De Natura Daemonis
Wie jeder Be- oder Entschwörer weiß, benötigt man für die
korrekte In- oder Exvocatio verschiedenste Hilfsmittel.
Da wären:
- die korrekte Formel
- die Kenntnis der richtigen Symbole & Polygramme
- deren korrekte Anlage
- die richtigen Paraphernalia, Sternenkonstellation, etc...
Und weshalb das Ganze? Natürlich um erfolgreich einen
Daimon zu beschwören oder auszutreiben. Doch ich bin der Meinung, dass da
viel mehr dahinter steckt.
Nach jahrelangen Studien bin ich zu der Überzeugung gekommen, dass das Be-
oder Entschwörungsritual viel mehr bewirkt, als ein Tor in die siebte
Sphäre zu öffnen und einer Wesenheit somit den Zugang verschafft. Ich bin
der Auffassung, dass man niederhöllische chaotische Essenz ruft und dieser
mittels des Rituals erst eine Gestalt und Form gibt.
Man weiß doch, dass die siebte Sphäre das reine Chaos ist, dass weder
Ordnung noch Naturgesetze dort herrschen. Dass oben unten ist und hell
dunkel. Wieso sollten dann feste Formen dort vorherrschen? Ist es denn
nicht viel logischer, dass erst der Beschwörer der Essenz eine Form gibt?
Wie anders könnte auch eine derart zerstörerische und widernatürliche
Kraft in unserer Sphäre bestehen, wenn ihr nicht zu mindest ein Fünkchen
Ordnung anhaftete. So erklärt sich außerdem, dass bei Fehlen einer oder
mehrerer Beschwörungskomponenten die Invocation und Kontrolle eines Dämons
um ein vielfaches schwerer ist. Den je vager die Form ist, repräsentiert
durch die Formel, umso freier und ungebundener kann die Chaoskraft
agieren.
Die Beschwörung unterliegt hier bestimmten Vorgehensweisen:
- Mit der Formel wird dämonische Essenz gerufen (Hier
spielen Örtlichkeiten und Sternkonstellationen sowie richtige Zeitpunkte
eine entscheidende Rolle).
- Die chaotische Essenz wird mittels diverser Polygramme und
Zeichen in eine ordentliche Form gebracht.
- Paraphernalia und Opfer stimmen den Dämon (der durch den
Zwang der Ordnung meist sehr aufgebracht ist) milde.
- Der wahre Name perfektioniert die Form und gibt dem
Beschwörer Macht über die Kreatur; außerdem lenkt er die Verhaltensweisen
des Dämons in geordnetere Bahnen und macht sie so für den Beschwörer
transparenter.
Die Formgebung hängt folglich von vielen Faktoren ab. Da
die Invocationsrituale für ein und denselben Dämon (z.B. für Heshthotim)
von Beschwörer zu Beschwörer und von Werk zu Werk teils gravierend
divergieren, erklären sich so auch Unterschiede in den Formen dämonischer
Individuen der selben Klasse. Ein weiterer Grund dafür sind Differenzen in
den Ausformungen der wahren Namen, die sich ebenfalls je nach
Niederschrift geringfügig unterscheiden.
Da es sich bei dem wahren Namen um ein thesisähnliches Konstrukt
handelt, kann die Theorie, dass er weitgehend Form und Verhaltensweisen
bestimmt, noch weitergeführt werden, wie es Maga Hetinka Ferjeff, ehemals
Magistra zu Yol Ghurmak, getan hat: Sie behauptete, dass sich der wahre
Name wie eine gewöhnliche Zaubermatrix in der Zauberwerkstatt umformen
ließe, und es so möglich sei, neue Dämonen zu kreieren. Sollte dies
stimmen, könnte man die Chaoskraft mit jeglicher beliebigen Eigenschaft
ausstatten. Wegen dieser These wurde sie aus Yol Ghurmak verbannt, was ich
kaum glauben konnte.
Doch ließ sie sich deshalb nicht entmutigen. Selbst Meisterin der
Zauberwerkstatt, machte sie sich danach sofort daran, ihre Thesis zu
verifizieren. Sie manipulierte den wahren Namen eines gewöhnlichen
Heshthot so, dass er bei der Beschwörung zwar als Heshthot
erscheint, doch zwei mal so gefährlich sein sollte. Dies Experiment
misslang aber.
Der Dämon erschien zwar in geplanter Form, war jedoch um ein vielfaches
mächtiger als erwünscht und ließ sich auch nicht kontrollieren. Magistra
Ferjeff war es somit gelungen, ihre Theorie in pars zu beweisen, da sie
tatsächlich einen neuen Dämon geschaffen hatte, doch endete das Experiment
mit ihrem Tod.
Da ich beauftragt wurde, diese Magierin aufzusuchen und ihr das Handwerk
zu legen, machte ich mich mit zwei Collegae in die schwarzen Lande auf.
Wir fanden sie bereits tot auf und entdeckten dann den noch anwesenden
"Heshthot". Eine astrale Analyse wies ihn auch als solchen aus,
allerdings mit leichten astralen Divergenzen. Mein College, ein
Kampfmagier, versuchte diesen per Magica Combattiva zu vernichten. Als
erfahrener Magus schien dies ja kein allzu großes Problem zu sein. Ein,
zwei Fulminicti sollten da wohl genügen, da es ja ein
reputierlicher Heshthoth zu sein schien. Diese Annahme erwies sich
als falsch. Die Creatur, Amlutias mit Namen, sog richtiggehend die
destructive astrale Kraft in sich auf, schien sie sich einzuverleiben und
dadurch stärker zu werden. Nach einem starken Ignifaxius wuchs ihm
gar ein Horn! Ich bereitete, als ich dies sah, sofort einen
Exvocationskreis vor, um ihn mit einem reversalisierten Heptagon &
Krötenei zu seinem verfluchten Herrn zu schicken. Da eine solche
Angelegenheit ja einige Zeit in Anspruch nimmt, versuchten meine Gefährten
weiter gegen den Dämon anzugehen. Da sie gemerkt hatten, dass
Kampfzauberei nicht wirkte, sondern im Gegensatz ihm mehr Macht verlieh,
hielten sie ihn nur im Schach. Zum Glück war die Austreibung erfolgreich
und dieses Monster verschwand von Deres Angesicht.
Zuerst war ich sehr verstört, da ich als Expertin für Entschwörung
niederhöllischer Wesen davon überzeugt war, die Dynamik der siebten Sphäre
bereits verstanden zu haben, doch als ich Magistra Ferjeffs Aufzeichnungen
studierte, erkannte ich die innere Logik ihrer Ausführungen. Nach meiner
Rückkehr nach Gareth vertiefte ich meine Forschungen und erkannte immer
mehr Zusammenhänge. Diese führten mich schließlich zu den oben
beschriebenen Erkenntnissen.
Anhand dieses Beispiels wird einem wieder bewusst gemacht, welche Gefahren
die Dämonologie auch für die Beschwörer birgt. Bei einer exakten
Wissenschaft wie dieser kann auch die kleinste Abweichung den Tod oder Schlimmeres bedeuten. Stelle man sich vor, es wäre kein Heshthot gewesen,
sondern ein gehörnter Dämon!
Maga Palinai Azirai Nirranor
Gareth, 15. Rondra 32 Hal
Erschienen in Opus no. 143 am 24.2.2002. |