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    Nuntius Magicus - Der Magische Bote | 
   
 
Dämonen in der Nacht (Teil 3) 50. Woche des 3. Jahres  Am späten Nachmittag läßt die Aktivität im Hof nach. Immer mehr der 
Adepten stehen in kleinen Gruppen zusammen und begutachten ihr 
Werk. Sie diskutieren über Details ihrer Arbeit und sehen insgesamt 
sehr zufrieden aus. Jhek steht an seinem Kellerfenster und beobachtet 
gelangweilt ihre Gespräche. Er hat mehrmals versucht, die Kellertür 
aufzubrechen, doch es ist ihm nicht gelungen und so lehnt er 
resigniert an der Wand. 
 
Der Boden des Hofs hat sich im Lauf des Tages völlig verändert. Die 
silbernen Bänder, die sich durch den schwarzen Steinboden ziehen, 
formen jetzt ein exaktes Pentagramm. Das Zentrum des Pentagramms 
bildet das unförmige Steingebilde mit den eingeschnittenen 
Gesichtern. Ihre qualvollen Züge scheinen sich noch mehr in Agonie zu 
winden, aber das bildet sich der Junge vielleicht nur ein, denn an 
diesem Tag hat niemand an dem Gebilde gearbeitet. Es sollte also 
genauso aussehen wie am Morgen... Jhek bekommt Angst, das scheint 
nicht irgendein normales Ritual zu sein, irgendetwas findet hier 
statt... 
 
Er läuft zur Tür hinüber und beginnt dagegen zu treten und zu 
schlagen. Er schreit sich die Seele aus dem Lieb, aber niemand hört 
ihn. Oder niemand möchte ihn hören, wer weiß. 
 
Es wird dunkel und es wird ruhig auf dem Innenhof. Wäre das 
Kellerfenster groß genug gewesen, Jhek wäre sofort 
hinausgeklettert. Alle seine Versuche, irgendwie aus dem Raum zu 
entkommen, schlagen fehl und so setzt er sich weinend auf den 
Jutesack und schläft irgendwann ein. 
 
Am nächsten Morgen: das gleiche Spiel. Nur kommen dieses Mal noch 
weniger Magier in den Innenhof. Jhek erkennt sie an den Symbolen auf 
ihren Kutten, es sind die fünf höchststehenden Magier der 
Akademie. Sie unterhalten sich über den geplanten Ablauf einer 
Zeremonie, die heute stattfinden soll. Jhek kann trotz angestrengtem 
Lauschen nicht mehr erfahren, da sie sich in einer Ecke leise 
unterhalten. Sie verlassen den Hof wieder, einer korrigiert mit einem 
Stück Kreide noch einen Strich auf dem Boden. Eine Bewegung so klein, 
so zart, ein kleines Wischen. Doch selbst Jhek merkt, daß sich etwas 
Fundamentales geändert hat. Was vorher nicht viel mehr als eine 
Durcheinander an Strichen, Symbolen und Figuren war, ergibt jetzt ein 
Gesamtbild. Jhek meint, ein leises Summen in der Luft zu hören, wie 
von einer gespannten Saite, kurz bevor der Spieler sie anschlägt. Die 
Wände des Hofs scheinen plötzlich unter Spannung zu stehen, ein 
schwaches Glimmen, wie von Mondlicht auf einer nachtschwarzen 
Seeoberfläche geht von den silbrigen Bändern aus. Das Pentagramm 
scheint mehr als ein Bild auf dem Boden geworden zu sein: Spannung, 
wie von einem unter enormem Druck stehenden Staudamm geht von ihm 
aus. Die Wände knirschen für einen Moment und die Magier im Hof 
schauen sich erschreckt um, doch dann beruhigt sich die Luft wieder. 
 
Ein anderer Magier zieht einen seiner Ärmel hoch, nimmt eine schwarz 
glänzende Sichel von seinem Gürtel und macht einen langen Schnitt 
entlang seines Unterarms. Er läßt das hervorquellende Blut in eine 
Schale fallen und verschließt dann die Wunde mit einem Wort. Es bleibt 
nichts zurück außer dem dampfenden Blut und einem weißen Strich auf 
seinem Arm. Jeder der anderen wiederholt diese Prozedur, einige mit 
schmerzverzerrtem Gesicht, andere scheinen sich fast darüber zu 
freuen, wie ihnen das Blut den Arm hinunterläuft. Der erste nimmt die 
Schale mit dem Blut, spricht ein Wort darüber, damit das Blut nicht 
gerinnt und stellt sie an eine Ecke des Pentagramms. Dann verlassen 
sie den Innenhof. 
 
Jhek sieht durch sein Loch von der Schale Dampf in den Himmel steigen 
und bemerkt, daß es schon fast Mittag sein muss. Die Sonne steht schon 
hoch am Himmel, als sich eine Tür auf der gegenüberliegenden Seite 
des Hofs öffnet. Mehrere Leute treten blinzelnd in den Hof, denn die 
Sonne fängt sich in blitzend in den Silberbändern des Pentagramms und 
blendet die aus dem Dunkel der Gänge tretenden Ankömmlinge. Jhek 
erkennt einige von ihnen. Das müssen die fremden Gesandten sein. Nur 
eine von ihnen ist ein Mensch, eine rothaarige Hexe aus dem 
Norden. Hinter ihr treten drei gewaltige Orks in den Hof, murmeln 
gereizte Laute zwischen ihren Hauern, aber können sich der 
Faszination des Beschwörungsorts nicht entziehen. Als letztes tritt 
eine Dryade und... Jhek erkennt mit Erschrecken den Erzmagus Shantus. 
 
Sie alle versammeln sich um das Pentagramm und warten ab. Shantus 
deutet zu der Schale mit Blut hinüber. Etwas zweifelnd gehen die 
anderen nach und nach zur Schale und lassen ebenfalls etwas von ihrem 
Blut hineinfallen. Dann stellen sich die drei Orks, die Hexe und die 
Dryade an die Ecken des Pentagramms. Jeder für sich scheint in sich 
selbst zu versinken, sie stehen völlig ruhig. Der Erzmagus nimmt die 
Schale mit dem Blut und schreitet die Kanten des Pentagramms ab. Alle 
paar Ellen läßt er einige Tropfen von dem Blut auf die silbernen 
Bänder fallen. Wo sie auftreffen, scheinen sie von dem Metall der 
Bänder aufgesaugt zu werden. Das Metall beginnt rötlich zu leuchten 
und die eingravierten Symbole färben sich schwarz. Gleichzeitig 
scheint etwas mit dem Licht im Hof zu passieren. Wo vor wenigen 
Minuten noch hellster Sonnenschein war, färbt sich das Licht nun 
grau. Nicht wie in der Dämmerung, aber als hätte jemand einen 
Schleier vor die Sonne gezogen. Jheks Blick wendet sich zum Himmel, 
aber er kann die Ursache nicht erkennen. Die Sonne blendet ihn nach 
wie vor, er kann nicht länger als ein paar Herzschläge hineinschauen 
und trotzdem wirkt das Licht düster. 
 
Shantus beendet seine Runde um das Pentagramm. Das Blut ist 
vollständig in die Linien auf dem Boden aufgesogen worden und er geht 
zum Zentrum des Linienmusters, zu dem seltsam geformten 
Steinblock. Dann schneidet er sich selbst mit einem Kristallmesser den 
Unterarm auf und verschmiert das Blut über den ganzen schwarzen 
Block. Er wirft einen Blick in die Runde und überzeugt sich, daß jeder 
der Teilnehmer auf dem ihm zugewiesenen Platz steht. Bei einer 
solchen Beschwörung darf nicht der geringste Fehler passieren, 
ansonsten könnte sie für alle Anwesenden ein schlimmeres Schicksal 
bedeuten, als auf ewig in einer der heulenden Fratzen des 
Beschwörungssteins gefangen zu sein: eine Warnung, die Shantus stets 
sehr ernst genommen hat. 
 
Es wird immer finsterer in dem Innenhof und Shantus stellt sich auf 
einen Punkt, in dem mehrere Linien und Symbole zusammenlaufen. Sein 
vorbestimmter Platz als Ausführender dieser Invokation. Die gestrige 
Nacht hat er mit Fasten und dem Studium alter Schriftrollen aus dem 
persönlichen Besitz des Stählernen verbracht. Jedes Wort der Formel 
steht vor seinem inneren Auge in feurigen Lettern. Der richtige 
Zeitpunkt ist gekommen. Shantus spricht die erste Silbe als der Herr 
der Finsternis den ersten Biss aus der Sonnenscheibe nimmt. 
 
Die anderen Teilnehmer beginnen mit einem monotonen Gesang, der die 
Konzentration des Ausführenden ausschließlich auf die Beschwörung des 
Dämonen richten soll. Jhek hört fasziniert zu. Er kann sich der 
Anziehungskraft der Geschehnisse nicht entziehen, denn er hat noch 
niemals etwas ähnliches gesehen. Er umklammert den Rahmen des 
Kellerfensters und starrt mit gebanntem Blick auf den Erzmagus, als 
dieser sich über den Steinblock in der Mitte des Hofes beugt und mit 
seinem Finger ein Symbol in die Luft über dem Stein zeichnet. Shantus 
Finger hinterläßt eine leuchtende Spur im immer düsterer werdenden 
Hof. Die Kanten des Pentagramms leuchten immer heller und Jhek hört 
wieder dieses gespannte Summen und Knirschen, als stünde die Luft 
selbst unter Spannung. Nach und nach zeichnet der Erzmagus einen 
leuchtenden Teppich aus Symbolen, der einige Fingerbreit über dem 
Beschwörungsstein in der Luft schwebt. Bläulich flackernde Zeichen 
drehen und biegen sich, als wären sie ein Seerosenteppich auf einem 
Teich, in dem jemand einen großen Stein geworfen hat. Schweiß läuft 
von der Stirn des Magiers und er muss sich setzen. Er wirkt erschöpft, 
aber dennoch hochkonzentriert. Jedes Nachlassen seiner Energie scheint 
vom Gesang der an den Ecken des Pentagramms stehenden Teilnehmer 
kompensiert zu werden. 
 
Plötzlich hält Shantus inne. Es ist still und mitternachtsdunkel im 
Hof. Das Schimmern der Bänder hat ein wenig nachgelassen, doch alle 
Anwesenden scheinen auf Höchste angespannt. Es ist die scheinbare 
Ruhe, die jeden nervös zu machen scheint. Bewegung kommt in den 
Erzmagier: Er steht auf, Schweißperlen stehen auf seinem Gesicht und 
aus seinem Mundwinkel rinnt ein wenig Blut. Er nimmt seinen Stab und 
deutet auf die Mitte des sich drehenden Rades aus Zauberzeichen über 
dem Steinblock. Ein Schlag wie von Donner ertönt und heißer Wind 
faucht quer über den Hof. Jhek spürt, wie seine Augen austrocknen, 
aber er kann nicht blinzeln. Gefangen starrt er auf den Riss im 
Beschwörungsstein. Dunkelheit quillt aus ihm heraus wie das Schwarz 
aus einem zerbrochenen Tintenfass. Das Pentagramm bebt, seine Kanten 
leuchten auf wie nie zuvor und grelles Licht versucht der Dunkelheit 
aus dem Riss standzuhalten. Einige der Teilnehmer schwanken doch sie 
können sich aufrecht halten. Shantus selbst, in seinem Zirkel aus 
Symbolen und Linien ist wie eine leuchtende Insel in der 
nachtschwarzen See. Die tagelange Arbeit der Adepten der Akademie 
macht sich jetzt bezahlt. Keiner der Anwesenden hätte der beschworenen 
Macht alleine standhalten können. Doch die in den Symbolen und Formen 
des Beschwörungsortes eingebrachte magische Kunst läßt sie den Ansturm 
aus der Leere hinter dem Riss standhalten. 
 
Jhek sieht dem Schauspiel zu, er kann sich nicht rühren und bekommt 
den Überlauf der magischen Kräfte zu spüren. Heißer Wind, beißender 
Gestank und übelkeitserregende, schmierige Luft in den Lungen. 
 
Zwei Augen schälen sich aus der Leere vor Shantus. Man kann sie nicht 
als bösartig, gemein oder hinterhältig verstehen. Das würde dem 
inhaltsleeren Blick, der über die Szenerie streicht, niemals 
genügen. Grenzenloser Hunger und Willen, stärker als die Zeit, das 
wäre vielleicht ein Teil davon. Verstehen könnte man die Motive des 
Dings hinter der Leere vielleicht nach ein paar Äonen in den Tiefen 
des Nichts, aus dem das Ding gekommen ist. Vielleicht hätte einer der 
Götter eine Ahnung, was dieses Etwas von jenseits der Zeit bewegt, 
oder ob so etwas wie Motive für ihn überhaupt eine Rolle spielen. 
 
Die Augen richten sich auf den Erzmagus, durchbohren ihn, erkennen 
ihn und lassen ihn links liegen. Die anderen Teilnehmer sind dem 
Ding aus dem Riss nicht mal einen Blick wert. Die Intelligenz richtet 
ihre Aufmerksamkeit auf jemand anderen: den Jungen im Keller. Das 
hätte eigentlich nicht passieren dürfen, denn das Pentagramm sollte 
jegliche Interaktion des Beschworenen mit der Welt außerhalb des 
Pentagramms verhindern. Aber es passiert doch und mit Entsetzen 
erkennt Shantus, daß ein Fehler passiert ist. Er weiß nicht was jetzt 
passiert, aber er hat Angst... 
 
                         wesen. mensch. jek. 
                    schau. erkenne. suche. finde. 
                             DÄMONENKIND. 
                                mein. 
 
und Jhek ist verloren. Er starrt in den Riss und sein Mund formt Worte, 
die er nicht versteht. Das Ding hat ihn. Wenn nicht seinen Körper, 
doch sein Geist ist gefressen. 
 
Shantus versucht, die Aufmerksamkeit der Wesenheit auf sich zu 
lenken. Er will seine Fragen geklärt haben und läßt sich nicht von 
irgendeinem Ding davon ablenken. Brennender Ehrgeiz war schon immer 
eine seiner hervorstechensten Eigenschaften. Und so wirft er mehr 
von sich selbst in die Waagschale, er gibt einen weiteren Teil seines 
Wesens in die Beschwörung. Keine kontrollierte, von vorne bis hinten 
geplante Sache mehr. Shantus will etwas und er wird es sich auch 
holen. Er stellt seine Frage: 
 
  "Welchem Zweck dienen die göttlichen Artefakte, die gesendet wurden? 
  Wir müssen mehr darüber erfahren. Gehorche mir! Gib mir Antwort!" 
 
 
 
  Reich der dunklen Sonne 
 
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