diesen Worten vor Erschöpfung bald um, aber der
Leutnant quittierte das Aufstöhnen nur mit einem "und zusätzlich 10
Liegestütz!".
Bei der gnädigen Göttin Marbo, das war zuviel, was man den jungen Menschen
an körperlicher Ertüchtigung zumuten konnte, und so entsann ich mich, als
ich ihr Quartier kurze Zeit später besichtigte, an ein wohl Boron
gefälliges Pülverchen, das ich bei mir hatte, und so schliefen zwei Minuten
später die zwei auf ihren Strohsäcken tief und fest...
Aus den Reisetagebuchaufzeichnungen einer Scolarin:
Die Götter wollen mich strafen! Nicht genug, dass mich die Professora
hesindae für meine - wie ich schon betonen möchte - hervorragenden
Kenntnisse der Vokabeln strafte, indem sie mich für diese dumme Reise
auswählte und ich so meine Studien für diese Tage mehr oder weniger
einstellen musste, nein, jetzt war unsere Aufgabe auch noch ein Spektakel
für die Bauerntölpel zu veranstalten. Und dann kümmerte sich Hochwürden
nach der beschwerlichen Reise mehr um die Scolaren des Leutnant-Magisters
als um uns; obwohl ich zugeben muss, dass es sehr lustig war, dem Leutnant
bei seinen erfolglosen Versuchen die beiden aufzuwecken zuzusehen und
sogar 'Ebo' (so nenn ich ihn immer in meinen Träumen) schmunzelte ein
wenig...
Argelia von Kuslik, Geweihte der Göttin:
Geschockt ist wohl der richtige Ausdruck, um meine Gefühle zu beschreiben,
die ich hatte. Wir, d.h. Eborëus, der Leutnant und ich, waren nach der
kurzen Ruhepause doch noch zum Schlachtfeld hinübergegangen. Ich war
darauf vorbereitet, dass der Tempel in einem schlechten Zustand ist, aber
der wahre Anblick verschlug mir doch die Sprache. Ich eilte auf den Hügel,
weil ich es einfach nicht glauben konnte: Zerstört, geschliffen - wie von
Wilden! Nun ganz natürlich, dass sich die Novadis hier wohl fühlen, wo
Tempel der Zwölfe zu Ruinen verkommen. Im Stillen dankte ich der Göttin,
dass sie in weiser Voraussicht nicht zu den Göttern gehörte, die sich hier
niederließen.
Dies war aber für alle von uns noch mehr ein Ansporn uns zu bemühen, die
Festlichkeiten unvergesslich zu machen. Ich schlug vor direkt in der Ruine
(ich möchte dies nicht mehr Tempel nennen) unser Werk vorzubereiten und
aufzustellen, da der Hügel ja sowieso der Blickfang für die Leute ist. Mit
vereinten Kräften (und wir waren ein hervorragendes Team) produzierten wir
eine Anlage, die wohl auch einem königlichen Scharlatan würdig gewesen
wäre. Die speziellen Aufgaben teilten wir auf und jeder von uns beendigte
sie im Quartier mit seinen Scolaren.
Aus den Reisetagebuchaufzeichnungen einer Scolarin:
Endlich! Wir konnten doch noch etwas Sinnvolles tun: Wenn alchimistisches
Mixen und Rühren auch nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen gehört, war
es doch sehr interessant, hier meine Genauigkeit und mein
Fingerspitzengefühl zu üben und zu testen. Nur, was ich nicht verstand, und
noch weniger von einer Geweihten wie der unsren, dass man den Pülverchen
Götternamen gab. Gut und schön, es waren sehr komplizierte Techniken und
eigentlich ein großer Aufwand, um sie herzustellen, und trotzdem finde ich
es komisch, wenn ich die vier Flaschen sehe, auf denen PRAios,
RONdra, EFFerd und INGerimm
steht.
Argelia von Kuslik, Geweihte der Göttin:
Schon lange habe ich mich nicht mehr so auf ein Fest gefreut! Wir waren
schon zeitig damit beschäftigt Anweisungen zu geben, damit am Abend auch
alles gelinge, und so war der Tag an sich auch schnell vorbei. In dieser
Zeit füllte sich das Dörfchen mit Menschen und man konnte meinen, dass die
Häuser zusammenbrächen durch die Menschenmassen, die nach Brig-Lo
strömten. Ein geschäftiges Treiben hier, ein freudiges und lautstarkes
Wiedersehen dort und zu dem allen, die Brig-Loer, die sich bemühten
innerhalb dieser paar Stunden soviel Geld wie möglich aus den Gästen
heraus zu holen, und das sogar auf mehr oder weniger ehrliche Art!
Als der Abend kam, waren wir natürlich schon am Ort des Geschehens. Die
zwei Scolaren des Leutnant-Magisters hatten wir als Platzzuweiser für die
höheren Gäste eingeteilt, damit diese auch den vollen Genuss der
Feierlichkeiten miterleben konnten. Die anderen gingen uns zur Hand,
hatten aber auch immer wieder Mühe die Leute vom Ruinenhügel fernzuhalten.
Eröffnet wurde das Fest vom örtlichen Baron selbst, sanach wurde ich gebeten mit anderen Geweihten gemeinsam ein kleine
Andacht zu halten, die sehr würdevoll und feierlich war. Dann kam der große
Augenblick!
Wir drei Magistri verwandelten unsere Stäbe in Fackeln und entzündeten das
Feuerwerk. In allen Farben stiegen die geometrischen Formen, die wir
erwählt hatten, auf, in den Symbolen der Götter. Während der ganzen Zeit
hörten wir die Rufe und das Klatschen der Zuschauer, die uns zusätzliche
Freude bereiteten. Aufgebracht kam eine meiner Scolaren zu mir und
berichtete, dass sie in einiger Entfernung ein paar Novadis gesichtet
hatte. Nun war der Augenblick gekommen, die vier größten Werke zu
beginnen. Gleichzeitig entzündeten wir vier Constructiones, die wir
jeweils vor einer der Statuen aufgebaut hatten. Es war so eingeplant, dass
eine kleine Pause entstand und dadurch auch eine gespannte, knisternde
Stille - und plötzlich erhoben sich dann für die Augen des Betrachters
die vier Statuen der Götter über die Ruine und wuchsen an zu einer
haushohen Größe. Lächelnd stellte ich fest, dass einige Rufe, die man jetzt
hörte, auch etwas Ängstliches in sich hatten, und die Novadis beim Anblick
der Götter verschwanden! Nicht lange dauerte dieser Moment, aber trotzdem
- so hoffe ich - war er für alle - auch für uns - unvergesslich.
Am Ende ließen wir uns erschöpft nieder um nach dieser doch nicht kleinen
Anstrengung auszuschnaufen. Eborëus war es dann, der uns aufforderte jetzt
zu den anderen Leuten zu gehen und selbst den Ausklang des Festes zu
genießen und das taten wir dann auch in einer illustren und angenehmen
Runde. Auch wenn manche ernsten Magi dies vielleicht alles nur als
Kinderei abtun, so waren wir doch geehrt, als der Baron zu uns kam und uns
gratulierte und uns auch für nächstes Jahr wieder einlud.
Aufzeichnungen eines Scolaren:
...all dieser Festlichkeiten und vor allem deren Nachwirkungen zum Trotz
holte uns der 'Leutnant' , wie wir ihn nennen, schon früh morgens aus den
Federn. Obwohl sogar die anderen Magister anfangs noch etwas rebellierten
bewegte uns der Leutnant doch noch dazu aufzustehen. Seine armen zwei
Auserwählten zufürderst, denn sie mussten ja noch ihre Übungen
absolvieren.
Schnell war alles zusammengepackt und Meister Eborëus
schaffte es sogar noch, uns ein ordentliches Frühstück zu organisieren.
Was hätten wir auf der Reise nur ohne ihn getan... Aber andererseits hoffe
ich, dass ihm der viele Lärm und das Getöse gestern und auch der Magistra
Argelia für die Rückreise etwas die Sprache verschlagen hat, sowie der
Leutnant genug von seinen Übungen hat, sonst bin ich nicht unbedingt
erpicht darauf zu wissen, wie die Rückreise verlaufen wird.
Aufzeichnungen eines Scolaren::
Denkt man! Die Rückreise war ein einziges Fiasko! Die Beine begannen
uns schon zu schmerzen, als wir losgingen und unsere Köpfe waren immer
noch hohl und taub von dem Feuerwerk, als ich von meiner linken Seite
schon nur mehr "Arcanium" und "um...um...um..." wahrnehmen konnte. Und
dessen nicht genug, muss mein armer Freund Doraio auch noch ob der Hitze
ohnmächtig werden. Magistra Argelia nahm sich mit dem Jungen eine Kutsche,
um zumindest keine Tagesreise hinten zu liegen, doch als wir sie am Abend
in einer der Reichsstraßenkaschemmen trafen war er immer noch nicht
aufgewacht! Mit allen Zaubermitteln auf der einen und allen Gebeten auf
der anderen Seite vermochten die Magistri es nicht zu schaffen, meinen
Freund aufzuwecken. Doch sein Herz schlug, er war am Leben! Nach einer
langen Debatte entsandte Meister Eborëus
Magistra Argelia mit dem Bewusstlosen in Richtung der Akademie, wir
mussten weiterlaufen... Und es war herrlich gewesen, dass bis zu den
Goldfelsen Meister Eborëus niemanden
hatte, der mit ihm über magietheoretische Dinge diskutieren konnte und wir
waren glücklich, dass der Leutnant seinen Zöglingen eine Last abnahm und
sie nicht mehr umher hetzte, damit kein weiterer umfiel, so musste uns
beim Anstieg zur Akademie auch noch ein Berglöwe den Weg abschneiden!
Selbstbewusst warf sich Meister Eborëus
in den Weg zwischen uns und den Löwen, und der Leutnant zog sein Schwert.
Viel haben wir nicht mitbekommen, weil Meister Eborëus
und gleich weiterlaufen hieß, doch die Beiden stießen recht unversehrt
wieder zu uns.
Nur gut, dass wir jetzt wieder in diesem schützendem alten Gemäuer
sitzen...
von: Philipp Schumacher, Philipp Radi & Christoph Huber Erschienen in Opus no. 141 am 3.2.2002. |