Der Weg des Blutes
Eine Abhandlung über die Verbindung von Leben und
Geist
von
Meister Barius von Charypso, Magister der Academia Limbologica
Fünftes Kapitel
Balsam Salabunde, die gesamte
Magica Curativa, eine Kunst,
verbreitet und geachtet im gesamten Weltenrund, die Macht eines jeden
Magus, die verbotenen Pforten des
Lebens zu öffnen, aber auch die wohl schwärzeste Spielart der
geistigen Künste, die Magie des
Blutes - all diese Wege der Magie haben eines gemeinsam: Sie
vereinigen die Macht des Geistes mit der Kraft des Lebens bzw. überwinden
deren unüberwindbare Grenzen.
Die eine Form der Magie wird nun schon solange praktiziert, wie die andere
gefürchtet ist, und doch konnte mir bis heute noch niemand erklären, und
ich habe viele Diskurse geführt - mit vielen - wie es möglich ist, diese
Schranken zu öffnen, worin diese Schranken bestehen, ja was „astrale
Energie“ und „Kraft des Lebens“ überhaupt sind. Daher habe ich mich
selbst aufgemacht dies zu ergründen, auch wenn ich fürchte, dass für
einen Sterblichen dies gar nicht zu ergründen ist.
Das erste
Kapitel erschien in Opus no. 15, das zweite und dritte in Ausgabe 27 bzw.
28, das vierte erstmals in Opus no. 30, Sonderausgabe.
So stellt
sich nun also die Frage, wie es denn möglich ist die Energie, die in Form
der Lebenskraft an unser Blut gebunden ist, von diesem Blut zu lösen
und anschließend in unsere Aura aufzunehmen.
Ad
primum:
Einfacher ist es, als man meinen mag, die
Lebensenergie vom Blut eines Wesens zu lösen. Gar von selbst geschieht
dieser Vorgang. Alles, was man zu tun hat, ist es, das Blut vom Körper zu
trennen und einige Zeit frei an der Luft zu lassen. Es wird augenblicklich
seine Flüssigkeit verlieren und zu einer festen roten Masse erstarren.
– Ein Zeichen, dass die Energie aus dem Blut entfleucht ist, sich im
wahrsten Sinne in Luft aufgelöst hat.
Ad
secundum:
Nun ist es allerdings nicht unser Wunsch die
Lebensenergie vom Körper eines Lebewesens zu trennen und dann einfach
verschwinden zu lassen. Wir wollen die Energie, die frei wird, für
magische Zwecke benutzen. Dies ist die wahre Kunst der Magie des Blutes.
Zwei Wege stehen uns nun offen. Zum einen können wir versuchen die
freigewordene Energie einfach aufzusaugen und zu unserer Astralen Kraft zu
addieren. Dies jedoch ist schier unmöglich und auch mir bisher noch nicht
gelungen. Wahrscheinlich bräuchte man besondere Hilfsmittel, die es ermöglichen,
die freie Lebensenergie in unsere Aura zu transferieren.
Einfacher ist es jedoch die Energie direkt in dem Augenblick, da sie aus
dem Körper des „Opfers“ entweicht in einen Zauberspruch einzuweben.
Man umgeht damit den komplizierten Vorgang, die Lebenskraft in die eigene
Aura aufnehmen zu müssen. Leider kann man meist nur einen geringen Teil
der befreiten Kraft in den Zauber einbinden, da der Rest viel zu schnell
entfleucht. Um dies zu verbessern habe ich mir nun einige Methoden
ausgedacht. Im Prinzip gilt es zwei Dinge zu versuchen: Es muss möglichst
viel Energie aus dem Blut befreit werden und man muss darauf achten, die
Umweltbedingungen so zu wählen, dass diese freiwerdende Kraft nicht zu
schnell entfliehen kann:
Wie
kann ich möglichst viel der Lebenskraft vom Blute eines Opfers befreien?
»...
Ruhe vor dem Sturm. Der dritte Tag war zu Ende gegangen und mehr Verluste
hatten wir hinnehmen müssen denn an beiden Tagen zuvor. Wir wussten, dass
die Nacht, die Zeit der Erholung kurz sein würde. Schon viel zu weit
hatten uns die Feinde in den Dschungel von Altoum zurückgeschlagen.
Unsere Befestigung war mehr als schlecht und mein dürftiges Feldlazarett
war gefüllt mit toten und solchen, die dem Tode nahe standen. Mir war
bewusst, dass wir einen weiteren Tag nicht durchhalten würden. Die Führer
des Sklavenaufstandes hatten sich schon seit einer Stunde zur
Besprechung zurückgezogen. Ihr Häuptling hieß Ennoiak. Er war ein großgewachsener
Eingeborener der Insel. Fast alle hier im Lager waren Mohaha – bis auf
mich und wenige Thorwaler, auf deren Otta ich gereist war, bevor uns
Piraten in der Meerenge von Sylla und Charypso überfielen und anschließend
als Sklaven verkauften. Der Gestank der verwesenden Körper begann mehr
und mehr meine Sinne zu trüben und beinahe wollte ich alles liegen und
stehen lassen und mich einfach den Gardisten Charypsos ergeben, als ich
lautes Schreien vom Befestigungswall hörte. In der Meinung wir würden
wieder angegriffen lief ich hinaus, doch es waren keine Angreifer, die
sich dem Lager näherten. Es waren zwei Mohaha, die einen dritten auf
ihren Schultern trugen. Sie näherten sich langsam vom Wald her den
Wachen. Als diese die Ankömmlinge erkannten, schrieen sie etwas für
mich, obwohl ich die Sprache der Mohaha gelernt hatte, unverständliches
in den Innenhof des Lagers. Alle Mohaha gerieten in Aufruhr und begannen
sich zu verstecken, andere fielen auf die Knie. Nur der Häuptling stellte
sich mit erhobenem Haupt den Ankömmlingen entgegen. „Sei gegrüßt Ermadrum!“
Der angesprochene alte Mann stieg sodann vom Rücken seiner Träger und
ging ohne ein Wort zu verlieren auf die Mitte der Lagerplatzes zu. Er war
mit bunten Farben bemahlt und durch Nase und Augenlider hatte er sich Stäbchen
aus Holz und Elfenbein gebohrt. Verschiedenste Ketten, Schalen und Zähne
schmückten seinen Körper. „Den Geist des ewigen Feuers müssen wir
rufen. Nur er wird die Feinde vernichten! Hier soll es sein!“ Darauf hin
begannen alle Mohaha Holz und Steine herbeizuschaffen und entzündeten ein
Feuer in Mitten des Lagers. Rund herum legten sie Steine mit den
sonderbarsten Formen und vor dem Feuer errichteten sie einen Altar aus
Holz und Fels.
Nachdem
alles bereit war, stellte sich der Schamane vor den Altar und begann
rituelle Gesänge anzustimmen. Die anderen setzten sich rund ums Feuer,
trommelten auf verschiedensten Gegenständen und tanzten zu den seltsamen
Klängen des Priesters. Plötzlich verstummte dieser und ein Mann aus der
Mitte der Tanzenden trat hervor. Er war stark und tapfer und hatte sich
schon oft im Kampfe bewährt. Nun stand er seiner letzten Prüfung gegenüber.
Ohne zu zögern legte er sich auf den steinernen Altar und schloss die
Augen. Der Schamane begann mysteriöse Zeichen auf seinen Körper zu
malen. Dann griff er in einen Beutel und holte den Zahn eines Feuergottes,
wie er sagte, hervor. Er hielt ihn in die Höhe und rief einen Namen immer
und immer wieder. „Alvafess, Alvafess – nimm Dein Opfer!“ – Der
Drachenzahn in den Händen des Priesters sauste mit selbigen hernieder und
stieß mit ungebändigter Wucht in den Körper des Kriegers. Das Blut
spritzte. Wie durch ein Wunder fuhr der Schamane mit seinen Händen unter
die Haut und die Knochen des Mannes und zog dessen Herz mitsamt dem darin
steckenden Zahn hervor und präsentierte es den anderen. „Irhimooch!“
Erschallte es aus seinem Mund, und dann warf er das Herz in die Glut des
Feuers. Dieses flackerte auf und eine spitze Flamme schoss in den Himmel
„Wer ruft mich hier gekrümmt sodann zu sehen meinen Feuerbann. Welch
Stimme schallte hier zu mir?“ „Irhimooch!“ „So sei es denn – du
willst es so!“ Die Flammen begannen immer höher zu züngeln, die Erde
bebte, als plötzlich ein Knall erschallte, der Boden sich auftat und ein
Schwall von Feuer, heißem Gestein und Lava in den Himmel schoss. In einem
Feuersturm hagelten brennende Steine auf des Feindes Lager herab.
Lichterloh entbrannte es sodann und noch viele Stunden war die Insel
erleuchtet vom hellen Feuer und Asche fiel wie Schnee zur Erde und begrub
die Leichen des Kampfes...«
So
siehe wie viel Macht und Kraft in einem frischen Herzen liegt, wenn du es
nur richtig nützt.
Der größte Erfolg lässt sich erzielen, wenn man nicht das Blut in einem
Gefäß aufbewahrt und während des Zaubers (am besten eignen sich Beschwörungen,
da die freiwerdende Kraft in diesem Fall in den Limbus, der ja geöffnet
wird, entfliehen kann und somit die Öffnung erleichtert) vergießt,
sondern Organe verwendet, aus denen man das Blut sodann herauspresst oder
durch wenige Schnitte mit dem Messer befreit. Ausgezeichnet eignen sich
dafür blutreiche Organe wie Herz, Gehirn oder unter Umständen auch die
Milz, die Leber, oder die Niere. Vor allem erstere bieten sich bei Beschwörungen
an, da sie selbst auch als Paraphernalia verwendet werden können.
»...und
des Blut des Menschs isch fimf mal besser wia vum Fiech...«
So
eignet es sich auch für Beschwörungen und Magie des Blutes allgemein,
jedoch die Götter behüten dies wirklich zu tun, denn ewig schlecht ist
der, der es wagt sich gegen Boron zu stellen.
Wie
kann ich die freiwerdende Kraft daran hindern zu schnell zu entfleuchen?
Die
Zeit sollte keinesfalls am Tag sein, da die Strahlung des Herren PRAios
die freiwerdende Energie sofort wieder neutralisiert und vernichtet.
»...wenn
der dunkle Mond, Madas Antlitz im Schatten, über den Himmel des Todes
steigt...«
Es
sollte möglichst Neumond sein, da die Energie sonst entlang der Strahlung
Madas fortfließen kann.
»...und
Marbo nur auf Dere blickt...«
Wenn
Marbo in den Gestirnen erscheint, ist es dem Beschwörer einfacher seine
Aura zu öffnen – eine gute Voraussetzung.
»...da
wird das Blut in den Adern der Lebenden zu brodeln beginnen und seine
Kraft wird sich befreien und voll Macht wird der sein, dessen Hände sie
zu nutzen wissen...«
Man
sollte sich selbst für die Energie fokussieren, indem man heilige Steine
der MAda oder HESinde
trägt. Auch das Horn eines Einhorns, der Stachel des Manticor, das Haar
eines Kobolds, die Schuppe des Basilisken, der Zahn des Vampirs und der Flügel
einer Fee scheinen gute Leiter zu sein, um Energie aufzunehmen.
»...doch
die Geister des Los und die Kinder der Sumu sind gierig und rauben das
Leben des Menschen zum eigenen Bedarf...«
Auch
sollte der Ort des Rituals weise gewählt sein: Keine anderen Geistwesen
sollten in der Nähe sein, die sich selbst der Kraft bedienen wollen.
Schlecht sind daher Wald, Stadt und andere fruchtbare Gegenden. Wüste,
Berg, Höhle und Einöde eignen sich dafür umso besser.
Aber
Magus sei gewarnt, ist Wissensdurst in dir entbrannt. Lass dich nicht verführen
an dies Wissen leicht und ohne Scham zu rühren. Wisse: Der Schamane, von
dem ich erzählt, kam noch in der selben Nacht ums Leben. Ein Wind kam nämlich
auf und trug manches des feurigen Gesteins, das vom Himmel auf die Feinde
fiel, auch zu uns. Und der Geist nahm zu sich ins Feuer den Schamanen und
noch drei der Mohaha, denn Geister heißen nicht gut, wenn ein Mensch die
Gesetze der Götter vergisst.
von: Daniel Junker Erschienen in Opus no. 31 am 29.8.1999 als Reaktion oder Fortsetzung zu Der Weg des Blutes - Teil IV.
Gepriesen sei der Eine, ...
...der uns einen jeden Morgen mit strahlendem
Lichte wärmt und erweckt. Doch wie getrübt wird diese Helligkeit, wenn
ich die Verbohrtheit und die willentliche Unwissenheit mancher Collegae
sehen muss!
Unser Leben ist kurz. Und dennoch meinen manche, die kostbare Zeit, die
uns gegeben wurde, durch ihr kleinkariertes Denken, noch einmal verkürzen
zu müssen. Sei es durch stundenlanges Geschwafel über theoretische
Exkurse oder durch nie enden wollende Monologe. Ist nicht schon das
Schreiben, ja auch das Lesen dieses Artikels ein müßiges Treiben? Wenn
wir endlich begreifen würden, dass der Moment das Wichtigste ist, was wir
in unserem Leben haben!
Aber trotzdem wird weiterhin stundenlang Theorie gelehrt, so trocken,
wie der neunmal verfluchte Sand der Wüste Gor! Wann wird man endlich
begreifen, dass alles Wissen, niedergeschrieben oder mündlich
weitergegeben, uns vor einem nicht schützen kann: Der Furcht, dieses
Wissen auch zu nutzen.
Es ist nicht genug zu wissen, man muss auch anwenden; es ist nicht genug
zu wollen, man muss es auch tun! Stellt einem Abgänger einer Akademien
unseres Landes, die sehr auf die theoretische Ausbildung bedacht ist,
einem dieser drei und drei und dreimal bespuckten Daimonoiden gegenüber,
und er wird, hat er noch nie eine solche Kreatur gesehen, all sein Wissen
vergessen und all seine Kraft vorerst einmal in seine unteren Gliedmaßen
lenken. Nur wer seinen Gegner kennt, kann ihn auch besiegen. Und selbst
die schönsten Illustrationen eines Buches und die ausschweifendsten
Beschreibungen eines Lehrmeisters können nicht das aufwiegen, was man mit
eigenen Augen gesehen oder vielleicht auch nur erahnt hat.
Und genauso wird nie ein Studiosi
die Raffinesse und die erstaunliche Wirkung eines unser wichtigsten Zauber
erahnen, bevor er nicht gesehen, wie ein Balsam Salabunde in practico
selbst die ärgsten Wunden verschließt, Knochenbrüche verheilt und aus
einem Krüppel wieder einen Krieger macht!
So verkriecht euch nicht hinter euren Büchern und Arbeitstischen,
sondern geht hinaus in die Natur, erlebt sie und gestaltet sie selber mit!
Meister Achmed ibn Mhukkadin al Ghunar
von: Clemens Schumacher Erschienen in Opus no. 31 am 29.8.1999.
ACADEMIA
LIMBOLOGICA
Die Pforte IV
Beilage zu
Opus no. 31, der 1. Phex 29 Hal.
Wer sich fragt, was rund um die Pforte unter der Bibliothek geschieht und warum der Prozess
der zwei Magi Rukus Ambrosius und Thundar Hurlemanoff noch
nicht begonnen wurde, der wird wohl Einsicht erlangen, wenn er hört, was in der
Akademie geschehen ist...
...Ein leises Tropfen... Der unheimliche Dampf wird leicht aufgewirbelt... immer mehr Tropfen regnen von oben herab.
Die Anwesenden werden weder benetzt noch
benässt... doch noch während alle zur Decke blicken, kommt einem mit einem unterdrückten Husten Sheddjas die Gewissheit: Die Luft wird knapp, kaum kann man noch atmen,
sie wird dünner, scheint zu verschwinden und etwas Zähes, doch Flüssiges, sammelt sich am Boden vor dem Portal an,
lässt den Dampf auf sich schwimmen und löscht zischend die Kerzen des Pentagramms. Doch keine Nässe. Und immer höher steigt die Flut, immer dichter regnet es von der Decke und immer weiter weichen alle Anwesenden nur mit größter Mühe angesichts des zähflüssigen Untergrundes zu den Stufen zurück, gierig nach Luft schnappend.
Unwissend um all die Vorgänge, die nur ein Stockwerk tiefer wohl geschehen mögen, schließt Achmed langsam seine Augen und denkt zurück an die schönen Zeiten in Rashdul, die Feste, die Musik und die wunderschönen Sharisad. Beinahe meint er schon das melodiöse Klingen ihrer Fußkettchen zu hören als ihn ein leises Räuspern aus den Träumen reißt. Er öffnet langsam sein rechtes Auge, um den Urheber dieser Geräusche auszumachen.
RUMS!
Im nächsten Augenblick fliegt Achmed Hals über Kopf nach hinten vom Sessel und landet unsanft auf der
aranischen Säbelpflanze, die sich in hinteren Teil des Raumes breitgemacht hat. "Bei allen Kamelen! Das haut ja selbst den stärksten Novadi um!" Achmed macht sich daran, sich langsam wieder aufzurichten, ohne an den scharfen Eckkanten der Blätter anzukommen. Vor ihm steht mit erhobenen Kopf die Argelia von Kuslik, Geweihte der Hesinde, die sich, angesichts dieser Situation ihres Kollegen, ein kleines Grinsen nicht verkneifen kann. Doch kaum ist Achmed wieder auf den Beinen, setzt sie wieder ihre gestrenge Miene auf und blickt den Magus finster an: "Was, in aller Götter Namen, tut ihr hier?!" - "Nun, ich dachte jetzt, wo ja fast alle Wichtigeres zu tun haben, ich dachte, da könnte ich doch... ähm... Wollt ihr vielleicht auch ein
bisschen Zithabar?" Argelia starrt ihren Kollegen jetzt noch strenger an und sagt dann mit fester Stimme: "Nun, wir werden sehen, was unser Großmeister dazu sagt." - "Nein!" Achmed springt
zwischen Argelia und die Tür, der sie sich gerade zuwenden wollte. "Alles nur das nicht!" Argelia hält inne und fährt sich mit ihrer Hand an die Schläfe. Sie würde diese Situation gnadenlos ausnützen, das
wusste Achmed. Aber lieber dem kranken Verstand einer Laienpredigerin ausgesetzt, als dem Zorn des Großmeisters. "Ich denke, es ist am besten, ihr besucht heute
Abend MEINEN Gottesdienst. Ich erwarte euch." Mit diesen Worten entschwindet Argelia
dem Blickfeld des verdutzten Achmed.
Verstört blickt Rukus angesichts der tropfenden Flüssigkeit zuerst zur Decke, dann zum Boden, wo er langsam den sorgsam gezeichneten Schutzkreis verlaufen sieht. Es ist schwer zu sagen, ob es der Schreck über die sich nun plötzlich überschlagenden Ereignisse ist, oder der tatsächliche Mangel an Atemluft, der Rukus sich mit der Hand zum
Herzen fahren und auffällig nach Luft japsen lässt. Wie gebannt starrt der greise Magus auf den seltsamen Rauch, der nach wie vor aus dem riesigen Portal hervorquillt. Immer höher steigt der Flüssigkeitsspiegel indes an, doch der vollkommen verstörte Magier scheint außer Stande, sich aus eigener Kraft in Sicherheit zu bringen.
Wie Sheddjas des alten Magus' Probleme bemerkt, will sie sofort zu ihm eilen, hebt einen
Fuß aus dem Nass und verzieht geekelt den Mund, als sich lange
Fäden von der inzwischen wadentiefen Flüssigkeit zu ihrem leichtem Schuhwerk ziehen. Mit einem Pflopp gibt das
zähe Zeug dann auch ihren anderen Fuß frei und sie kann Rukus an der Schulter stützen. Sofort beginnt sie ihn in Richtung Treppe zu ziehen: "Bei den Niederhöllen! Was ist das? Wir müssen raus!" schreit sie, denn das stetige Tropfen
übertönt schon die meisten Geräusche. Nur sehr langsam und schwerfällig gelangt sie zu den ersten Stufen, keucht und
jappst, bis sie dann erschöpft in der Mitte der Treppe zusammenbricht, sich auf den Stufen abstützt und erst einmal heftig schnaufend wieder ihre
Kräfte sammelt. Inzwischen ist auch Rukus aus dem zähen Medium befreit, wurde durch den Sturz Sheddjas aber nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Und hinter ihnen stehen die zwei Magier
Erilarion und Thundar inzwischen fast hüfttief in honigartiger Flüssigkeit und schnappen heftig nach Luft.
Der inzwischen offensichtlich wieder zur Besinnung gekommene Rukus nützt die ihm auf diese Art zwangsverordnete Verschnaufpause, um sich nach eben jenen beiden anderen Magi umzusehen. Hustend und noch immer die linke Hand an
die Brust gepresst blickt er gehetzt und unschlüssig zuerst auf den Großmeister, dann auf das Sicherheit verheißende obere Ende der Treppe und schließlich auf seinen puniner Collegus, der der unheilvollen Pforte noch immer am nächsten steht. Das lautstarke Tropfen und Plätschern übertönt das
missmutige Gezeter des greisen Magiers, als sich dieser schließlich einen halbwegs sicheren Halt auf der Treppe sucht, sich mit der freien Hand einen
verlässlichen Haltepunkt an der Wand ertastet und mit seinem Stab dreimal kräftig auf die steinernen Stufen pocht, bevor er ihn mit einer weit ausholenden Geste auf die Pforte richtet. Noch in der Bewegung scheint der Stab in sich flexibler und auch länger zu werden, bis schließlich das Ende eines ansehnlichen Seiles direkt an Großmeister Erilarion vorbei auf Thundar zugeschossen kommt...
Als Thundar bemerkt, dass Rukus sein Seil in seine Richtung befördert, packt er es mit der linken Hand und schlingt es mehrmals um sein Handgelenk und beginnt sich in Richtung Treppe vorzuarbeiten.
Sheddja hat sich inzwischen aufgerappelte und sieht sich mit angstgeweiteten Augen im beträchtlich überfluteten Raum um... klebrige Fäden des zähen Mediums, das bald den Raum zur Hälfte auffüllt, ziehen sich durch Gewand und Haare. Im
bläulichen Zwielicht ist noch immer ein dichter Schauer von der Decke zu erkennen und man hat fast keine Möglichkeit mehr zu atmen. Als sich auch Thundar mit Rukus' Hilfe zur Stiege
hingezogen hat bleibt nur noch der Großmeister zurück. "Erilarion!" ruft Sheddja, "Wir müssen raus!" dann formt sie die Hände vor ihrem Mund zu einem Trichter und schreit "Aeolitus!" - ein leichter Windhauch erfüllt den Raum und gibt einem wieder kurz die Gelegenheit einen
normalen Atemzug zu tun. Tief holt der Grossmeister Luft, saugt den kurzen Windhauch förmlich in
sich auf, der ihm da von der Treppe entgegenkommt, und macht sich dann auf den mühevollen Weg in Richtung Treppe. Doch schon bei den ersten Schritten merkt er, dass das Vorankommen in dieser zähen Flüssigkeit und noch dazu in seiner Magiergewandung nicht gerade schnell vonstatten geht. Der Raum hat sich inzwischen weiter angefüllt und Erilarion steckt nun bis über die Hüften in diesem verflüssigtem Etwas. Er hat seine Versuche vorwärts zu kommen nun vollends aufgegeben und ruft mit befehlsgewohnter Stimme zu Sheddja hinüber: "Holt mir den Dschinnenbeschwörer... ein Geist der Lüfte ist die einzige Möglichkeit! Und bringt mir sofort den Charypter aus seinem Zimmer hierher!" Nachfolgend ruft er noch einige Beschimpfungen - wohl offensichtlich Meister Barius von Charypso betreffend - die aber im Tropfen und Plätschern untergehen.
"Aber...", beginnt Sheddja kurz, dann dreht sie sich zu den Stufen um und eilt diese empor. Die Dunkelheit der darüber
liegenden Bibliothek verschlingt sie und lässt die drei männlichen Collegi allein zurück.
Achmed ist gerade dabei, die Unordnung, die er in Erilarions Zimmer angerichtet hat, halbwegs wieder aufzuräumen, als ihn plötzlich ein kurzer, aber heftiger Schmerz durch den ganzen Körper fährt. Schon lange hatte er so etwas nicht mehr gespürt, doch er wusste, hier war etwas unaussprechlich Böses, etwas Dämonisches am Werk. Und seine Freunde waren in
größter Gefahr. Sofort lässt er von seiner Arbeit ab und steckt seinen Kopf aus der Tür. Und wirklich, da hört er eine Stimme nach ihm rufen, keuchend, gepresst, aber klar verständlich. Es ist Sheddja, die da nach ihm ruft und sie klingt nervös, nahezu aufgeregt, obwohl sich Achmed nicht sicher ist, ob Sheddja dieses Gefühl
überhaupt kennt, geschweige denn verspüren kann. Achmed packt seine weite Magierrobe mit beiden Händen, hetzt zur Stiege und mit eiligen Schritten diese hinab. Schnell wendet er sich im Säulengang der Bibliothek zu, als ihm schon die Druidin eiligen Schrittes und fest nach Luft schnappend entgegenkommt...
"Der Großmeister..." Sheddja jappst nach Luft "...beim Portal - ein mächtiger Cantus wie es scheint..., eine zähe Flüssigkeit und die Luft wird knapp. Ein Luftdschinn kann ihn retten!" Sheddja holt noch einmal tief Atem und die übliche Ruhe legt sich
über ihre Züge. "Der Großmeister meinte auch, Meister Barius solle kommen... doch der Dschinn ist wichtiger. Ich hoffe es ist Zeit dazu - Die Magi Rukus und Thundar sind noch unten... sie können noch helfen..." Sheddja scheint zu erwarten, dass der novadische Magier sofort mit der Beschwörung beginnt, starrt nachdenklich ins Nichts und murmelt "...ich... Barius...", wendet sich ab und schreitet zu zwei Studiosi, die am Geländer des Säulengangs sitzen, mit aufgeschlagenen Folianten auf den Knien, und das Geschehen erstaunt beobachtet hatten. Sheddja spricht kurz zu ihnen und sie springen sofort mit bangen Gesichtern auf, legen die Bücher zur Seite und eilen in Richtung des Beschwörungsturms bzw. der Gemächer. Mit einigen mahnenden Worten, die niemand hört, hebt die Meisterin die Bücher vom Boden auf, klopft den Staub von den Einbänden und sieht zurück zu Achmed... erwartungsvoll.
Noch immer steigt die zähe Flüssigkeit höher und schiebt sich bereits die Treppe hinauf. Lange werden Rukus und Thundar dort oben wohl kaum mehr verweilen können. Wo nur dieser Dschinnenbeschwörer bleibt? Gerade noch könnt ihr den Kopf des Großmeisters aus der
Flüssigkeit ragen sehen, das Seil hat er immer noch fest in beiden Händen, da schwappt
plötzlich eine Welle über Großmeister Erilarion hinweg, für kurze Zeit ist rein gar nichts mehr von dem Akademieleiter zu sehen. Die Sekunden vergehen...
Das Seil! Er muss es losgelassen haben, denn es hängt jetzt schlaff in die Flüssigkeit hinein. Als Rukus daran zieht, kann er keinen Widerstand spüren. Der Großmeister bleibt verschwunden - und auch
die zwei verbliebenen Magier sollten so schnell wie möglich hier raus!
Meister Achmed zieht eine Augenbraue hoch, verschränkt die Arme und sieht der Meisterin dabei zu, wie sie die Bücher aufhebt: "Wohl etwas unkonzentriert, liebste Meisterin. Ein Dschinn? Da sind Vorbereitungen vonnöten, ein langes Beschwörungsritual. Ist der Großmeister ernsthaft in Gefahr? Hat mich mein Gefühl nicht getäuscht?" - Sheddja dreht sich verwundert um, legt die Bücher wieder in den Staub und nickt
kräftig "Bei Los und Sumu, ja! Wir müssen etwas tun! Ein Elementargeist! Ja, das meinte er." - "Bikull suruhr" antwortet Meister Achmed auf Tulamidya, streckt die Arme gen Himmel und spreizt die Finger fast unnatürlich weit. Sodann beginnt er auf tulamidisch den auch der Druidin wohlbekannten Spruch zu rezitieren, ruft die
großen Winde der Meere und die Stürme über der Khom an...
von: Clemens Schumacher Erschienen in Opus no. 31 am 29.8.1999 als Reaktion oder Fortsetzung zu Die Pforte III.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Die Pforte V. |