ACADEMIA
LIMBOLOGICA
Die Pforte V
Beilage zu
Opus no. 35, der 29. Phex 29 Hal.
Noch sind die Rätsel um die Pforte unter der Bibliothek der Academia
Limbologica nicht gelüftet. Die Ereignisse der letzten Zeit warfen ganz im
Gegenteil neue auf und noch immer ahnt niemand, was wirklich vor sich geht...
Um das Gedächtnis wieder aufzufrischen:
Der Großmeister verschwand in den Fluten klebriger, zäher Flüssigkeit vor dem
Portal, die Magi Thundar Hurlemanoff und Rukus Ambrosius konnten ihm bisher
nicht helfen. Und vor der Bibliothek begann Meister Achmed einen Elementargeist
der Lüfte herbeizurufen...
Das Seil! Er muss es losgelassen haben, denn es hängt jetzt schlaff in die
Flüssigkeit hinein. Als Rukus daran zieht, kann er keinen Widerstand spüren.
Der Großmeister bleibt verschwunden - und auch die zwei verbliebenen Magier
sollten so schnell wie möglich hier raus! Doch Thundar fängt schon wieder an zu
zeichnen.
Vor den Augen Rukus' entsteht ein Pentagramm in der zähen Oberfläche der
Flüssigkeit, die fast den ganzen Raum vor dem Portal füllt und den zwei Magi
darüber kaum noch Platz lässt. Die Einwände seiner Collegi wischt Thundar mit
rüder Geste beiseite. Kaum ist er fertig, beginnt er den Cantus PENTAGRAMMA
DRUDENFUSS zu rezitieren - schließlich handelt es sich bei jener den Raum immer weiter
anfüllenden Flüssigkeit um eine höchstwahrscheinlich dämonische Präsenz!
Die Sekunden verrinnen...
Mit starrem Blick sieht Thundar auf das Pentagramm hinab, das langsam zerläuft. Kein Hauch
rührte sich und durch das laute Plätschern hindurch ist auch nichts zu hören...
außer... war da ein Schrei, ein Brüllen hinter dem Portal? Nein, Einbildung! entscheidet Thundar
für sich und sieht sich hektisch um. Was jetzt? Wie kann man dem Großmeister helfen?
Plötzlich bleibt Thundars Blick an seinen eigenen Händen hängen. Er dreht den Ring mit dem
großem Rubin, den er an seiner Hand trägt, und rezitiert auf Alttulamidya:
"Kraft des Feuers steh mir bei!"
Plötzlich knistert und wabert die Luft vor den zwei verbliebenen Magi vor Hitze und Teile der
Flüssigkeit werden aufgelöst und verflüchtigen sich. Eine Vertiefung entsteht im fast ganz
gefüllten Raum und in ihr schwebt plötzlich eine mächtige Flamme... zwei Augen sind darin zu erkennen und mit der Zeit bilden sich Arme, ein Kopf und sogar Finger bis ins kleinste Detail... "Was ist dein Begehr Meister?" haucht der Dschinn und ein Schwall von Hitze
fährt über die Magi hinweg, die hustend Atem schöpfen, den sie nur ungenügend
erhalten. Doch Thundar fasst sich schnell und sagt:
"Schütze Erilarion, den Großmeister, der soeben vor unseren Augen hier versunken ist, um jeden Preis!" - "Dein Wunsch ist mir Befehl!" und mit
ohrenbetäubendem Zischen verschwindet der Dschinn im zähen Medium, bringt es zum kochen und brodeln.
Heiße Fontänen steigen auf, doch kein Dampf...
Thundar und Rukus werden von einem heißen Luftstrom nach hinten gedrängt, fast von den Beinen geholt und weichen nun ganz in die stille und dunkle Bibliothek
- die letzten Stufen der Treppen hinauf - zurück... und hoffen darauf, der Dschinn
möge Erilarion noch lebendig finden. Dann ebbt der plötzliche Sturm ab und nahe, ganz nahe,
spüren die Magi elementare Hitze - als stünden die eigenen Roben in Flammen! Und als sie sich panisch umdrehen,
unfähig etwas zu hören oder zu sehen, sticht ihnen auf einmal ein roter Blitz in die Augen, der ebenso schnell verschwunden ist, wie er
aufgetaucht war.
Dunkelheit umhüllt die Magier, als sie hastig nach dem Ausgang der Bibliothek suchen. Immer wieder
stoßen sie gegen Regale, die lautlos zu Boden poltern. Dann ertastet Rukus das Relief rund um das Portal... endlich werden sie wieder Praios Antlitz erblicken... doch schon wieder
strömt Hitze auf sie zu, wird nahe des Ausgangs fast unerträglich. Als die Magi dennoch nach
außen stürmen, werden sie fast wieder in die Dunkelheit zurückgeworfen. Um sie herum scheint Feuer zu sein, nichts als Hitze, Licht und Flammen. Panisch suchen die Magi Schutz an der Wand der Bibliothek und als sie nach mehrmaligem Blinzeln das Licht vom Schatten
zu trennen vermögen, sehen sie eine Feuersäule, auf welcher der flammende Oberleib des Dschinns
thront, welcher die Arme vor der Brust verschränkt hat und nun zu den Neuankömmlingen
herabblickt. Als die Magi ihre Augen noch weiter zusammenkneifen vermeinen sie einen Schatten zu erkennen - einen Schatten inmitten des feurigen
Dschinnenkörpers! Es ist der Großmeister, der seine Robe an sich gerafft hält! Und nebenan stehen Achmed und Sheddja, mit geschlossenen Augen und Falten auf der Stirn. Ihre Arme halten sie vor der Brust verkreuzt, die Finger weit gespreizt. Dann mit dem Ruf
"Zarach ay Majj!" reißen beide die Arme weit ausgestreckt nach
vorne, und aus der Luft materialisieren sich Wände... Wände aus Wasser! Sie bilden ein
Kreuz dessen Mittelpunkt der Großmeister bildet und welches, auf den Feuerdschinn treffend, zischend verdampft. Dieser verzieht sein Flammengesicht, blickt gen Himmel und eine Stichflamme
schießt hoch in den Himmel... doch er hält der Tortur stand und die Wände bleiben fern von ihm - und vom
Großmeister. "Meister," haucht der Dschinn mit feurigem Odem und wendet sich an Thundar, "ist er sicher?"
Noch immer etwas geblendet und leicht verwirrt von der Hetzjagd durch die Bibliothek und der verzweifelten Suche nach dem Ausgang, dauert es erst einmal einige Zeit, bis Thundar die Frage versteht. Ein immer breiter werdendes, erleichtertes
Grinsen verzieht sein Gesicht...
"Ja, er ist in Sicherheit! Dein Dienst ist erfüllt! Ich danke dir von ganzem Herzen
für deine Hilfe, Dschinn."
Der Dschinn verneigt sich wortlos, wird unförmiger, kleiner und kleiner bis er nur mehr ein einzelnes
Flämmchen ist, schwebt zur nächsten Fackel, die an der Wand hängt, und verschmilzt mit deren
Flamme.
Sobald der Dschinn im Begriff ist, sich aufzulösen, drängt nach und nach das Wasser der elementaren
Wände immer weiter auf den Großmeister zu. Dessen Kleidung ist mittlerweile durch das elementare Feuer
stellenweise versengt und auch von der Stirn Erilarions tropft der Schweiß in kleinen Perlchen herab.
Für kurze Zeit nur sieht man den Großmeister verwirrt in das lächelnde Gesicht Thundars blicken, dann jedoch
stürzt das Wasser von allen Seiten über ihn herein. Noch ehe irgendeiner der Anwesenden reagieren kann, vernimmt man einen langgezogenen Schrei und
Großmeister Erilarion wird aus dem Wasser heraus in Richtung der Gangwand geworfen, an die er
schließlich - nach immerhin drei Schritt Flug - auch wie ein nasser Sack klatscht. Alle Herbeieilenden
können nun sehen, wie der Großmeister vollkommen durchnässt und aus einer Platzwunde am Kopf blutend an die Mauer gelehnt
daliegt, die Augen geschlossen.
Völlig außer Atem lehnt sich auch Rukus an die Wand neben dem Eingang zur Bibliothek und presst sich noch immer die Hand auf die Brust. Seine röchelnden Atemzüge werden von einem hellen Pfeifen begleitet, der Schweiß steht ihm auf der Stirn und sein Gesicht ist geprägt von der Anspannung und Angst der letzen Minuten. All das war wohl ein wenig zuviel Aufregung für einen gelehrten Mann seines fortgeschrittenen Alters. Als er den ersten Schrecken überwunden hat, reckt er schließlich die Hände samt Stab der Decke entgegen und ruft aus: "Gepriesen
seiest du, Herrin Hesinde, dass du uns aus diesem brodelnden Chaos hast entkommen lassen!" Dann wendet er sich dem
Großmeister zu und fragt verstört: "Was im Namen von Nandus und Hesinde war das?"
Gerade als Meisterin Sheddja zu einer Antwort ansetzen will, öffnen sich die Augen des
Großmeisters; und während er einmal tief einatmet, tasten seine Finger nach der immer noch blutenden Wunde am Haupt. Euch allen wollen keine passenden Worte einfallen, doch dies ist auch gar nicht
nötig, denn anscheinend hat der Großmeister ebendiese Worte schon parat. Mit donnernder Stimme, sodass es wohl
ein jeder im Gebäude hören muss, spricht er: "Alle Niederhöllen über euch! Was geht hier vor?" Doch ohne eine Antwort abzuwarten,
fährt er mit dröhnender Stimme fort: "Praiospotzblitz noch mal! Da entrinne ich nur knapp meinem Schicksal, komme nichts ahnend hier an und was geschieht?! Zuerst werde ich von einer Feuersbrunst
umhüllt, welche mich - aus welchen Gründen auch immer - nicht wieder gehen lässt
und mir ganz nebenbei meine Robe versengt...". Sein zornerfüllter Blick scheint
während dieser Worte nach dem Urheber für diese 'Feuersbrunst' zu suchen, "...und dann - wohl zur Erhaltung des elementaren Gleichgewichts - werde ich von gewaltigen Wassermassen erfasst, die mich
schließlich hierher verfrachten. Bin ich hier in die Niederhöllen geraten oder was?!" Wer nun glaubt, dass der lautstarke Redeschwall des
Großmeisters ein Ende hätte, der irrt. Denn Erilarion erhebt sich, das Gesicht rot vor Zorn, und kommt auf Meisterin Sheddja und Meister Achmed zu. "Stupidi et Stulti! Ubi ibi sum? In nomine Hesindae, quod fecerunt?!" Eine kurze Verschnaufpause folgt, dann
fährt er fort, diesmal allerdings mit etwas gedämpfterer Stimme: "Und jetzt geht mir aus dem Weg, ich kann euren Anblick nicht mehr ertra..." Mitten im Satz bricht Erilarion ab und eilt an den zwei Meistern vorbei den Gang entlang.
"Endlich eine vernünftige Person! Komm an meine Brust, Eborëus." Ohne dass ihr es gemerkt
hättet, sind die zwei Adepti, die Meisterin Sheddja zu Meister Barius schickte,
zurückgekehrt. Einen von ihnen - den mit Eborëus angesprochenen - schließt Großmeister
Erilarion eben gerade in seine Arme, redet dann leise ein paar Worte mit ihm, bis er sich
endgültig abwendet und hinter der nächsten Ecke - immer noch murrend und vor sich hin schimpfend - verschwindet.
Meister Achmed schaut angesichts der Beruhigung der Lage mit verduzter Miene dem
Großmeister hinterher, der ihn soeben in einem Kauderwelsch aus Garethi und Bosparano beschimpft hatte. Oder war da nicht auch ein Hauch von Horati zu
hören? "Erilarion-bil, al'Scheik, ihr habt Glück, dass ich euch aufgrund eurer bisherigen Taten, die ihr vollbracht habt, den Respekt entgegenbringe, der mich nun davon
abhält, euren Kopf, der Dinge spricht einer Sindh gleich, von euren Schultern zu trennen. Aber
hört ihr al'Hawa? Nehmt euch vor dem dritten Rastullahella in Acht, mein Silhamib!"
Nach diesen Worten, die für alle noch Anwesenden gut hörbar waren, zieht Achmed seinen Turban tiefer ins Gesicht und murmelt noch im Gehen: "Sobald der Mensch in Zorn
gerät, gerät er in Irrtum!"
Nachdem der Großmeister schimpfend um die Ecke verschwunden ist, eilt Eborëus mit seinem jüngeren Kollegen stante
pede auf Meisterin Sheddja zu um auch ihr Bericht zu erstatten: "Nun...
werte Meisterin, ich habe getan, was Ihr mir aufgetragen habt und bin zum Gemach von Meister Barius geeilt um ihn über den akuten Vorfall in Kenntnis zu setzen. In seinem Gemach jedoch konnte ich ihn nicht auffinden und so eilte ich schnellen Schrittes zum Turm, um an der Labortür zu klopfen, jedoch auch dort öffnete er nicht.
Selbst habe ich es nicht gewagt das Labor zu betreten, denn ihr wisst wie er reagiert, wenn er bei
seinen... wie auch immer, wenn er gestört wird - und versteht das nicht falsch - ich will meine Finger noch behalten. Denn Gerüchten zufolge, die im Schlafsaal des Nachts, wenn wir die Schritte des Meisters im Gang pochen hören, erzählt werden, soll er nämlich einmal..." Der Studiosus setzt gerade an mit zögernd zitternder Stimme zu erzählen, als Sheddja mit einem Wink ihrer rechten Hand den Knaben unterbricht.
Thundar wirft Sheddja einen dankenden Blick zu ergreift daraufhin das Wort: "Wie bei allen Niederhöllen ist Erilarion da heraus gekommen - und dann auch noch vor uns?" Das Grinsen in Thundars Gesicht ist
längst wie weggeblasen, als er zu Sheddja und Rukus gewendet diese Frage in den Raum stellt. "Aber",
fährt er fort, "eigentlich ist dies momentan wohl eher nebensächlich - vordringlicher erscheint mir die Frage, was mit diesem Schleim und der Pforte im Moment geschieht. Wir
müssen mit dem Schlimmsten rechnen! Schließlich könnte es sich ja wirklich um ein Portal in die
Niederhöllen handeln und die Manifestation dieser gallertartigen Masse lediglich der einer
Entität der 7. Sphäre vorausgehen. Lasst uns also zuerst einige Vorsichtsmassnahmen vornehmen - das mindeste erscheint mir die Sicherung und Beobachtung des Durchgangs zur Bibliothek, vor dem wir uns gerade befinden.
Zusätzlich würde ich empfehlen zwei Studiosi als Posten abzustellen, die etwaige
Veränderungen sofort berichten. Anschliessend können wir ja - in der Hoffnung, dass sein Zorn verraucht ist - Erilarion fragen, wie er aus der Kammer entkommen konnte, ohne dass wir dies bemerkten. Was meint ihr dazu, werte Collegi?"
Sogleich setzt Meisterin Sheddja den Plan Thundars in die Tat um, indem sie sagt: "Der ehrenwerte Magus Thundar Hurlemanoff hat wohl recht, wenn er uns vor dem Portal warnt. So bleibt hier", sie blickt zu den zwei Adepten, "und bewacht die Bibliothek - und betretet sie unter keinen
Umständen!" Dann tritt Sheddja zu Thundar und Rukus und fährt in wesentlich milderem Ton fort: "Ich verstehe die Ereignisse auch nicht vollkommen, zu verworren war die letzte Stunde. Doch mir schien, der
Großmeister konnte sich mit einem Transversalis retten. Was ihn aber nicht davor bewahrte, von einem
plötzlich aus der Dunkelheit erscheinenden Feuerdschinn eingehüllt zu werden... wir hatten Dschinne beauftragt den Bibliotheksbestand zu
übersiedeln und einige verschwanden... aber das kann nicht möglich sein... Die
Wasserwände schienen eine Lösung zu sein, deshalb..." Die letzten Worte sprach Sheddja mehr zu sich selbst, doch dann sieht sie zuerst Thundar, dann Rukus an. "Der
Großmeister verlangte nach Meister Barius. Daran dachte er jetzt wohl nicht
mehr. Dann schmunzelt Sheddja: "Wie ich unseren ehrenwerten Großmeister kenne, sitzt er schon in seiner Kammer
über den Gesprächen Rohals des Weisen, seiner Meinung nach eine der besten Methoden sich zu entspannen. Die Adepten konnten den Meister aus Charypso nicht finden, doch er wird sich im
Beschwörungsturm aufhalten. Sollen wir ihn vielleicht dort... aufsuchen?" Mit Verwunderung bemerken die zwei Magi, dass Sheddja etwas beunruhigt
ist und die Entscheidung wohl ihnen überlassen will...
"Eine gute Idee, Meisterin Sheddja! Allen Anschein nach scheint Barius ja mehr zu wissen als er preisgibt", erwidert Thundar sogleich. Zu den Studiosi gewandt meint er noch: "Falls sich etwas
verändern sollte, dann bringt euch auf jeden Fall in Sicherheit und sagt einem Magister bescheid - es ist nicht die Zeit
für irgendwelche Heldentaten!"
Er blickt wiederum zu Meisterin Sheddja und Rukus: "Auf dem Weg zu Barius werde ich das
Rätsel um den Dschinn des Feuers aufklären, wenn es euch recht ist."
Erschienen in Opus no. 35 am 26.9.1999 als Reaktion oder Fortsetzung zu Die Pforte IV.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Die Pforte VI.
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