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Die Traditionen : Der Kult der Ekstase : Die Rückkehr der Megamaschine

  Kultisch-Ekstatische Betrachtungen der Technokratie

Platon, dessen Philosophie uns als eine der ersten und bedeutendsten gilt, hatte erstmals1 die Idee, den Mensch in Körper und Seele, in Materie und Geist zu trennen. Doch Platons Seelenmetaphern (wie z.B. das Höhlengleichnis) sind durchwegs technischer Natur, und seine Auffassung, dass alles auf Geometrie zurückgeführt werden könne, wurde in späteren Zeiten, vor allem in der Aufklärung, begeistert aufgenommen. Seine Gedanken scheinen heute als Grundlage aller Haupttraditionen moderner Wissenschaft und Technik – und leider auch manch anderer Tradition (wie z.B. der Hermetiker), die sich damit zufrieden geben, die Stellung des Geistes gegenüber der Materie verbessern zu wollen, und so ein scheinbares Gleichgewicht in diesem falschen Menschenbild herzustellen.

Denn was in Platons Weltbild und allen darauf aufbauenden, heute verbreiteten Menschenbildern fehlt oder zumindest extrem vernachlässigt ist, sind die Gefühle.
Doch gestützt auf Platons Gleichnisse machte sich die Technokratie seit der Zeit der Aufklärung daran, eine allumfassende Kriegs- und Arbeitsmaschinerie zu konstruieren, wie sie bereits im Ägypten der Pharaonen ansatzweise angedacht und verwirklicht war. Die Disziplinierung aller Gefühle, Lüste und Triebe durch die Kirche, durch fragwürdige Moral- und Sittenvorstellungen und selbstverständlich auch durch die Psychoanalyse Freuds, das massenhafte Bevölkerungswachstum und etliche andere Faktoren schufen im Laufe der letzten 1000 Jahre die Voraussetzungen für die Neuentstehung dieser technokratischen Megamaschine.

Heute, fast gänzlich von ihren kultischen Fesseln befreit, überzieht sie unseren Planeten mit einem Netzwerk von Produktion, Information und Simulation, vor allem von simulierten (Ge-)Lüsten und Gefühlen.

Im Mittelalter noch diente eine Reihe von technischen Erfindungen dem Menschen und seinem oftmals künstlerischen Schaffen. Sie erleichterten zwar die Arbeit, doch die technischen Neuerungen waren allesamt mit der schöpferischen Initiative und der Individualität des Menschen verbunden.
Doch dieses System einer kultischen Fesselung der Technokratie wurde in unserer Zeit durch die rasch aufkommende, unpersönliche Marktwirtschaft, eben jener totalitären Megamaschine, vernichtet.

Ein entscheidender Punkt dieser Abstreifung der Fesseln der Lust soll hier genauer untersucht werden: Mit der Erfindung der Uhr und somit der mechanischen Zeitmessung gelang es der Technokratie einen Gutteil des menschlichen Fühlens ins Wanken zu bringen und zurückzutreiben. Nicht nur wurde dadurch das Leben und Wirken jedes Menschen unter das Diktat der Zeit gestellt, wurde der Rhythmus von Tag und Nacht, von Saat und Ernte usw. mit einem Male geändert, vielmehr wurde jegliches individuelles Zeitgefühl nach und nach eliminiert und somit dem Zeit vom Menschen getrennt und zu etwas selbstständigem gemacht. Diese neue, mechanisierte Zeit ersetzte Qualität durch Quantität, sowohl in der Produktion als auch in der Lebensqualität der Menschen. Alle verlernten auf ihr individuelles Zeitgefühl zu vertrauen, da sie sich von ihm „betrogen“ fühlten, und somit nahm man die neue Zeitmessung als legitimen Grund für die Einführung eines genauen Zeitreglements hin, bei dessen Nicht-Einhalten Disziplinierungsmaßnahmen im Kauf zu nehmen waren.

Damit (sowie durch zahlreiche andere Entwicklungen) wurden die menschlichen Körper im Laufe dieses Prozesses immer mehr an die Maschinen angepasst: Sie hatten, wie an der Fließbandarbeit schön zu sehen ist, im Gleichklang, möglichst fehlerlos, unerschöpflich und niemals müde, mit einer Regelmäßigkeit zu funktionieren, die sehr stark an eine Maschine erinnert.
Dass dieser Anpassungsprozess der Körper an die Maschine auch heute noch in vollem Gange ist, lässt sich deutlich an den Metaphern sehen, die das Gehirn einem Computer gleichsetzen oder das menschliche Genom einem Code.

Gerade die Wissenschaft wurde zu einem bedeutenden Rad in dieser neuen Megamaschine. Ihr Bestreben, der Natur alles Geheimnisvolle zu nehmen, legte es nahe natürliche Prozesse und Phänomene mit denen einer Maschine zu vergleichen und sie dadurch in ein Korsett der Regeln und Gesetzmäßigkeiten zu pressen. Nicht Messbares, nicht Quantifizierbares wurde zum Störenfried in dieser neuen Welt (und nicht selten war dies der Mensch selbst) und meistens vernichtet.

Das in den Menschen geweckte Misstrauen gegenüber den Emotionen und Gefühlen sowie die Überbetonung der Vernunft ermöglichten heute die Produktion eines Menschen, der sich der Ordnung der Disziplinen fügt und seine Gefühle zugunsten seiner rationalen Aufgaben als Bauteil der Megamaschine unterdrückt.
Der eigentliche Erfolg dieser Technisierung beruht jedoch darauf, dass die Zucht von außen, die unter den Pharaonen übliche Peitsche des Aufsehers, schrittweise ersetzt wurde durch eine innere, verinnerlichte Selbstdisziplin. Nicht zuletzt dank der Psychoanalyse werden die Kräfte der Emotionen heute nicht mehr in Ketten gelegt oder massenweise unterworfen, sondern sie werden auseinander genommen, analysiert und getrennt, bis nichts mehr von ihnen übrig bleibt. Dabei kommt auch der Schule eine wesentliche Rolle zu, denn sie erzieht die noch gefühlvollen Kinder zu nützlichen Mitgliedern der Gesellschaft, die sich lückenlos in die Megamaschine einfügen lassen, ja sogar selbst und freiwillig darin ihren Platz suchen.

Mit Hilfe des objektiven mechanischen Weltbildes ist heute eine Gesellschaft entstanden, die selbst wie eine Maschine funktioniert, betrieben von Menschen, die in einem weitgehend maschinell erzeugten Lebensraum für abstrakte Ziele nicht mehr leben, sondern funktionieren.

Von Theo von Förster

1 Man nimmt an, dass auch Platon in seinem Menschenbild von fernöstlichen Einflüssen geprägt war, und selbstverständlich wurde auch Platon durch die Ideen der Vorsokratiker beeinflusst, doch für unsere Belange kann er getrost als der Erfinder des Trennung zwischen Materie/Körper und Geist/Seele gelten.

(Philipp, 2003)


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