Was ist Wissen?
2. Teil
"... Nachdem wir uns im
1.
Teil der Vorlesung über die Vorgangsweise klar geworden sind, können
wir endlich in medias res gehen:
Gleich im ersten Band der Gespräche Rohals des Weisen - ich erwarte im
übrigen, dass jeder und jede von euch zumindest 3 Bände davon liest -
finden wir einen Dialog zwischen Rohal und einer Schülerin, in dem die
Schülerin den Weisen nach der Erkenntnis (was wir in diesem Fall mit dem
Wissen gleichsetzen können) fragt. Und wie wir es von Rohal kennen,
antwortet er ihr, indem er sie selbst über dieses Thema nachdenken lässt
und sie selbst auf eine Definition des Wissens oder der Erkenntnis
hinführen will. Die Schülerin macht im folgenden dann drei
Definitionsversuche, welche Rohal allesamt durch Einwände, welche er in
Fragen formuliert, widerlegt und die Schülerin somit zum Weiterdenken
anregen will. Sehen wir uns also diese drei Definitionsversuche von Wissen
oder Erkenntnis an:
Erkenntnis, so sagt die Schülerin als erstes, ist Wahrnehmung. (Ich
bitte hier noch einmal zu beachten, dass es nicht um
phänomenologisches Wissen geht, sondern um propositionales!) Oder
richtiger gesagt: Erkennen ist Wahrnehmen, und damit kommt Wissen als
Ergebnis des Erkenntnisprozesses durch Wahrnehmung zustande.
Dass diese Gleichsetzung von Wissen und Wahrnehmung nicht richtig sein
kann, zeigt Rohal unter anderem am Beispiel des Gedächtnisses. Fast alles
von dem, was wir zu wissen glauben, stammt aus unserem Gedächtnis. Wenn
wir uns z.B. über phänomenologisches Wissen unterhalten wollen, es
erforschen wollen, so können wir uns nur auf unser Gedächtnis verlassen.
Denn in dem Moment, in dem ich eine Wahrnehmung mache, kann ich nicht
gleichzeitig alles über sie sagen, was ich weiß. Wir könnten uns also
allesamt nur mehr daran erinnern, wie das Kakao-Pulver von vorhin
geschmeckt hat.
Also folgert die Schülerin, dass Wissen ein Zusammenspiel aus
Wahrnehmung und Gedächtnis sein muss.
Doch auch das kann nicht sein, zeigt Rohal ihr auf, denn allzu oft täuscht
uns unsere Erinnerung, unser Gedächtnis. Natürlich erweitert die Schülerin
ihre Wissensdefinition daraufhin sofort in: Wissen ist Wahrnehmung und
richtiges Erinnern. Doch selbst dies lässt Rohal nicht gelten, führt er
ihr doch vor Augen, dass es oft auch unsere Wahrnehmung ist, die uns
täuscht. Rohal verweist auf etliche Beispiele, in denen unsere Wahrnehmung
uns täuscht, und ich möchte hier nur einige wenige anführen. So beschreibt
er z.B., wie es Leuten ergeht, welche sich, in der Khom wandelnd, zu lange
dem Schein von PRAios
Antlitz ausgesetzt haben. Sie beginnen plötzlich Dinge zu sehen, welche
gar nicht vorhanden sind. Rohals berühmtestes Beispiel ist aber gewiss
jenes mit dem Elefanten. Rohal vergleicht in diesem Beispiel alle nach
Wissen suchenden Menschen, egal ob in Belangen der Magie, der Philosophie
oder anderer Wissenschaften, mit Blinden. Er meint, dass wir in Wahrheit
allesamt nur so viel über die Dinge sagen könnten, wie Blinde, welche an
ein und denselben Gegenstand, einen Elefanten, herangeführt werden. Der
eine Blinde bekommt den Schwanz des Elefanten zu fassen, also meint er:
Meine Wahrnehmung sagt mir, dass ein Elefant etwas Dünnes, Längliches ist,
mit einigen Haaren am Ende. Ich weiß also, ein Elefant ist wie ein
Staubwedel. Ein anderer Blinder umfasst das Bein des Elefanten, also meint
er: Ich weiß, dass ein Elefant wie ein Baustamm ist. Ein dritter greift
sich den Rüssel und behauptet: Ich weiß, dass ein Elefant wie eine
Schlange ist. Und ein vierter schließlich legt seine Hände auf den Bauch
und denkt sich: Ich weiß, dass ein Elefant wie ein Oger ist.
Rohal zeigt uns an diesem Beispiel gleich mehrere Probleme unserer
Erkenntnis und damit unseres Wissens auf. Zum einen muss man sich stets
bewusst sein, dass man als sterblicher Mensch niemals in der Lage ist,
wirklich und wahrhaft zu sehen. Dies ist alleine den Göttern vorbehalten,
und selbst wenn diese uns einen kleinen Teil ihres göttlichen Wissens
mitteilen, ist der menschliche Verstand meist nicht in der Lage, dieses
Wissen richtig zu verstehen. Außerdem sagt uns Rohal, dass jeder
Forschende stets von einem gewissen Ausgangspunkt an eine Sache herangeht,
soll heißen mit bereits vorgefertigten Meinungen, einem Vorwissen und
bestimmten Einstellungen. Und als drittes können wir in diesem Beispiel
sehen, dass der Mensch seine Erkenntnis oder sein Wissen stets versucht in
Bildern und Vergleichen auszudrücken.
Dies sind die wesentlichsten Einsichten, die jeder nach Wissen strebende
Mensch stets zu bedenken hat. Seid euch dessen also stets bewusst!
Doch wollen wir nun wieder zurückkehren zu Rohal und seiner Schülerin.
Wir haben also gesehen, dass weder Wahrnehmung, noch Wahrnehmung und
Gedächtnis alleine Wissen bzw. Erkenntnis ausmachen können. Dies heißt
jedoch natürlich nicht, dass beide Dinge unwesentlich für unser Wissen
wären. Sie können nur nicht alleine das ausmachen, was Wissen ist.
Also überlegt die Schülerin weiter, und sie bemerkt, dass es sowohl für
den Menschen in der Wüste, welcher eine Wasserstelle vor sich glaubt (und
dies als Wissen ansieht), als auch für denjenigen, der sagt, er wisse,
dass ein Elefant wie ein Oger sei, entscheidend ist, dass er/sie davon
überzeugt ist. Somit formuliert die Schülerin die Vermutung, dass Wissen
wahre Überzeugung sein könnte. W a h r e Überzeugung deshalb, weil die
Überzeugung alleine noch nicht ausreichen kann.
Doch auch dagegen bringt Rohal Argumente. So erzählt er von einem Mann,
welcher jeden Mond in Rommilys zum Imannspiel geht und dort seinen
Monatsverdienst auf die schlechtere Mannschaft verwettet. Jedes Mal kommt
er nach Hause zu seiner Frau und behauptet: Dieses Mal, da werde ich
gewinnen. Und dann, nach einem halben Jahr, gewinnt er tatsächlich und
bekommt eine Menge Geld. Dieser Mann war auch fest davon überzeugt, dass
er gewinnen wird. Und seine Überzeugung war ja schließlich auch wahr. Doch
können wir in diesem Fall davon sprechen, dass der Mann wusste, dass er
gewinnen würde? Ich denke nicht, dass dies Wissen ist - obwohl es wahre
Überzeugung war.
Doch diese Wissensdefinition lässt die Schülerin nicht so einfach
fallen, und so fügt sie hinzu: Wissen ist wahre Überzeugung, welche gut
begründet ist; oder einfacher: Wissen ist wahre, begründete Überzeugung.
Denn nach dieser Definition handelt es sich bei obigem Beispiel mit der
Imannwette nicht um Wissen. Der Mann kann ja schließlich, so sagt sie,
nicht gut begründen, weshalb er wissen sollte, dass er dieses Mal gewinnen
wird.
Damit endet dieses Kapitel in den Gesprächen Rohals und damit sind wir
nun bei der traditionellen Wissensdefinition angekommen, die heute immer
noch die größte Verbreitung findet. Zusammenfassend wurde diese
Wissensdefinition von unseren Collegae aus Punin folgendermaßen
formuliert:"
Eborëus geht zurück zur Tafel und nimmt sich ein Stück Kreide. Dann
beginnt er zu schreiben und erklärt währenddessen: "X steht im folgenden
für eine beliebige Person, und p. ist das, was gewusst wird, also der
Wissensinhalt."
Dann schreibt er:
Die Bedingungen für "X weiß, dass p.", also die Kriterien für Wissen,
sind:
(1) Es ist wahr, dass p.
(2) X ist überzeugt, dass p.
(3) X hat Gründe für die Annahme, dass p.
Schmunzelnd und eher leise fügt er hinzu: "Ich frage mich, weshalb die
werten Collegae in Punin meinen, sie müssten die einfachsten Sachverhalte
immer möglichst kompliziert darstellen." Dann fährt er wieder laut und an
die Scolaren gewandt fort:
"Nun könnte es uns so scheinen, als ob diese Wissensdefinition, da sie
ja doch immerhin von den meisten gelehrten Leuten vertreten wird, auch die
richtige ist. Und auch der weise Rohal scheint seiner Schülerin nichts
mehr zu erwidern, als diese ihm die oben genannte Definition von Wissen
vorschlägt. Doch es scheint nur so... denn wenn wir den dritten Band der
Gespräche aufschlagen, dann finden wir dort eine weitere Abhandlung zu
diesem Thema, in der Rohal neue Probleme für diese Wissensdefinition
vorbringt. Diese Probleme nennt man in Anlehnung an die von Rohal
erfundene Person, welche in all diesen Problembeispielen vorkommt, die
Gettjer-Probleme.
All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass sie die traditionelle
Wissensdefinition zumindest in ernste Schwierigkeiten bringen, wenn nicht
gar widerlegen. Sie funktionieren nach folgendem Prinzip: Ein Beispiel
wird gegeben, in dem jemand Wissen zu besitzen scheint. Es wird geprüft,
ob die Kriterien der traditionellen Wissensdefinition zutreffen, was ja
bestätigen würde, dass es sich in dem Beispiel um Wissen handelt. Und zu
guter letzt wird dann aufgezeigt, dass es sich in diesem Fall nicht um
Wissen handeln kann, obwohl die Kriterien der traditionellen Definition
zutreffen. Damit ist schließlich gezeigt, dass die traditionelle
Definition nicht ausreichend ist.
Exemplum unum: Besagter Gettjer wandert kurz nach Frühlingsbeginn im
Kosch und ist auf dem Heimweg. Da der Kosch eine eher ländliche Gegend
ist, in der man vielerorts Hirten antrifft, ist es auch nicht weiter
verwunderlich, dass Gettjer an einem sonnigen Nachmittag einen dieser
Hirten mitsamt seiner Schafherde trifft. Die beiden machen zusammen Rast
und teilen ihren Proviant. Der Hirte erzählt, dass er auf dem Weg zur
anderen Talseite sei, zu einer Bergwiese, auf der er seine Schafe grasen
lassen will. Die beiden trennen sich wieder, der Hirte mit den Schafen
nimmt den Weg auf der rechten, Gettjer den auf der linken Talseite, und
beide verlieren sich nach einiger Zeit aus den Augen. Nach zwei Tagen
blickt Gettjer wieder hinüber auf die andere Talseite und tatsächlich kann
er dort in der Ferne eine Bergwiese sehen, auf der einige weiße Flecken
auszumachen sind. Ein kurzer Blick in Richtung der Wiese, und er meint zu
sich selbst: Ich weiß nun, dass dort, auf dieser Bergwiese, Schafe sind.
Nun handelt es sich bei diesen weißen Flecken jedoch um Schneeflecken,
welche noch vom Winter liegen geblieben sind. Allerdings befinden sich
tatsächlich Schafe auf der Bergwiese, nur hat der Hirte seine Herde eben
auf einen für Gettjer nicht einzusehenden Teil der Weise geführt, zum
Beispiel hinter einer großen Felsflanke.
Prüfen wir nun dieses Beispiel anhand der Kriterien der traditionellen
Wissensdefinition:
(1) Es befinden sich Schafe auf der Wiese.
(2) Gettjer ist überzeugt, dass sich Schafe auf der Wiese befinden.
(3) Gettjer hat Gründe für die Annahme, dass sich Schafe auf der Wiese
befinden.
Aber können wir in diesem Fall wirklich von echtem Wissen sprechen? Ich
denke eher, dass Gettjer Glück mit seiner Annahme hat, nicht aber dass er
wirklich weiß, dass Schafe auf der Wiese sind.
Das zweite Beispiel stammt nicht aus den Gesprächen Rohals des Weisen,
sondern ist ein selbst erdachtes.
Exemplum secundum: Auf seinen Reisen kommt Gettjer auch nach Albernia,
genauer gesagt nach Havena. Dort ziert den Giebel des Praiostempels ein
mechanisches Meisterwerk, geschaffen vom genialen Leonardo höchstselbst:
eine mechanische Uhr mit einem lauten Glockenspiel. Gettjer steht also vor
dieser Uhr, mitten in der Nacht, und die Uhr zeigt ihm an, dass es genau
Mitternacht ist. Zudem ist der Himmel von Wolken bedeckt, sodass man weder
die Sterne noch das Madamal sehen kann. Gettjer sieht also auf dieses
Wunderwerk und sagt zu sich: Ich weiß nun also, dass es Mitternacht ist.
Was Gettjer jedoch nicht weiß, ist, dass die Uhr gestern Nacht, genau um
Mitternacht, stehengeblieben ist und seitdem leider von den zwergischen
Handwerkern noch nicht wieder repariert werden konnte.
Prüfen wir auch dieses Beispiel anhand der Kriterien der traditionellen
Wissensdefinition:
(1) Es ist Mitternacht.
(2) Gettjer ist überzeugt, dass es Mitternacht ist.
(3) Gettjer hat Gründe für die Annahme, dass es Mitternacht ist.
Aber auch hier denke ich ist es nicht gerechtfertigt von Wissen zu
sprechen. Es scheint wohl eher Zufall zu sein, dass Gettjer genau zu
diesem Zeitpunkt auf die Uhr sieht, zu dem sie auch gestern Nacht stehen
geblieben ist.
Wir sehen also, dass die traditionelle Wissensdefinition ganz
offensichtliche Schwächen aufweist. Auch Rohal liefert hierauf keine
Antwort, sondern gibt seiner Schülerin die Aufgabe sich also stetig zu
fragen, was denn nun Wissen sei und was nicht. Und diese Aufgabe möchte
ich, in Anlehnung an den weisen Rohal, an euch weitergeben. Beschäftigt
euch, indem ihr selbst forscht und philosophisch tätig seid, mit diesen
Problemen und versucht eine bessere Definition des Wissensbegriffs zu
erreichen.
Ich möchte bei unserem nächsten Treffen einige Vorschläge hören..."
Und auch die geneigte Leserschaft des Opus möchte ich bitten sich mit
diesem Thema auseinanderzusetzen und uns über die Fortschritte in Kenntnis
zu setzen. Wer weiß, vielleicht haben wir ja schon in den nächsten
Ausgaben des Opus eine bessere Definition von dem, was Wissen eigentlich
ist.
Meister Eborëus Zachariad
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 150 am 14.4.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu Was ist Wissen? (1. Teil).
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Reactio de rogatione "quid est scientia".
Buchbesprechung: Die
Rose – Rahjas Blume
Format: 350-seitiger Quartband; geschrieben 30 – 32
nach Hal von der Magierin Mirhiban Azila Halimasunya aus Fasar in
Tulamidya, Garethi und wenig Isdira, nicht illuminiert aber reichlich
illustriert.
Auflage: Original im Besitz der Autorin, 50 Abschriften in Händen
von engen Freunden der Autorin und einiger Rahjatempel.
Inhalt: Im ersten Teil des Buches geht es ausschließlich um die
Rose, ihre Herkunft, verschiedene Züchtungen und Arten. Ratschläge zur
Zucht, zur Kreuzung, richtigen Pflege und Ratschläge bei Rosenkrankheiten
und anderen Problemen. Danach geht die Autorin dazu über, Hinweise zu
geben, was man alles aus Rosen herstellen kann und wofür man diese Blume
benutzen kann: Kosmetika, Kochrezepte bis hin zu rahjaischen Anwendungen
der Rosen. Außerdem befasst sich die Autorin intensiv mit dem
theologischen Aspekt der Pflanze. Im letzten Teil des Buches wird die Rose
in Zusammenhang mit Magie beschrieben. Dabei weniger als Paraphernalia
(die Autorin ist unbedarft solcher Dinge), sondern wie man Rosen mit Hilfe
der Magie wachsen und kreuzen kann und wie man mittels Illusionen
verschiedene Roseneffekte herbeiruft.
Wert: für Personen, die Rosen sosehr lieben wie die Autorin selbst,
unbezahlbar, sonst etwa 50 Dukaten
Das Buch in magiohermetischer Betrachtung: Es ist zwar keine Thesis
niedergelegt, jedoch wenn der Leser den Auris Nasus Oculus, den
Weihrauch Rose oder den Delicioso bereits beherrscht, so kann
er sich mit diesem Buch gewiss neue Einblicke und Erkenntnisse
verschaffen. Außerdem ist das Buch auch für Personen interessant, die sich
in der Pflanzenkunde weiterbilden wollen.
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 150 am 14.4.2002. |