Gastvorlesung
von Magus Tiron Talaiama
von der Hohen Akademie der Verwendung arkaner Künste und der Ausübung
magischer Lebensweise zur Meisterung des Lebens im diesseitigen Sein zu
Baburin zum Thema der Anatomie
Es ist ein schwüler Tag. Besonders im Hörsaal der Academia Limbologica
scheint die Luft zäh wie Honig zu sein. Der Saal ist bis in die hintersten
Reihen voll mit Studiosi, die auf die heutige, 40. Anatomievorlesung in
diesem Jahr warten. Meister Barius, seines Zeichens Anatom und Beherrscher
der schwarzen Künste hat für diese Vorlesung eine besondere Überraschung
angekündigt und wohl auch mit schweren Sanktionen für diejenigen gedroht,
die es wagen, nicht anwesend zu sein. Sogar der gesamte Lehrkörper der
Akademie, einschließlich Großmeister Erilarion Androstaal persönlich, hat
sich auf den separierten Plätzen eingefunden. Es herrscht reges Treiben im
Hörsaal, es wird diskutiert und vorbereitet...
Als sich plötzlich die Tür neben dem Rednerpult öffnet und Meister Barius
in den Saal tritt. Es wird mit einem Male völlig still. Die Studiosi
erheben sich. Der alte gebückt gehende Mann mit den kalten Augen, dem jeder
Studiosus außerhalb der Vorlesung so gut als möglich aus dem Weg geht,
schreitet unbeirrt zur Tafel. Jedoch er ist nicht alleine. Ein anderer Mann, den die Eleven noch nie zuvor
gesehen haben folgt dem Meister und kommt schließlich nebst ihm zu stehen.
"Silentium! Ego, Barius, Magister vester, saluto vos ad recitationem
Anatomicam quadragesimam anno Halis duodetriginta. Sedete!
Heute darf ich einen Gast bei uns begrüßen. Den ehrenwerten Collegus Magus
Tiron Talaiama von der Hohen Akademie des
Lebens zu Baburin, der uns in den nächsten Tagen seine Erkenntnisse im Gebiet
der vergleichenden Anatomie näher bringen wird. Möge der heutige Studiosus
Scriptor höchst achtsam protokollieren, da ich vorhabe die Lesung des
Collegus, so sie meinen Ohren gefällt, - auch dieses Organ wird übrigens beim
Rigorosum examiniert, ich unterbitte mir also dass sich jemand erlaubt zur Prüfung
anzutreten, ohne auch dieses Sinnesorgan studiert zu haben, wie es gestern ein
Studiosus getan hat. Er ist kläglich gescheitert. - im Opus zu publizieren.
Nun jedoch werter Collegus möget ihr beginnen - Incitate!"
Herzlich willkommen meine Damen und Herren, vielen Dank, dass Sie an meiner ersten Vorlesung
hier teilnehmen. Mein Name ist Tiron Talaiama, ich habe das "Kampfseminar Andergast" besucht und dort die Kunst der Anatomie erlernt. Einen kleinen Vorgeschmack auf spätere Vorlesungen
möchte ich Ihnen heute geben. Fragen können jederzeit, auch nach der Vorlesung an mich gestellt werden.
Fangen wir heute an mit einer kleinen Übersicht der uns bekannten Zweibeiner! Alle haben viele Gemeinsamkeiten untereinander, wie den grundsätzlichen Aufbau. Alle Zweibeiner bestehen grob gesehen aus Knochen, Muskeln, Blutgefäßen und Organen. Auch ist fast allen gemeinsam,
dass sie durch die Lunge atmen.
Die erste Ausnahme sind hier die Necker, welche man vor allem bei Havena findet. Sie haben, äußerlich betrachtet, eine fast bläuliche, manchmal auch grünliche Haut. Ihr Haar ist lang und glänzend grün bis blau und manchmal von silbrigen bis goldnen Strähnen durchzogen. Es reicht ihnen bis zu den Hüften und oft noch weiter, da sie es scheinbar nicht schneiden.
Am Rest des Körpers weisen sie keinerlei Behaarung auf. Von der Größe und dem Gewicht her sind sie dem Menschen ähnlich. Viele, jedoch nicht alle von ihnen, zeigen sogar Schwimmhäute zwischen den Fingern und Zehen. In Havena gilt es unter den Reichen teilweise sogar als schick - Efferd möge sie bestrafen - lebende Necker als "Haustiere" zu halten. Sie sind auch als hübsch anzusehen, und wenn man den Geschichten der Fischer Glauben schenkt, haben schon viele von ihnen ihr Herz an einen Necker verloren. Ihre Gesichtszüge scheinen uns teilweise fremd: Sie haben sehr breite Wangenknochen aber ein wenig ausgeprägtes Kinn. Auch ihre Lippen sind sehr ausgeprägt und wirken dadurch sehr anziehend.
Wenn sie nicht jeden Tag ihre Haut mit Wasser benetzen, sterben sie elendig, da sie in kürzester Zeit austrocknet (ähnlich wie bei Delphinen und Walen).
Ihre Kehle und ihre Stimmbänder scheinen nicht in der Lage zu sein, unsere
Sprache wiederzugeben und auch die ihre - mehr ein Singsang als Wörter -
wurde bis jetzt erst von einem Geweihten aus Havena verstanden. Unklar ist
mir allerdings, wie sie an Land und im Wasser gleichzeitig atmen können.
Die Orks sind etwas kleiner als Menschen und Elfen, dafür aber etwas kräftiger gebaut. Sie haben eine breite Stirn, langes Haupthaar und einen dichten schwarzen Pelz. Ihre Zähne gleichen nicht den Menschen sondern schon mehr den uns bekannten männlichen Wildschweinen - Keiler genannt.
Der Aufbau des Körpers ist prinzipiell gleich. Sie haben die gleichen Organe, Muskeln und auch die Nervenzellen zum Übermitteln von Reizungen ähneln den unseren. Außerdem scheinen sie mit den Goblins verwandt zu sein. Diese sind noch kleiner und
hässlicher anzusehen. Sie haben am ganzen Körper rötliche Haare und von der Gangart her zu schließen, scheinen sie mit aufrecht gehenden Affen verwandt zu sein. Auch ihre geringe Klugheit
lässt diesen Schluss zu.
Über die Zwerge gibt es auch einiges zu berichten. Sie sind den Menschen nicht so ähnlich wie viele glauben.
Bekannt ist, dass die Zwerge bis zu ihrem 30. Lebensjahr wachsen und max. 1,40 Schritt groß werden. Sie haben wesentlich festere Muskeln und Knochen als Menschen und Elfen, und auch ihr Herz und ihre Lunge sind fast so groß wie bei Menschen, was seinen Teil zu ihrer Robustheit beiträgt.
Dieser Körperbau mit sehr schweren Knochen trägt auch dazu bei, dass sie bei Schwimmversuchen doppelt soviel Kraft aufwenden müssen wie Menschen und Elfen. Trotz allem sind sie sehr geschickt im Umgang mit komplizierten Mechanismen und im Formen von Stein und Metall. Hierbei scheint niemand die Zwerge zu übertreffen.
Der Bartwuchs beginnt meist mit dem 15. Lebensjahr und 20 Jahre später haben sie einen sehr stattlichen Vollbart.
Ich denke, das war das Wichtigste fürs Kennenlernen des Faches eines
Anatoms. Es gibt in der Praxis oft Leute, die aus dem Kurs ausscheiden, und vor allem Praxisarbeit trägt zum schlechten Ruf des Anatomen bei. Gute Heiler kommen aber selten ohne Anatomiekenntnisse aus.
Gibt es noch Fragen? Erschienen in Opus no. 41 am 7.11.1999.
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