De Natura Daimonii
Von Chaos und Brodem – Abhandlung über
die Wesenheiten der Siebenten Sphäre
verfasst von Meister Barius von Charypso
Magister der Academia Limbologica
Partum tertium
Amazeroth, Herr des Irrsinns, der Täuschung, des Wahns und des verbotenen
Wissens
Wer ist Amazeroth, Was ist Amazeroth? Dies zu ergründen ist dem
Beschwörer nicht möglich. Amazeroth ist alles und Er ist nichts. Über Ihn
kann man nichts sagen, denn Seine Existenz ist nicht in Worte zu fassen.
Was wir über Ihn wissen, ist nur, dass Er der Größte der Mentales ist, der
meistbeschworene und meist unterschätzte der Erzdämonen, der wohl
gefährlichste Widersacher der Götter und doch DAS Unwesen, das dem
Menschen am nächsten steht.
Ihn zu beschwören ist nicht nötig, Ihn zu rufen kein Muss, um mit ihm in
Kontakt zu treten. Wie alle Mentales, doch noch stärker als die andern,
ist ER ein Teil jedes Menschen und in jedem von uns. Wann immer ein
falscher Gedanke gefasst, eine Lüge verbreitet, eine Täuschung vollzogen,
hat man einen Funken Amazeroths in den dunklen Abgründen der Seele. Bloß
durch das Streben nach Macht, durch Täuschung und Betrug und durch die
Anwendung verbotenen Wissens kann Amazeroth bereits Teile unserer Seele
in Besitz nehmen. Eine Beschwörung ist nicht vonnöten um in Seinen Pakt zu
geraten. Ohne dass wir es merken, flüstert Seine unheilige Präsenz in uns
selbst uns immer neue Erkenntnisse und Ideen ein, führt uns zu Größenwahn
und Selbstüberschätzung und frisst sich wie ein Geschwür, das wir erst
erkennen, wenn wir kurz vor dem Tode stehen, durch unsere Gedanken, um sie
alle zu pervertieren.
Die größte Leistung Amazeroths ist die, sich selbst nicht zu zeigen und
wenn doch, dann als schwach und unwirklich. Indem der Beschwörer von der
Nichtigkeit Amazeroths und von seiner eigenen Kraft überzeugt ist, ist der
erste Grundstein in die Verdammnis bereits gelegt. Egal was der Paktierer
auch tut, Amazeroth wird ihn immer täuschen: Wenn man glaubt, man wäre der
Herr, ist man in Wirklichkeit der Sklave; und wer glaubt, er sei aus dem
Pakt mit Amazeroth entkommen, ist in Wirklichkeit einen weiteren Kreis in
die Verdammnis gerückt.
Aus Amazeroths Domäne ist uns nichts bekannt, und wenn jemand glaubt, dass
doch, so ist dies wohl nur wieder eine Täuschung des Vielgesichtigen.
Daher ist von jeder Beschwörung aus dieser Domäne nur abzuraten. Es gibt
nichts, wie man sich bei einer solchen schützen kann, nichts, das nach
meinem Wissen als Paraphernalium dienlich wäre. Amazeroth hat weder eine
bevorzugte Zeit noch eine besondere Zahl. Nur unser lebendiger
wissensdurstiger Geist ist Ihm Lockstoff und Behausung zugleich.
Selbst die größten Beschwörer sind an Ihm zu Grunde gegangen. Ja Borbarad
selbst, sagen manche Beschwörer, sei in Wirklichkeit nicht durch die
allseits gerühmten Gezeichneten, sondern nur durch einen ungeahnten Pakt
mit Amazeroth dieser Welt entrückt – um Ihm auf ewig ein Spielzeug in den
Niederhöllen zu sein.
Vor Amazeroth schützen kann man sich nur durch den Beistand Hesindes.
Indem man mit jeder Erkenntnis, die man macht, mit jedem Gedanken, den man
fasst, und vor und nach jedem Studium, ein Gebet an Hesinde spricht zur
Stärkung des Geistes, kann man sich vor Gedanken des Flüsterers schützen.
Wenn einmal im Pakt jedoch, so gibt es kein Entrinnen mehr. Immer mehr
wird der Paktierer von Größenwahn und dann auch von Halluzinationen und
anderen Wahnvorstellungen eingenommen, bis er völlig verwirrt sein Leben
selbst beendet oder in einem Kloster der Heiligen Noiona sein Dasein bis
zur Einkehr in die Niederhöllen fristet.
Bedenket also, dass ihr nur Narren seid im unendlichen Kreis der Welt –
und dass das Wissen, das uns nicht zu verstehen ist, auch nicht von uns
verstanden werden kann.
Meister Barius
von: Daniel Junker Erschienen in Opus no. 157 am 9.6.2002.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: De Natura Daimonii - Nagrach.
Handbuch für den
reisenden Magus
oder: Von der Last des Reisens - eine Warnung an den
studierten Adeptus
Wenn ich heute zur Feder greife, um Euch, geschätzter und vor allem
gebildeter Leser, zu schreiben, dann tue ich dies, weil mir eine
merkwürdige Geschichte widerfahren ist. Sie soll all jenen als Warnung
dienen, welche soeben ihr Studium der magischen Künste erfolgreich
abgeschlossen haben und sich nun mit all ihrem Wissen und Können in die
weite Welt hinaus wagen wollen - hinein in ein abenteuerliches Leben auf
Reisen.
Ich darf mir schmeicheln, ein Weltenbummler nach dem Vorbild eines Raidri
Conchobair, des Schwertkönigs, zu sein, zumindest in meinem Herzen. Denn
ich war Zeit meines Lebens auf Reisen, obwohl ich selten aus meinem
tulamidischen Polstersessel heraus kam. Wenn Ihr erlaubt, will ich das
kurz erläutern.
Man kann vieles tun, ohne das Haus zu verlassen. Ich jedenfalls habe
beschlossen zu reisen. Mit einem Arsenal von Karten, Plänen und
Reiseberichten ausgerüstet, machte ich es mir zur Aufgabe, jeden Tag einen
anderen Winkel unseres schönen Aventurien zu besuchen - gerade so wie der
Schwertkönig dies tat.
Oh, dieser prachtvolle Sonnenuntergang in Donnerbach, diese im Nordlicht
schillernden Morgennebel auf den Nebelzinnen, diese zu goldenen Sicheln
erstarrten Sandwellen in der Khom und die Zypressenhaine in Aranien... Wie
wurden meine eintönigen Nächte durch die gesammelten Erinnerungen anderer
Reisender verschönt!
Im Laufe dieser Abenteuerreisen habe ich eine besondere Vorliebe für Orte
mit exotischem Namen entwickelt. Es macht mir nichts aus, wenn dort
glühende Hitze herrscht oder Firunskälte - wahrscheinlich, weil sich zu
Hause, in meinem Sessel, die Temperatur kaum ändert.
Eine besondere Schwäche habe ich, wie ich gestehen muss, für
Kyaukpyu auf einer kleinen Insel vor der Küstenebene im Südmeer. Der Name
ist schwierig auszusprechen, er kratzt im Hals, bleibt am Gaumen hängen,
reibt sich an der Zunge und plumpst dann über die Zähne. Es müsste schön
sein, dachte ich, diesen Ort einmal zu besuchen. Allerdings glaube ich
nicht, dass oft Reisende dorthin kommen, und wenn, dann nur ganz selten
und ganz wenige. Denn, wie Euch, geschätzte Leserin, sicherlich bekannt
ist: Die Leute hassen Komplikationen. Allein der Name würde sie
abschrecken. Sie würden sich nicht trauen, ihn zu nennen, aus Angst, ihn
falsch auszusprechen und sich dadurch zum Gespött der Leute zu machen.
Also würden sie schon aus Stolz darauf verzichten, dorthin zu gehen.
Um ganz sicher zu gehen, habe ich mit meinen Kameraden ein kleines
Experiment gemacht: Ich erzählte ihnen, dass ich vorhätte zu verreisen.
"Das wohl!", riefen sie, "Wurde auch Zeit! Endlich wieder ein Abenteuer!
Wohin soll's denn gehen? Nach Maraskan? Ins Nivesenland? Vielleicht sogar
nach Al'Anfa?"
"Nach Kyaukpyu."
Ihre Miene wechselte augenblicklich.
"Ah...ja...äh...Kja...kpy...hmm. Ich glaube, da können wir nicht mit.
Leider, du weißt, wir werden hier gebraucht... Schönen Stab hast du
da, ist der neu?"
Ich hingegen sagte mir: Wenn ich nur eine einzige Reise in meinem kurzen
Leben machen sollte, wenn es einen Ort gäbe, der mich aus meinem feinen,
weichen tulamidischen Sessel reißen könnte, dann wäre es Kyaukpyu.
Das Lästige am Reisen - sofern es nicht nur im Polstersessel und auf
der Landkarte stattfindet - sind die Mitreisenden. Nicht dass Ihr nun
denkt, dass ich ein Menschenfeind wäre, aber die allzu große Nähe anderer
ist mir unangenehm. Außerdem kann ich, behaglich in meinem Sessel sitzend,
in Gipflak oder Nerenenah verweilen, so lange ich möchte. Meine Gefährten
würden womöglich zum Aufbruch drängen, weil irgendwelche Schätze locken,
oder harmlosere Orte mit verheißungsvolleren Namen wie Gareth, Festum oder
Riva vorziehen. Und das in solchen kameradschaftlichen Abenteurer- und
Reisegruppen übliche hierarchische System würde von mir verlangen, dass
ich mich dem Wunsch der anderen beuge.
Um in aller Ruhe Kyaukpyu zu besichtigen, wäre es wohl am besten, ich
verreiste allein.
Ich hatte so lange Zeit in meinem Polstersessel zugebracht, dass ich einen
gewissen Hang zum Unbequemen verspürte. Also beschloss ich auf den
übersteigerten Luxus einer komfortablen Reise an Bord eines dreimastigen
Seglers zu verzichten und mit der nüchternen Effizienz eines gewöhnlichen
Frachters vorlieb zu nehmen.
Als meine Entscheidung gefallen und mein Reisebündel verschnürt war,
machte ich mich auf den Weg zum Hafen. Dort fragte ich, die gewiss
sinnvolle Einrichtung der Hafenmeisterei völlig außer Acht lassend, die
Kapitäne der auf Reede liegenden Schiffe: "Fahrt Ihr nach Kyaukpyu?" "Was,
wohin?", fragten sie zurück. "Nach Kyaukpyu", wiederholte ich. "Bösen
Husten habt Ihr Euch da eingefangen. Solltet mal zu einem Medicus gehen",
meinten die meisten.
Dann kam ich zum letzten Schiff, einem uralten Frachter mit bleichem,
verkrusteten Kiel, dessen brandiger Rumpf aus zahllosen Rostlöchern
blutete. Der Name 'Skipskjelen' schien mir ein gutes Vorzeichen - jedes
zweite Schiff heißt ja ohnehin 'Efferdsbraut'. Beherzt erklomm ich den
Steg, der unter der ungewohnten Belastung heftig schwankte, und machte
mich auf die Suche nach dem Kapitän, den ich in seinem Quartier
aufstöberte.
Mit seiner ankerbestickten marineblauen Jacke und seinem schwarzen Bart,
der ein vom Schwell der Jahre durchfurchtes Gesicht überwucherte, sah er
genauso aus, wie man sich einen alten Seebären vorstellt. Die Pfeife im
Mundwinkel, schlürfte er ein Gläschen bernsteinfarbenen Jahrgangsrum, der
in seinen meerblauen Augen iltokische Funken schlug.
"Ich will nach Kyaukpyu, Kapitän", sagte ich ohne Umschweife. Er hob den
Kopf und sah mich neugierig an. Ein schmales Lächeln teilte den
Algenvorhang auf seinen Wangen. "Nach Kyaukpyu? Malerisches Örtchen, nur'n
bisschen ruhig, würd' ich sagen. Willkommen an Bord, Jan Maat."
Am nächsten Tag legten wir ab. Glaubt mir, es war eine wundervolle
Reise. Ich verbrüderte mich gleich mit dem Kapitän, der hinter seinem
bärbeißigen Gehabe ein Herz aus Gold verbarg. Ich hätte von früh bis spät
zuhören können, wenn er von den Abenteuern erzählte, die ihn vom
Nivesenland bis zu den Altoum-Inseln geführt hatten. Aufmerksam
überprüften wir jeden Tag das Vorankommen unseres Schiffes, er auf seinen
mit unerkenntlichen Zeichen bedeckten Thorwaler-Karten, wie er mir stolz
mitteilte, ich auf meinen Landkarten, wo ein barbarisch klingender Name
dem anderen folgte: Badr Hunayn, Ra's ash-Sharbithat, Srivardhan usw.
Bei Sonnenuntergang ging ich in die Kapitänskajüte, um ein wenig mit ihm
zu plaudern. Da saßen wir dann, umwölkt von den bläulichen Kringeln, die
duftend seiner Meerschaumpfeife entstiegen - denn dass es eine
Meerschaumpfeife war, versteht sich ja von selbst. Der Kapitän kippte sich
schwungvoll ein Glas Meskinnes hinunter und goss sich noch ein zweites
ein, bevor er von neuem zu den phantastischen, mit tausend kräftigen
Flüchen gespickten Schilderungen seiner Irrfahrten über die Meere und
Ozeane anhub, die in mir ein lebhaftes Echo fanden.
Dann, nach einem großartigen Sonnenuntergang im Südmeer, kam das, wovor
mich bereits Tausende von Reiseberichten sowie sämtliche mit bekannten
Kapitäne und Schiffseigner gewarnt hatten: "Jede Schiffsreise", so sagten
sie, "absolut jede Schiffsreise, bei der man entweder eine Gruppe oder
aber auch nur einen Abenteurer mit an Bord nimmt, endet in einem Sturm.
Dies scheint ein ungeschriebenes Gesetz dieser Welt zu sein." Und
tatsächlich: Die entfesselten Elemente fielen über den alten Kahn her und
rissen ihn von Luv nach Lee, dass sein Gerippe die ganze Nacht ächzte und
stöhnte. Ich hatte Ölzeug über meine Gewandung gezogen und versuchte, ohne
auf die Gefahren zu achten, mich zum Steuerrad durchzukämpfen, wo der
Kapitän unverzagt die Stellung hielt, um die Skipskjelen vor dem Untergang
zu retten. Heulende Böen und klapperndes Holz gaben ein ohrenbetäubendes
Konzert, während ich mich mit aller Kraft dem Sturm entgegenstemmte. Das
oben angesprochene Weltengesetz wollte es, dass das Schiff in dem Moment,
als ich auf der wasserglänzenden Brücke ausrutschte, Schlagseite bekam, so
dass eine auf Deck hereinbrechende Woge mich von Bord spülte.
Ich bin ein miserabler Schwimmer und ich verdanke mein Leben nur dem
glücklichen Umstand, dass, kurz bevor ich ertrunken wäre, ein Stück
Treibholz vorbeigeschwommen kam. Verzweifelt klammerte ich mich daran und
ließ es nicht mehr los, während ich in wilder Berg- und Talfahrt von
Wellenkamm zu Wellenkamm schlingerte. Als sich die See besänftigt und der
Himmel wieder geklärt hatte, stellte ich fest, dass ich auf einer kleinen
Insel gestrandet war. Meine ganze Ausstattung bestand aus einem Paar
durchnässter Schuhe sowie meinem wasserfesten Reisebündel, in welchem sich
einige Blätter und ein Kohlestift befanden. In diesem Moment musste ich
mir eingestehen, dass Reisen, für die man seinen Polstersessel verlässt,
gewisse Unannehmlichkeiten mit sich bringen. Und sogleich griff ich zum
Stift und begann meine Erlebnisse aufzuzeichnen, um so dieses furchtbare
Schicksal, welches mich ereilte, von anderen abzuwenden. So entstanden,
geschätzter Leser, geschätzte Leserin, diese Zeilen hier, die Ihr gerade
lest.
Voll Überzeugung und dem besten Wissen darum, auch in praktischer
Hinsicht, kann ich nun also sagen, dass das Reisen, zumal das
abenteuerliche Reisen, jedem studierten Magus aufs dringlichste abzuraten
ist. Besser wäre es da schon, wenn sich jeder Adeptus nach dem Beenden der
Scolarenzeit einen bequemen Polstersessel, meinetwegen auch einen
gewöhnlichen Sessel aus Holz, aneignet, und diesen sein ganzes Leben lang
nie wieder verlässt.
Bericht eines unbekannten Magus
gefunden in einem Holzfass an einem Strand irgendwo am Südmeer
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 157 am 9.6.2002. |