|
|
Nuntius Magicus - Der Magische Bote |
Träume, die der Nordwind bringt 20. Woche des 3. Jahres Besorgt blickt Tronje über seine Schulter zum östlichen Horizont, wie schon so oft in der letzten Stunde. Die schwarze Wolkenbank füllt nun schon fast das gesamte Blickfeld aus, und die bisherige steife Brise gewinnt stetig an Kraft. Prüfend läßt Tronje den Blick über sein kleines Boot schweifen, das ihm in den letzten Wochen so gute Dienste geleistet hat. Im Südwesten erhebt sich am Rande des Blickfelds immer noch verschwommen Kap Razad. Wenigstens frei von der Leeküste. Mit geübten Handgriffen verstärkt er den kleinen Mast mit zusätzlichen Haltetauen verkleinert das primitive Segel. Dann setzt er sich mit einem grimmigen Lächeln wieder ans Steuerruder.
Stunden, vielleicht auch Tage später. Inzwischen hat Tronje jedes Zeitgefühl verloren. Es muß nun mitten in der Nacht sein, allerdings ist das bei dieser tiefschwarzen Wolkendecke schwer festzustellen. Inmitten dieses Höllenpfuhls ist er froh, wenigstens die Richtung halbwegs bestimmen zu können. Einfach immer den Wellen nach. Die Brecher türmen sich turmhoch über der kleinen Nußschale auf, und der Orkan bläst mit voller Wucht. Schon vor einer kleinen Ewigkeit wurde das kleine Segel weggerissen, und das Ersatzsegel hielt allenfalls einige Minuten. Doch inzwischen ist das nicht mehr wichtig, die winzige Querschnittsfläche des Mastes und Tronjes Rücken sind absolut ausreichend, um dem Boot eine atemberaubende Geschwindigkeit zu verleihen. Atemberaubend sind auch die Wassermassen, die im Minutentakt über ihn hereinbrechen, doch noch schwimmt das Boot.
Tronje sieht das Verhängnis kommen. Blitzschnell springt er auf und hält sich am Mast fest, als auch schon eine gewaltige Welle über ihn kommt und sein Gefährt buchstäblich in Stücke reißt. Prustend und schnaufend erreicht er wieder die Oberfläche, immer noch den Mastbaum umklammernd. Verzweiflung und Wut entladen sich endlich, und Tronje Hâlvestan erhebt drohend die Faust gegen die himmelhohe Wasserwand, die auf ihn zurauscht.
"Mich kannst du nicht brechen, mich kannst du nur töten!" schreit er gegen den Sturm, der die Worte sofort hinwegreißt. Dann läßt er das Holzstück los und beginnt zu schwimmen, immer den Wellen nach, in Richtung Heimat. Flüchtig vermeint er die Umrisse eines gewaltigens Gesichtes in der Wasserwand zu erkennen, als diese über ihn hereinbricht und seine Sinne schwinden.
Durch ein unsanftes Rüttlen wird Tronje geweckt. Er öffnet die verkrusteten Augen und erkennt unscharf das Gesicht eines alten Mannes. Dann verliert er wieder die Besinnung.
Als er später am Tag wieder erwacht, geht es ihm schon besser. Der brennende Durst ist weg, und er liegt auf einem einfachen Lager aus Fellen. Neben ihm sitzt der Alte Mann. Während er beginnt, ihm wieder Wasser aus einem Lederbeutel einzuflößen, sagt er mit beruhigender Stimme:
"Hier, trink das. Du hast Meerwasser geschluckt, du mußt viel trinken. Du bist hier in Sicherheit. Morgen hole ich Leute aus Sirhag, die sich um dich kümmern werden. Und jetzt solltest du wieder schlafen."
'Sirhag', denkt Tronje, 'endlich wieder zuhause'. Und kurz bevor er einschläft, geht ihm noch der Gedanke an das Gesicht im Wasser durch den Kopf. Seltsam. Es schien zu lächeln...
Skjartheim
|
|