Grundlegung der rahjanischen Liebe
Um die folgenden Ausführungen zur rahjanischen Liebe verstehen und richtig
lesen zu können, bedarf es einiger kurzer Worte an Euch, werten Leser und
werte Leserin: Ich verstehe mich weder als Experte in Fragen der
rahjanischen Liebe (wie ich dies sehr wohl von mir auf dem Gebiete der
Limbo- und Sphärologie behaupten würde) noch als jemanden, dessen Wort in
diesen Belangen das Gewicht und die Autorität der Geweihten der lieblichen
Göttin selbst hätte. Was ich im folgenden versuchen werde darzulegen,
basiert lediglich auf meinen eigenen Gedankengängen sowie auf den
Ausführungen eines Geweihten der Herrin des Rausches. Es gibt, dessen bin ich mir gewiss, so viele Formen der Liebe, wie es Menschen gibt, die lieben. Und wenn man bedenkt, dass ein jeder Mensch in seinem Leben durchaus mehrere Male lieben kann (aber nicht muss), so mag die Zahl der Liebesformen durchaus auch noch größer sein. Was jedoch über all diesen menschlichen Formen der Liebe steht, ist die unendliche Liebe der Herrin Rahja. Und mag es auch so sein, dass niemals ein Mensch diese Form der Liebe erreichen wird, so dient sie uns doch als Vorbild, als Richtlinie und als Ziel, dem es sich anzunähern lohnt. Wie aber soll denn nun die rahjanische Liebe, jene Liebe also, welche
sich die Herrin für uns wünscht und welche sie uns vorgibt, aussehen? (I) Die rahjanische Liebe ist gekennzeichnet durch die Einheit von sexueller (körperlicher) Leidenschaft und sinnlichem Liebeserleben. Es besteht keine Trennung zwischen einer tiefen seelischen Verbundenheit und der Befriedigung körperlicher Bedürfnisse, nein, diese beiden Aspekte werden jeder für sich erst durch das Wunder der rahjanischen Liebe und durch ihre Verbindung zu etwas Höherem. Der Geweihte der Rahja nannte diese beiden Aspekte in ihrer Vereinigung "geistige Wolllust" und "sinnliche Seligkeit", und er meinte weiters: "Wenn man sich so liebt, kehrt auch die Natur im Menschen zu ihrer ursprünglichen Göttlichkeit zurück. Die Wolllust wird in der einsamen Umarmung der Liebenden wieder, was sie im großen Ganzen ist - das heiligste Wunder unserer Herrin; und was für andere nur etwas ist, dessen sie sich mit Recht schämen müssen, wird für die Liebenden wieder, was es an und für sich ist, das reine Feuer der edelsten Lebenskraft." (II) Die rahjanische Liebe beinhaltet die Einheit von Liebe und Ehe. Denn Liebe, und nur sie, begründet eine wahre Ehe und ist ihr konstitutives Moment. Die Liebe ist somit die einzig legitime Begründung einer Ehe, und es wird nur allzu oft darauf vergessen. In allzu pathetischen Worten brachte der zyklopäische Geweihte der Rahja diesen Umstand zum Ausdruck: "Ich kann nicht mehr sagen: meine Liebe oder deine Liebe; beide sind sich gleich und vollkommen eins - so viel Liebe als Gegenliebe. Es ist Ehe, ewige Einheit und Verbindung zweier Geister wie auch Körper." (III) Das rahjanische Liebesideal integriert auch die Elternschaft. Diese hohe Bedeutung der Elternschaft für die Liebe wird wohl von anderen, vielleicht auch von den meisten Geweihten der Göttin nicht so deutlich und klar ausgesprochen oder vertreten. Doch der zyklopäische Geweihte meinte: "Durch Elternschaft erfährt die durch Liebe gegründete und durch sie getragene Ehe ihre letzte Vollendung." Worte, die jeder Geweihten der Herrin Travia alle Ehre machen. Durch ein Kind werde, so der Geweihte weiter, die Ehebeziehung zweier Liebender auf die höchste erreichbare Stufe gestellt. Und zudem sei das Kind "Liebespfand" für jene Zeit, in der Paare den Beistand der lustvollen Göttin am meisten brauchen. (IV) Ein hoher Wert wird in der wahren rahjanischen Liebe naturgemäß auf die Aufrichtigkeit des Liebegefühls gelegt. Alle unheilvollen Taktiken in der Anbahnung und Erhaltung einer Liebesbeziehung gelten als verwerflich. All die kleinen Neckereien und die mit phexischer List ausgeführten Spielchen, welche die Liebe (wieder- oder weiter-)beleben sollen sind jedoch durchaus erlaubt und erwünscht. Denn für die durch rahjanische Liebe Verbundenen ist (krankhafte) Eifersucht überflüssig. In diesem Sinne ist also Treue für die rahjanisch Liebenden selbstverständlich, denn diese Treue bezieht sich auf die einmalige, einzigartige und unersetzbare Verbindung von körperlicher und seelischer Verbundenheit. Der Geweihte sprach dies klar und deutlich aus: "Weshalb bloß sehen die Menschen in einer tiefen seelischen Verbindung (ohne körperlichen Anteil) zu einem Freund keine Verletzung der Treue, in einer lustvollen körperlichen Verbindung (ohne tiefere seelische Freundschaft) zum Beispiel zu einem Geweihten der Rahja aber sehr wohl einen Treuebruch?" (V) Doch auch ermahnende Worte und Kritik an der allgemein üblichen
Form des Traviabundes, eben der ohne rahjanische Liebe, sprach der
Geweihte der Herrin des Rausches offen aus: "Da liebt der Mann in der
Frau nur die Gattung, die Frau im Mann nur den Grad seiner natürlichen
Qualitäten und seiner bürgerlichen Existenz, und beide in den Kindern nur
ihr Machwerk und ihr Eigentum. Da ist die Treue ein Verdienst und eine
Tugend; und da ist auch die Eifersucht an ihrer Stelle. Denn dies fühlen
sie und halten es für ungemein richtig: dass sie stillschweigend glauben,
es gäbe ihres Gleichen viele, und einer sei als Mensch ungefähr so viel
wert wie der andere, und alle zusammen eben nicht sonderlich viel." (VI) Vielleicht zuerst etwas trivial mag diese Einsicht scheinen, doch impliziert sie mehr, als man auf den ersten Blick erkennt: In der rahjanischen Liebe wird erst die erwiderte Liebe zur eigentlichen Liebe. An diesem Punkt nämlich setzte der Geweihte der Rahja seine heftige Kritik an den Liebesformen der Novadis an: "Anders als bei den Wüstenvölkern in ihrem Irrglauben wird die Frau in der rahjanischen Liebe nicht nur verehrt und idealisiert in blumigen Worten, sondern es sind ihre Gefühle genauso wichtig wie die des Mannes." Es geht in der rahjanischen Liebe immer um die Gefühle und damit um das Glück beider Personen. Meister Eborëus Zachariad von: Philipp Schumacher |
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