ACADEMIA LIMBOLOGICA publicat
Opus veritatis scientiæque
16. Peraine im 32. Götterlauf nach Hal
CLXXII. Ausgabe


INTELLIGO UT CREDAM

Credo ut intelligam (ich glaube um zu verstehen) oder Intelligo ut credam (ich verstehe um zu glauben)?
Eine aus aktuellem Anlass ausgewählte Unterweisung aus dem Lehrangebot der Academia Limbologica, Fach: Allgemeine Philosophie mit anschließenden Philosophischen Diskussionen, Vortragender: Meister Eborëus Zachariad

"Das heutige Thema der Vorlesung ergibt sich aus dem Artikel "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?" des geschätzten Collega Oxundanto Zeel im letzten Opus, der darin auf hervorragende Weise jene Frage aufwarf, welche uns nun im weiteren beschäftigen soll. Anhand eines konkreten Beispielfalls führte Collega Zeel - ich hoffe doch ihr habt den Artikel allesamt gelesen - seine Überlegungen zu einer heiklen, aber dennoch berechtigten Frage aus, über deren Antwort - rein aus Sicht der Kirchen der Zwölfe, und umso mehr aus Sicht der eigenen Gesundheit von Leib und Seele - kein Zweifel bestehen darf.
Diesen gewagten Schritt zu tun, sich nämlich einer dogmatischen Glaubensfrage vom Standpunkt der Wissenschaft aus zu nähern, erfordert einiges an Mut und innerer Willenskraft. Diese Überlegungen dann jedoch auch noch zu publizieren, stellt gewiss ein extrem hohes Risiko dar. Gerade deswegen möchte ich jedoch den Gedankengang des werten Collega Zeel aufgreifen und ihn auf eine allgemeinere Ebene führen.

Ich richte mich im folgenden ausdrücklich nach der Meinung der Kirche unseres Herren Nandus und gleichzeitig gegen die wohl gängige Lehrmeinung innerhalb vieler anderer Kirchen, aber auch gegen die Überzeugung etlicher Gelehrter. Das erste der beiden Zitate im Titel dieser Lehrveranstaltung (bzw. des Artikels) stammt von einem zeitgenössischen Gelehrten, Anselm von Neetha mit Namen, welcher in Kuslik in den Hallen der Weisheit lehrt und forscht. Seinen Wahlspruch Credo ut intelligam könnte man sinngemäß folgendermaßen übersetzen: Der Glaubensinhalt steht fest, und der Verstand hat von diesem auszugehen und ihn zu verstehen zu suchen. Anselm von Neetha ist damit der Begründer der so genannten rationalen Scholastik, einer kirchennahen Forschungshaltung, welche sich besonders unter den Magiern der Weißen Gilde großer Beliebtheit erfreut. Böse Zungen aus dem Kreise der Schwarzen Gilde formulierten den Inhalt dieser Anselm'schen Lehrform folgendermaßen: Wie verschroben der Glaubensinhalt auch sein mag, er ist wahr, und daher hat der Verstand alle seine Künste aufzubringen, um damit in Einklang zu kommen.

Ich möchte hier gleich betonen, dass diese Haltung einem Magier der Grauen Gilde nicht angemessen sein kann. Dennoch brachte Anselm von Neetha eine neue interessante Dimension in die zwölfgöttergefällige Logik ein, nämlich die so genannten Götterbeweise. Von diesen gibt es, wie könnte es anders auch sein, zwölf an der Zahl, welche allesamt auf jeweils einen der Zwölfgötter hinführen. Der bekannteste unter ihnen ist wohl der Gottesbeweis des Götterfürsten Praios, welchen ich euch zur Veranschaulichung der rationalen Scholastik nun kurz schildern möchte:

Wir glauben, dass der Herre Praios der Gott ist, über den hinaus kein anderer Gott gedacht werden kann.

Hierbei handelt es sich, streng nach dem Grundsatz Credo ut intelligam (erst glauben, dann verstehen), also um den Glaubensinhalt, welchen es rational nachzuvollziehen, ja sogar zu beweisen gilt. Und ich denke ich kann wohl davon ausgehen, dass diesem Glaubensinhalt niemand widersprechen wird. Fahren wir also fort:

Wenn wir diese Annahme nun glauben, so denken wir sie in unserem Verstande. Ich wiederhole also geistig die Worte: Der Herre Praios ist der Gott, über den hinaus kein anderer Gott gedacht werden kann - oder einfacher und verkürzt: Praios ist der Fürst der Götter. Und da es nichts Mächtigeres mehr (man beachte: nichts mehr!) gibt, könnte man sich stattdessen auch im Geiste denken:
Wir glauben, dass der Herre Praios der Gott ist, über den hinaus nichts gedacht werden kann.
Damit ist dieser Gottesbegriff nun also in unserem Geiste.

Im folgenden versucht Anselm nun darzulegen, dass dieser Gottesbegriff nicht ausschließlich im Geiste sein kann (also nicht nur gedacht werden kann), sondern dass er (rational-)logischerweise eine Entsprechung in der Wirklichkeit haben muss, sprich: dass er wirklich existieren muss:

Etwas, das nur im Geiste ist, kann man sich auch in der Wirklichkeit denken.
Als Beispiel sei hier ein Haufen von 100 Silbermünzen genannt: Denken wir uns diesen Haufen im Geiste, so existiert er dort. Denken wir ihn uns aber nun in der Wirklichkeit, weil er vor uns liegt, haben wir uns etwas darüber hinaus gedacht. Der zuerst bloß geistig existierende Münzhaufen gewinnt nun eine Qualität hinzu, nämlich seine wirkliche Existenz.
Es folgt also: Etwas, was wir uns nicht bloß im Geiste denken, sondern auch in der Wirklichkeit, ist mehr als das bloß im Geiste Gedachte, es geht über das bloß im Geiste Gedachte hinaus.

Folgerung: Wenn also der Herre Praios, über den hinaus nichts mehr gedacht werden kann, nur in unserem Geiste existieren würde, dann könnten wir etwas über ihn hinaus denken, indem wir einfach seine Wirklichkeit hinzu dächten. Da dies jedoch laut dem Glaubenssatz (siehe oben) nicht möglich ist, muss der Herre Praios, um dem Glaubenssatz nicht zu widersprechen, rational gefolgert auch in Wirklichkeit existieren.

Womit, nach Anselm von Neetha, der Gottesbeweis für Praios erbracht wäre. Natürlich gibt es gegen diese Art der rationalen Scholastik an sich ebenso unzählige Einwände wie gegen diesen Gottesbeweis im Konkreten.

Wir aber wollen uns nun mit der einem Graumagier viel eher anstehenden Forschungshaltung beschäftigen, welche ich - in Abwandlung zum Credo ut intelligam von Anselm von Neetha - Intelligo ut credam (ich verstehe um zu glauben) genannt habe. Diese Forschungshaltung bekennt sich in erster Linie zur Vernunft, denn sie nimmt an, dass der vernünftige, dem Weisheits-Ideal Hesindes und ihres Sohnes Nandus nachstrebende Mensch auch der beste Gläubige ist. Denn nur was ich selbst erforscht, mit dem Geist durchdrungen und so erlebt und nachvollzogen habe, kann ich ganz und vollkommen in mich aufnehmen und vor allem auch danach leben.
Selbstverständlich ist es uns Menschen mit unserem begrenzten Verstand nicht möglich alles und jedes (vor allem nicht jeden Glaubenssatz) im Geiste zu klären und nachzuvollziehen, einerseits aufgrund der Menge an Glaubenssätzen, andererseits aufgrund der Komplexität von manchen. Und genau in diesen Fällen ist natürlich mit den kirchlichen Glaubenssätzen genau das zu tun, weshalb sie so heißen: Sie sind einfach zu glauben.

Als Beispiel für diese Forschungshaltung wiederum könnte ich wohl kaum ein besseres finden, als es uns der geschätzte Collega Oxundanto Zeel im letzten Opus gegeben hat. Seht es euch genau an und erkennt die Haltung, die dahinter steht - denn sie soll euch zu eigen werden auf eurem Weg zum Graumagier.

Meister Eborëus Zachariad

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Reactio ad „Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?“

Sehr geehrter Oxundanto Zeel,

Es freut mich, dass Ihr Euch so ausführlich mit dem Thema des "Greifen" beschäftigt habt. Sicher wisst Ihr auch, dass es in meiner Heimat, dem Herzogtum Borian inmitten der Sümpfe von Brabak, die herrschende Meinung gibt, wonach das Auftauchen eines Greifen als Zeichen für ein kosmisches Unglück von unvorstellbarem Grauen gewertet werden muss. Zuletzt wurde ein solcher am 10. Phex 17 Hal südlich von Baltés'agar in den Borianer Sümpfen gesichtet. Zeugen bei diesem Ereignis waren der Moha Orumi Síblis nebst einiger reisender Händler. Wie den Berichten der Reisenden zu entnehmen war, tauchte der Greif plötzlich wie aus dem Nichts auf, um sich dann lautlos auf den Schwingen ähnlich denen eines gewaltigen Geiers in die Lüfte zu erheben, während der Katzenschwanz die flimmernde Luft über den Sümpfen peitschte. Auf seinem Haupte habe der Greif eine eiserne Krone getragen, die eine Aura der Pestilenz verbreitet habe. Sicher muss ich nicht näher erläutern, was für grauenhafte Wochen diesem Ereignis folgten und auch ist es nicht sehr weit hergeholt, einen Zusammenhang zwischen dem Verschwinden des letzten halensischen Kaisers Hal und dem Erscheinen dieses Monstrums herstellen zu wollen. Auch die unselige Spaltung der Praioskirche vor einigen Jahren steht einem ähnlichen Zusammenhang, was eindeutig für die pervertierende und negative Aura der Greifen spricht. Zuletzt denke man noch an die dadurch ausgelösten Magieverbote im zentralen Mittelreich (gemeint sind die Nordmarken; die Redaktion) durch übereifrige Praioten und andere Ketzer.

Im Zusammenhang mit Eurem bis auf die Schlussfolgerung vortrefflichen Artikel über das Wesen der Greifen, möchte ich Eure Idee aufgreifen und festhalten, dass es sich sehr wahrscheinlich bei den Greifen um eine magisch mutierte von Asfaloth beseelte Chimäre handelt, die nur das Werk eines finsteren Schwarzkünstlers aus der Stadt des Roten Goldes sein kann. Möge uns die Hohe Herrin in Ihren drei Manifestationen (heilig heilig heilig) vor einem erneuten Auftauchen dieser schrecklichen Kreatur beschützen!

Alberto Fredarcarno, Vorsitzender Minister des Ministeriums gegen
reichsgefährdende Kulte zu Borian und Brabak

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In dieser Ausgabe

Impressum

Publiziert von der Academia Limbologica
Der Opus im Schwarzen Limbus
* Markus Penz
13.10.2002

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