De Natura Daimonii
Von Chaos und Brodem – Abhandlung über
die Wesenheiten der Siebenten Sphäre
verfasst von Meister Barius von Charypso
Magister der Academia Limbologica
Partum quartum
Der Herr des eisigen Weges, der ewige Jäger, Nagrach, der frostige
Verderber der Seelen
Selbst hatte ich noch nie direkten Kontakt zum eisigen Verfolger, habe ihn
oder einen der Seinen noch nie selbst beschworen noch war ich je bei einer
Beschwörung anwesend – bis zu dem Zeitpunkt, als durch eine Fügung der
Götter ein verwitterter Nivese Namens Arjuk während einer Expedition in
den Norden mit dem Auftrag einen seltenen Stein zu finden direkt in meine
und meiner Begleiter Hände schneite:
Kälte – alles was ich noch spürte oder woran ich noch denken konnte war
die Kälte und der Schmerz in meinen Gliedern. Meine Hände waren gefesselt
und ich war schon viele Male in den kalten Schnee gefallen, beinahe nicht
mehr in der Lage mich auf den eigenen Beinen zu halten. Doch sie trieben
mich immer weiter. Ich konnte kaum meine eigene Hand vor den Augen sehen.
Der Schneesturm war so stark, dass nur noch eine weiße Wand mich zu
umgeben schien. Doch dann sah ich plötzlich wie vor mir der Umriss von
etwas äußerst Großem erschien. Zuerst erkannte ich es nicht, doch als wir
näher kamen wurde es immer deutlicher: Ein gewaltiger Wasserfall mitten im
Nichts einer endlosen Eiswüste. In der Kälte war selbst der gewaltige
Wasserfall vor uns zugefroren und eine schier undurchdringbare Wand aus
haushohen Eiszapfen versperrte uns den Weg. Da trat der geheimnisvolle
Schamane vor und legte seine bloße Hand auf das Eis des Wasserfalls.
Minuten stand er dort unbewegt. Nicht einmal zu atmen schien er noch, als
plötzlich das Eis unter seinen Händen zu krachen begann und wie durch
einen übermenschlichen Hammer getroffen die Eiswand vor dem Schamanen in
tausend Splitter zerbarst. Der Weg war frei. Mit einem rauen Stoss trieb
mich mein Bewacher wieder vorwärts und in Eile durchschritten wir das
geschaffene Tor um in eine riesige eisige Höhle zu kommen. Es war völlig
finster darin, aber meine Begleiter schienen dennoch ihren Weg unbeirrt zu
finden und trieben mich in schnellem Tempo voran. Ich weiß nicht, wie
lange wir dort gingen, aber es war lange genug, dass ich völlig die
Orientierung verloren hatte, als plötzlich ein kleiner Lichtschein aus der
Ferne zu sehen war. Wir gingen auf ihn zu und wie sich herausstellte, war
es eine Öffnung, eine Öffnung die auf ein riesiges freies Feld aus Schnee
und Eis führte. Dort war es völlig windstill doch erstaunlicher Weise noch
um vieles kälter als noch Stunden zuvor inmitten des Sturms. Doch schien
die Kälte hier anders zu sein. Sie schien nicht nur von außen sondern auch
in gewisser Weise von innen zu kommen. Mehrere Menschen waren an dem Ort
versammelt, zu dem ich gebracht wurde: Es war eine riesige Eisspalte
inmitten eines in den Schnee gezeichneten Sterns. Die anwesenden Leute
waren allesamt in weiße Pelze gekleidet und trugen bläulich funkelnde
Steine an ihrer Stirn. Ihre Gesichter waren hinter schneeweißen,
regungslosen Masken verborgen, sodass jeder von ihnen so leblos anartete
wie die Eiswüste selbst. Ich wurde von meinem Begleiter direkt an die
tiefe Eisspalte gebracht und dort an einen aus dem Schnee ragenden Pfosten
gebunden. Ich hatte keine Ahnung was mit mir zu geschehen hatte aber ich
ahnte dass etwas hier vor sich ging von dem ich lieber nicht gewusst hätte
– und ich ahnte dass ich ein zentraler Teil dieses Etwas sein sollte. Und
dennoch empfand ich keine Angst – Die Kälte in all meinen Gliedern
schmerzte so sehr, dass selbst die Angst wie all meine Gefühle und
Gedanken wie eingefroren waren. Stundenlang muss ich dort an diesem
Pfosten gestanden haben, denn vor Kälte und Hunger schwanden mir die
Sinne. Als ich wieder erwachte war ich immer noch an der selben Stelle,
doch ein lautes Gebrüll und Gestöhne war von allen Seiten um mich herum zu
vernehmen. Ich sah mich mit geschwollenen Augen um und konnte nur
schwerlich erkennen wie 7 der zuvor erkannten Gestalten an den Enden des
in den Schnee gezeichneten Sterns Aufstellung genommen hatten und
gewaltige, seltsame Laute von sich gaben. Auch andere Gefangene waren auf
einmal da. Direkt neben mir stand eine Frau, ebenfalls an einen Pfosten
gefesselt und zu meiner Linken ein anderer Mann. Er schien noch immer von
Sinnen zu sein. Ich bekam Angst – nicht die Angst mein Leben zu verlieren
– die hatte ich schon seit Tagen überwunden, als ich mich bereits im
Schneesturm mit meinem Tod abgefunden hatte und begann ihn gar nicht als
so schlimm zu empfinden – nein ich hatte Angst, dass etwas Schlimmeres als
der Tod hier auf mich lauern könnte. Und ich hatte recht. Denn mit einem
Mal begann es zu zischen und eine Wolke aus Eis und Schnee brauste mit
lautem Krachen und Heulen aus der Eisspalte vor mir empor. Die
undurchdringliche Wolke war kälter und gewaltiger als alles was ich je
gesehen hatte. Unendlich schnell schien sie sich wie ein Orkan um ihre
eigene Achse zu drehen und bestrebt zu sein alle um sich herum in sich
aufzusaugen. Meine Sinne erstarrten und eisiger Frost durchzog all meine
Glieder, als ich sah, dass das vor mir nicht nur eine Wolke aus Schnee
war: Zwei leuchtende, leblose aber riesige Augen erschienen plötzlich in
ihrem Inneren und ein Schlund aus Eis und Frost tat sich unter denselben
auf, der alles zu verschlingen suchte. Ohrenbetäubendes Gebrüll brach
hervor und die Augen starrten auf die dargebotenen Opfer, als ich
plötzlich bemerkte, dass meine Fesseln durchschnitten wurden. Mit einem
Mal war mir bewusst, was ich zu tun hatte. Ich wandte mich um und begann
zu laufen. Und die anderen Gefangenen taten es mir gleich. Ich fragte mich
nicht warum ich freigelassen wurde, noch wie es den anderen gelungen sein
konnte, sich zu befreien, ich nahm nichts mehr rund um mich wahr – denn
ich wusste, dass ich nun um mein Leben und um meine Seele zu laufen hatte.
Ich rannte voller Schmerz in den Beinen und immer wieder hörte ich hinter
mir das Gebrüll dieses Unwesens und die Schreie anderer Menschen – gar
meiner Mitgefangenen. Ja so musste es sein – denn ich war plötzlich allein
– alle anderen hatte ich zurückgelassen, doch das Heulen des Dämons konnte
ich noch immer in meinem Rücken hören. Meine Kräfte wurden schwächer und
meine Sinne begannen zu schwinden. Ich rief ein Gebet an alle Götter und
im Besonderen an den Herren des Nordens und während ich dabei war, mein
Leben endgültig aufzugeben, erhörte er mich. Vor mir erschienen die
Schemen von 4 Männern. Ich wusste nicht, ob ich dort Hilfe finden konnte,
doch ich lief direkt auf sie zu und warf mich vor ihnen in den Schnee. Sie
schienen nicht allzu überrascht, denn sie schenkten mir keine
Aufmerksamkeit – vielmehr starrten sie hinaus in die Richtung, aus der ich
gekommen war. Und dann hob einer von ihnen einen Stab. Das Heulen hinter
mit wurde immer lauter und Kälte zog erneut in mir auf, je länger ich am
Boden lag – da hörte ich eine Stimme schreien: "Cede Daimon – in Nomine
Deorum!" Und dann sah ich wie die vier Unbekannten ihre Hände nach vorn
streckten und mit einem Male war die Luft erfüllt mit Flammen. Ein Meer
der feurigen Glut ergoss sich aus ihren Fäusten – und dann schwanden mir
erneut die Sinne….“Ad Primum: Was ist Nagrach?
Wie man schnell vermutet und vielleicht sogar weiß, wenn man meine letzten
Artikel gelesen hat, ist Nagrach ein Erzdämon der Elementares. Als
in seinem Wesen und in vielen anderen Dingen vergleichbar mit der schon in
ihrem Sein beschriebenen Charypsa. (siehe
dort)
Wie alle Elementares ist er eng an sein Element – in diesem Fall an
das ewige Eis gebunden – und so sehr er es hasst, so sehr braucht er es,
um auf dieser Welt Gestalt annehmen zu können. Ihm gegenüber stehen zum
einen der Herr des Elements Eis und auch das ganze Element mit all seinen
Repräsentanten, sowie der Gott Firun. Wie alle Elementares vergleicht man
Nagrach nicht nur mit einem Element, dem er zugetan ist, sondern auch mit
einer diesem Element zugeschriebenen Eigenschaft und Tätigkeit. So ist es
die menschliche Eigenschaft des Starrsinnes, welche die Nagrachsche Essenz
im Menschen darstellt, die wie alle daimonischen Essenzen (Hass, Neid,
Gier...) laut mancher Forscher vom Namenlosen selbst in unsere Herzen
gepflanzt worden sein soll. Die bevorzugte Tätigkeit, die Nagrach eigen
ist, ist die Jagd. Wie auch der Herr Firun wird Nagrach für die gute Jagd
gerufen, doch ist es wie bei allen Daimonen so, dass seine Jagd nicht
dieselbe ist, wie die göttliche: Er strebt im ersten Sinne danach die
Opfer zu quälen, sie zappeln zu lassen und dann vor allem sie zu töten.
Während die Firunsche Jagd stets Mittel zum Zweck (und zwar Nahrung und
Kleidung zu gewinnen) ist, ist die Nagrachsche Jagd Selbstzweck, wie der
Gelehrte sagt.
Ad Secundum: Die Domäne des Eises
Wie bei vielen Elementares, sind auch bei Nagrach eine Vielzahl von
untergebenen Dämonen bekannt und man kennt auch in seiner Domäne die
Möglichkeit Daimoniden zu bilden – also seine Dämonen an die 3. Sphäre zu
binden. (Was meiner Erfahrung nach fast ausschließlich bei elementaren
Dämonen möglich ist.) Im Allgemeinen kann man sagen, dass Nagrach einer
der bekanntesten, meistbeschworenen und scheint's am besten verstandenen
Dämonen sogar unter den Elementares ist. Diese sind, wie schon
erwähnt, in ihrer Gesamtheit, obwohl dem menschlichen Geist weniger
nahestehend als die Mentales, weit besser verstanden als alle anderen
Dämonen. Vielleicht liegt dies auch daran, dass der Mensch den Aufbau der
Elemente und der Welt an sich manchmal besser versteht, als seinen eigenen
Geist. Eine Erfahrung die mir immer einleuchtender erscheint.
Ad Tertium: Die Nagrachsche Beschwörung
Wie bei allen Erzdämonen ist auch hier von einer direkten Beschwörung
Nagrachs selbst in jedem Falle abzuraten, wenn auch gesagt wird, dass er
schon einige Male nach Dere gerufen worden sein soll.
Die Gefahr, die eine Beschwörung aus der Domäne des Nagrachs jedoch mit
sich bringt, ist meist, wie bei allen Elementares, recht gut
abzuschätzen und vorherzusehen, weswegen eine recht ungefährliche
Beschwörung möglich sein sollte. Ganz im Gegenteil zu den Dämonen der
Mentales, die man so wenig versteht, dass man kaum über wirksame
Schutzhilfen verfügt. Auch stellen die Elementares zumeist mehr
Gefahr für den Körper als für die Seele des Menschen dar. Während im
Gegensatz dazu die Mentales fast nie eine Gefahr für das Leben
darstellen, weswegen sie von manchen als ungefährlich eingestuft werden.
Diese jedoch können den menschlichen Geist besetzen und in den Wahnsinn
oder gar in einen ungewollten Pakt ziehen – weshalb ich sie als die
Gefährlichsten von allen betrachte.
Was ist nun zu beachten? Einiges, was für eine sichere Beschwörung
eines Nagrachschen Dämons nötig ist, sieht man schon im obigen Bericht:
1. Das Element:
Zunächst ist es unabdingbar, das das Element Eis in ausreichendem Masse
zugegen sein muss, was nicht in jedem Falle einfach ist.
2. Die Zeit:
Die Jahreszeit sollte stets der Winter, die Zeit des Eises sein,
wenngleich nicht im Mond des Firun. Als Tageszeit ist die kälteste Stunde
– also die Zeit kurz vor Tagesanbruch zu wählen.
3. Die Zahl:
Die Zahl des Nagrach ist die Fünf: sie steht für das fünfte Element, Eis
und Kälte. Sie ist nicht teilbar, also stark und standhaft in sich selbst.
Ihre Vielfältigen enden immer wieder mit 5 oder mit 0. Also wenig
abwechslungsreich und eintönig. 0 ist die Zahl der Kälte, der Starre, des
Nichts und des Leblosen, Eigenschaften, die gerade dem Nagrach eigen sind.
Auch ist die fünfte Stunde des Tages die kälteste.
4. Die Paraphernalia:
Als Paraphernalia sind im Besonderen Jagdgegenstände aller Art geeignet,
mit denen bereits Wild oder besser noch Menschen erlegt wurden. Außerdem
dienen Jagdtrophäen, wie Felle und Häute (auch menschliche) als besondere
Wertgegenstände in der Nagrachschen Beschwörung. Der Stein des Nagrach ist
der Eiskristall, oder wenn nicht verfügbar, ein möglichst aufwendig
geschliffenes Glaswerk.
Der Beschwörer selbst sollte immer seine Menschlichkeit verbergen und
versuchen hinter einer weißen Maske mit der Eintönigkeit der Eiswüste eins
zu werden. Feuer am Ort der Beschwörung, auch um Licht zu entfachen, ist
nicht anzuraten. Auch sollten Pflanzen und andere lebende Dinge entfernt
werden.
5. Opfer:
Die Verwendung frischen Blutes ist sicherlich nicht zielführend, auch
sollten keine Opfer zu Gunsten Nagrachs getötet werden.
Was jedoch ein zentraler Teil der Beschwörung ist, ist wie schon im
Bericht gelesen, die Jagd: es sollte dem Dämon immer zumindest ein Opfer
angeboten werden, dem eine lächerliche Möglichkeit der Flucht angeboten
werden sollte. Die Jagd sollte immer stattfinden, doch zugleich immer
aussichtslos für das Opfer sein, denn Nagrachsche Dämonen zehren besonders
aus der verzweifelten letzten Hoffnung einer im Prinzip schon gefangenen
Beute, aus deren Angst und deren Willen zu überleben. Dies macht die
Nagrachschen Dämonen gar in besonderer Weise dem Beschwörer gefügig und
soll die Beherrschung um Vieles erleichtern. Sollte das Opfer jedoch durch
widrige Umstände tatsächlich dem verfolgenden Dämon (eigentlich nicht
denkbar) entkommen, muss der Beschwörer mit ausgesprochener Wut des Jägers
fertig werden.
Ad Quartum: Der Pakt
Um in einen Pakt mit Nagrach zu treten bedarf es wie bei allen
Elementares einer direkten Absicht etwas solches zu tun. (Im Gegensatz
zu den Mentales, in deren Pakt man auch ungewollt „hineinrutschen“
kann). Auch ist der seine einer der milderen Pakte, denn er verleiht dem
Beschwörer wahrhaft große Vorteile und Kräfte und lässt den selben für
verhältnismäßig lange Zeit in seiner eigenen Existenz. Dennoch ist in
jedem Fall nicht damit zu scherzen, denn wer einmal in den Fängen des
Jägers ist, kann diesen schier unmöglich wieder entkommen und wird zuletzt
doch untergehen.
Ein Nagrachscher Paktierer ist vor allem daran zu erkennen, dass es ihn
stets in die Kälte zieht. In armen Räumen oder am Feuer wird man ihn kaum
entdecken. Auch ist er stets vom Gedanken der Jagd getrieben: Von der
Überzeugung immer wieder neues und Größeres zu erlegen und auch von der
Überzeugung stets selbst gejagt und verfolgt zu sein. Dies veranlasst ihn
häufig immer wieder seinen Aufenthaltsort zu wechseln und ständig
umherzuziehen.
Die Augen eines Paktierers des Eisigen sind stets wie der Herr der Kälte
selbst: starr, leblos und scharf wie eine Pfeilspitze.
Meister Barius von Charypso
von: Daniel Junker Erschienen in Opus no. 166 am 11.8.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu De Natura Daimonii - Amazeroth. |