ACADEMIA LIMBOLOGICA publicat
Opus veritatis scientiæque
seit Praios 29 Hal


Was ist Wissen?

2. Teil

"... Nachdem wir uns im 1. Teil der Vorlesung über die Vorgangsweise klar geworden sind, können wir endlich in medias res gehen:
Gleich im ersten Band der Gespräche Rohals des Weisen - ich erwarte im übrigen, dass jeder und jede von euch zumindest 3 Bände davon liest - finden wir einen Dialog zwischen Rohal und einer Schülerin, in dem die Schülerin den Weisen nach der Erkenntnis (was wir in diesem Fall mit dem Wissen gleichsetzen können) fragt. Und wie wir es von Rohal kennen, antwortet er ihr, indem er sie selbst über dieses Thema nachdenken lässt und sie selbst auf eine Definition des Wissens oder der Erkenntnis hinführen will. Die Schülerin macht im folgenden dann drei Definitionsversuche, welche Rohal allesamt durch Einwände, welche er in Fragen formuliert, widerlegt und die Schülerin somit zum Weiterdenken anregen will. Sehen wir uns also diese drei Definitionsversuche von Wissen oder Erkenntnis an:

Erkenntnis, so sagt die Schülerin als erstes, ist Wahrnehmung. (Ich bitte hier noch einmal zu beachten, dass es nicht um phänomenologisches Wissen geht, sondern um propositionales!) Oder richtiger gesagt: Erkennen ist Wahrnehmen, und damit kommt Wissen als Ergebnis des Erkenntnisprozesses durch Wahrnehmung zustande.
Dass diese Gleichsetzung von Wissen und Wahrnehmung nicht richtig sein kann, zeigt Rohal unter anderem am Beispiel des Gedächtnisses. Fast alles von dem, was wir zu wissen glauben, stammt aus unserem Gedächtnis. Wenn wir uns z.B. über phänomenologisches Wissen unterhalten wollen, es erforschen wollen, so können wir uns nur auf unser Gedächtnis verlassen. Denn in dem Moment, in dem ich eine Wahrnehmung mache, kann ich nicht gleichzeitig alles über sie sagen, was ich weiß. Wir könnten uns also allesamt nur mehr daran erinnern, wie das Kakao-Pulver von vorhin geschmeckt hat.

Also folgert die Schülerin, dass Wissen ein Zusammenspiel aus Wahrnehmung und Gedächtnis sein muss.
Doch auch das kann nicht sein, zeigt Rohal ihr auf, denn allzu oft täuscht uns unsere Erinnerung, unser Gedächtnis. Natürlich erweitert die Schülerin ihre Wissensdefinition daraufhin sofort in: Wissen ist Wahrnehmung und richtiges Erinnern. Doch selbst dies lässt Rohal nicht gelten, führt er ihr doch vor Augen, dass es oft auch unsere Wahrnehmung ist, die uns täuscht. Rohal verweist auf etliche Beispiele, in denen unsere Wahrnehmung uns täuscht, und ich möchte hier nur einige wenige anführen. So beschreibt er z.B., wie es Leuten ergeht, welche sich, in der Khom wandelnd, zu lange dem Schein von PRAios Antlitz ausgesetzt haben. Sie beginnen plötzlich Dinge zu sehen, welche gar nicht vorhanden sind. Rohals berühmtestes Beispiel ist aber gewiss jenes mit dem Elefanten. Rohal vergleicht in diesem Beispiel alle nach Wissen suchenden Menschen, egal ob in Belangen der Magie, der Philosophie oder anderer Wissenschaften, mit Blinden. Er meint, dass wir in Wahrheit allesamt nur so viel über die Dinge sagen könnten, wie Blinde, welche an ein und denselben Gegenstand, einen Elefanten, herangeführt werden. Der eine Blinde bekommt den Schwanz des Elefanten zu fassen, also meint er: Meine Wahrnehmung sagt mir, dass ein Elefant etwas Dünnes, Längliches ist, mit einigen Haaren am Ende. Ich weiß also, ein Elefant ist wie ein Staubwedel. Ein anderer Blinder umfasst das Bein des Elefanten, also meint er: Ich weiß, dass ein Elefant wie ein Baustamm ist. Ein dritter greift sich den Rüssel und behauptet: Ich weiß, dass ein Elefant wie eine Schlange ist. Und ein vierter schließlich legt seine Hände auf den Bauch und denkt sich: Ich weiß, dass ein Elefant wie ein Oger ist.
Rohal zeigt uns an diesem Beispiel gleich mehrere Probleme unserer Erkenntnis und damit unseres Wissens auf. Zum einen muss man sich stets bewusst sein, dass man als sterblicher Mensch niemals in der Lage ist, wirklich und wahrhaft zu sehen. Dies ist alleine den Göttern vorbehalten, und selbst wenn diese uns einen kleinen Teil ihres göttlichen Wissens mitteilen, ist der menschliche Verstand meist nicht in der Lage, dieses Wissen richtig zu verstehen. Außerdem sagt uns Rohal, dass jeder Forschende stets von einem gewissen Ausgangspunkt an eine Sache herangeht, soll heißen mit bereits vorgefertigten Meinungen, einem Vorwissen und bestimmten Einstellungen. Und als drittes können wir in diesem Beispiel sehen, dass der Mensch seine Erkenntnis oder sein Wissen stets versucht in Bildern und Vergleichen auszudrücken.
Dies sind die wesentlichsten Einsichten, die jeder nach Wissen strebende Mensch stets zu bedenken hat. Seid euch dessen also stets bewusst!

Doch wollen wir nun wieder zurückkehren zu Rohal und seiner Schülerin. Wir haben also gesehen, dass weder Wahrnehmung, noch Wahrnehmung und Gedächtnis alleine Wissen bzw. Erkenntnis ausmachen können. Dies heißt jedoch natürlich nicht, dass beide Dinge unwesentlich für unser Wissen wären. Sie können nur nicht alleine das ausmachen, was Wissen ist.
Also überlegt die Schülerin weiter, und sie bemerkt, dass es sowohl für den Menschen in der Wüste, welcher eine Wasserstelle vor sich glaubt (und dies als Wissen ansieht), als auch für denjenigen, der sagt, er wisse, dass ein Elefant wie ein Oger sei, entscheidend ist, dass er/sie davon überzeugt ist. Somit formuliert die Schülerin die Vermutung, dass Wissen wahre Überzeugung sein könnte. W a h r e Überzeugung deshalb, weil die Überzeugung alleine noch nicht ausreichen kann.
Doch auch dagegen bringt Rohal Argumente. So erzählt er von einem Mann, welcher jeden Mond in Rommilys zum Imannspiel geht und dort seinen Monatsverdienst auf die schlechtere Mannschaft verwettet. Jedes Mal kommt er nach Hause zu seiner Frau und behauptet: Dieses Mal, da werde ich gewinnen. Und dann, nach einem halben Jahr, gewinnt er tatsächlich und bekommt eine Menge Geld. Dieser Mann war auch fest davon überzeugt, dass er gewinnen wird. Und seine Überzeugung war ja schließlich auch wahr. Doch können wir in diesem Fall davon sprechen, dass der Mann wusste, dass er gewinnen würde? Ich denke nicht, dass dies Wissen ist - obwohl es wahre Überzeugung war.

Doch diese Wissensdefinition lässt die Schülerin nicht so einfach fallen, und so fügt sie hinzu: Wissen ist wahre Überzeugung, welche gut begründet ist; oder einfacher: Wissen ist wahre, begründete Überzeugung. Denn nach dieser Definition handelt es sich bei obigem Beispiel mit der Imannwette nicht um Wissen. Der Mann kann ja schließlich, so sagt sie, nicht gut begründen, weshalb er wissen sollte, dass er dieses Mal gewinnen wird.

Damit endet dieses Kapitel in den Gesprächen Rohals und damit sind wir nun bei der traditionellen Wissensdefinition angekommen, die heute immer noch die größte Verbreitung findet. Zusammenfassend wurde diese Wissensdefinition von unseren Collegae aus Punin folgendermaßen formuliert:"

Eborëus geht zurück zur Tafel und nimmt sich ein Stück Kreide. Dann beginnt er zu schreiben und erklärt währenddessen: "X steht im folgenden für eine beliebige Person, und p. ist das, was gewusst wird, also der Wissensinhalt."
Dann schreibt er:

Die Bedingungen für "X weiß, dass p.", also die Kriterien für Wissen, sind:
(1) Es ist wahr, dass p.
(2) X ist überzeugt, dass p.
(3) X hat Gründe für die Annahme, dass p.

Schmunzelnd und eher leise fügt er hinzu: "Ich frage mich, weshalb die werten Collegae in Punin meinen, sie müssten die einfachsten Sachverhalte immer möglichst kompliziert darstellen." Dann fährt er wieder laut und an die Scolaren gewandt fort:

"Nun könnte es uns so scheinen, als ob diese Wissensdefinition, da sie ja doch immerhin von den meisten gelehrten Leuten vertreten wird, auch die richtige ist. Und auch der weise Rohal scheint seiner Schülerin nichts mehr zu erwidern, als diese ihm die oben genannte Definition von Wissen vorschlägt. Doch es scheint nur so... denn wenn wir den dritten Band der Gespräche aufschlagen, dann finden wir dort eine weitere Abhandlung zu diesem Thema, in der Rohal neue Probleme für diese Wissensdefinition vorbringt. Diese Probleme nennt man in Anlehnung an die von Rohal erfundene Person, welche in all diesen Problembeispielen vorkommt, die Gettjer-Probleme.
All diesen Beispielen ist gemeinsam, dass sie die traditionelle Wissensdefinition zumindest in ernste Schwierigkeiten bringen, wenn nicht gar widerlegen. Sie funktionieren nach folgendem Prinzip: Ein Beispiel wird gegeben, in dem jemand Wissen zu besitzen scheint. Es wird geprüft, ob die Kriterien der traditionellen Wissensdefinition zutreffen, was ja bestätigen würde, dass es sich in dem Beispiel um Wissen handelt. Und zu guter letzt wird dann aufgezeigt, dass es sich in diesem Fall nicht um Wissen handeln kann, obwohl die Kriterien der traditionellen Definition zutreffen. Damit ist schließlich gezeigt, dass die traditionelle Definition nicht ausreichend ist.

Exemplum unum: Besagter Gettjer wandert kurz nach Frühlingsbeginn im Kosch und ist auf dem Heimweg. Da der Kosch eine eher ländliche Gegend ist, in der man vielerorts Hirten antrifft, ist es auch nicht weiter verwunderlich, dass Gettjer an einem sonnigen Nachmittag einen dieser Hirten mitsamt seiner Schafherde trifft. Die beiden machen zusammen Rast und teilen ihren Proviant. Der Hirte erzählt, dass er auf dem Weg zur anderen Talseite sei, zu einer Bergwiese, auf der er seine Schafe grasen lassen will. Die beiden trennen sich wieder, der Hirte mit den Schafen nimmt den Weg auf der rechten, Gettjer den auf der linken Talseite, und beide verlieren sich nach einiger Zeit aus den Augen. Nach zwei Tagen blickt Gettjer wieder hinüber auf die andere Talseite und tatsächlich kann er dort in der Ferne eine Bergwiese sehen, auf der einige weiße Flecken auszumachen sind. Ein kurzer Blick in Richtung der Wiese, und er meint zu sich selbst: Ich weiß nun, dass dort, auf dieser Bergwiese, Schafe sind.
Nun handelt es sich bei diesen weißen Flecken jedoch um Schneeflecken, welche noch vom Winter liegen geblieben sind. Allerdings befinden sich tatsächlich Schafe auf der Bergwiese, nur hat der Hirte seine Herde eben auf einen für Gettjer nicht einzusehenden Teil der Weise geführt, zum Beispiel hinter einer großen Felsflanke.

Prüfen wir nun dieses Beispiel anhand der Kriterien der traditionellen Wissensdefinition:
(1) Es befinden sich Schafe auf der Wiese.
(2) Gettjer ist überzeugt, dass sich Schafe auf der Wiese befinden.
(3) Gettjer hat Gründe für die Annahme, dass sich Schafe auf der Wiese befinden.

Aber können wir in diesem Fall wirklich von echtem Wissen sprechen? Ich denke eher, dass Gettjer Glück mit seiner Annahme hat, nicht aber dass er wirklich weiß, dass Schafe auf der Wiese sind.

Das zweite Beispiel stammt nicht aus den Gesprächen Rohals des Weisen, sondern ist ein selbst erdachtes.
Exemplum secundum: Auf seinen Reisen kommt Gettjer auch nach Albernia, genauer gesagt nach Havena. Dort ziert den Giebel des Praiostempels ein mechanisches Meisterwerk, geschaffen vom genialen Leonardo höchstselbst: eine mechanische Uhr mit einem lauten Glockenspiel. Gettjer steht also vor dieser Uhr, mitten in der Nacht, und die Uhr zeigt ihm an, dass es genau Mitternacht ist. Zudem ist der Himmel von Wolken bedeckt, sodass man weder die Sterne noch das Madamal sehen kann. Gettjer sieht also auf dieses Wunderwerk und sagt zu sich: Ich weiß nun also, dass es Mitternacht ist.
Was Gettjer jedoch nicht weiß, ist, dass die Uhr gestern Nacht, genau um Mitternacht, stehengeblieben ist und seitdem leider von den zwergischen Handwerkern noch nicht wieder repariert werden konnte.

Prüfen wir auch dieses Beispiel anhand der Kriterien der traditionellen Wissensdefinition:
(1) Es ist Mitternacht.
(2) Gettjer ist überzeugt, dass es Mitternacht ist.
(3) Gettjer hat Gründe für die Annahme, dass es Mitternacht ist.

Aber auch hier denke ich ist es nicht gerechtfertigt von Wissen zu sprechen. Es scheint wohl eher Zufall zu sein, dass Gettjer genau zu diesem Zeitpunkt auf die Uhr sieht, zu dem sie auch gestern Nacht stehen geblieben ist.

Wir sehen also, dass die traditionelle Wissensdefinition ganz offensichtliche Schwächen aufweist. Auch Rohal liefert hierauf keine Antwort, sondern gibt seiner Schülerin die Aufgabe sich also stetig zu fragen, was denn nun Wissen sei und was nicht. Und diese Aufgabe möchte ich, in Anlehnung an den weisen Rohal, an euch weitergeben. Beschäftigt euch, indem ihr selbst forscht und philosophisch tätig seid, mit diesen Problemen und versucht eine bessere Definition des Wissensbegriffs zu erreichen.
Ich möchte bei unserem nächsten Treffen einige Vorschläge hören..."

Und auch die geneigte Leserschaft des Opus möchte ich bitten sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen und uns über die Fortschritte in Kenntnis zu setzen. Wer weiß, vielleicht haben wir ja schon in den nächsten Ausgaben des Opus eine bessere Definition von dem, was Wissen eigentlich ist.

Meister Eborëus Zachariad

von: Philipp Schumacher
Erschienen in Opus no. 150 am 14.4.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu Was ist Wissen? (1. Teil).
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Reactio de rogatione "quid est scientia".



Buchbesprechung: Die Rose – Rahjas Blume

Format: 350-seitiger Quartband; geschrieben 30 – 32 nach Hal von der Magierin Mirhiban Azila Halimasunya aus Fasar in Tulamidya, Garethi und wenig Isdira, nicht illuminiert aber reichlich illustriert.
Auflage: Original im Besitz der Autorin, 50 Abschriften in Händen von engen Freunden der Autorin und einiger Rahjatempel.
Inhalt: Im ersten Teil des Buches geht es ausschließlich um die Rose, ihre Herkunft, verschiedene Züchtungen und Arten. Ratschläge zur Zucht, zur Kreuzung, richtigen Pflege und Ratschläge bei Rosenkrankheiten und anderen Problemen. Danach geht die Autorin dazu über, Hinweise zu geben, was man alles aus Rosen herstellen kann und wofür man diese Blume benutzen kann: Kosmetika, Kochrezepte bis hin zu rahjaischen Anwendungen der Rosen. Außerdem befasst sich die Autorin intensiv mit dem theologischen Aspekt der Pflanze. Im letzten Teil des Buches wird die Rose in Zusammenhang mit Magie beschrieben. Dabei weniger als Paraphernalia (die Autorin ist unbedarft solcher Dinge), sondern wie man Rosen mit Hilfe der Magie wachsen und kreuzen kann und wie man mittels Illusionen verschiedene Roseneffekte herbeiruft.
Wert: für Personen, die Rosen sosehr lieben wie die Autorin selbst, unbezahlbar, sonst etwa 50 Dukaten
Das Buch in magiohermetischer Betrachtung: Es ist zwar keine Thesis niedergelegt, jedoch wenn der Leser den Auris Nasus Oculus, den Weihrauch Rose oder den Delicioso bereits beherrscht, so kann er sich mit diesem Buch gewiss neue Einblicke und Erkenntnisse verschaffen. Außerdem ist das Buch auch für Personen interessant, die sich in der Pflanzenkunde weiterbilden wollen.

von: Philipp Schumacher
Erschienen in Opus no. 150 am 14.4.2002.


Der Schwarze Limbus Nachricht an die Autoren (c) 1998-2006 Spielerverein der Freunde des Gepflegten Rollenspiels