Gabriel Schattenherz
Nach Sonne folgt der Sturm
Kapitel I - Die Prüfung
Es war ein schöner Morgen im Land von Aventurien. Der Junge schaute von der kleinen Anhöhe aus über das Königreich Lowangen. Bald würde es sich entscheiden. Die wohl wichtigste Entscheidung seines Lebens würde nun getroffen. Hatte er sich in all der Zeit als würdig erwiesen ? Was wenn sein Versuche vergeblich geblieben waren, und er immer noch ein kleiner Knappe war, der zu nichts weiter nutze war, als seinem Herrn das Schild zu tragen. Nein, er wollte sich nicht mit diesem Gedanken abfinden. Er würde es schaffen, ganz bestimmt. Ein letztes mal blickte er zu der hellen Praiosscheibe, doch schon wandte er seinen Blick dem dunklen Wald zu, der alsbald sein Haupt mit Schatten überzog. Er war allein. Nun, er war nicht das erste mal allein, jedoch war dies schließlich seine größte Prüfung, und er musste sich würdig erweisen. Er wollte es besitzen.
Seit dem ersten Augenblick, als er es sah, war er fest entschlossen es in seinen Händen zu halten. Sein silberner Glanz im Angesicht der Praiosscheibe, das selbst in den Tiefen der dunklen Nacht noch währte. Doch würde er es zu führen wissen ? Ein lautes Geräusch
ließ den Jungen aufschrecken. Das mussten sie sein, diese räudigen Orks. Er sah sein Ziel vor Augen. Er würde siegen. Sie waren zu zweit, wie man es ihm gesagt hatte. Er umfasste den kalten Griff des Zweihänders. Schon bald würde er wissen, ob er würdig war. Er hatte schließlich nicht viele Alternativen. Sterben oder Leben lauteten die Möglichkeiten. Obwohl es zu dieser Zeit für die Kinder des Hochadels kaum möglich war, ihre Aufgaben zu erfüllen, schickten sie ihre Kinder weiterhin aus, um die Orks auszurotten. Wenn ein Junge den Kopf eines Orks vorweisen konnte, so wurde er als Mitglied der Familie
akzeptiert und ihm wurde der Ritterschlag verliehen. Wenn er es nicht schaffte,
nun... Er stürmte aus seinem Versteck hervor, das kalte Kettenhemd über seinem wild pochendem Herzen. Die Orks wirbelten herum. Doch ihre Reaktion entsprach nicht der eines Halbelfen. Nun, er war kein wahrer Halbelf.
Vielleicht musste er deshalb diese Prüfung ablegen, da seine Elfenteile sehr gering waren. Nur seine Ohren und das
Gespür für Musik ließen auf einen elfischen Ursprung schließen. Sein Schwert durchdrang das buschige Fell des Orks ohne Mühe.
Ich zog es mit einem kräftigen Ruck aus dem blutigen Körper heraus. Wenn
mir dieses Missgeschick doch nur nicht passiert wäre. Auf halber Länge blieb
mein Schwert im Bauch des Orks hängen und ließ sich nicht mehr lösen. Das war der Zufall, vielleicht sogar die Unterstützung der Orkgötter. Falls Orks überhaupt Götter hatten. Der Ork schmetterte
mir seine Keule in den Rücken. Die Akademie lehrte Schmerzen zu ertragen, denn schließlich ist es nicht allein die Kampfkunst, die Krieger aus macht. Ein Krieger sollte auch
Pein ohne Murren hinnehmen. Ein schlimmer Fehler, wie ich bald herausfand. Die Wiederhacken der Keule bohrten sich tief unter mein
Fleisch. Mir ward heiß und kalt zugleich, ich wollte, ich hätte diese Prüfung niemals auf mich genommen. In meinem Schmerz schreiend schaffte ich es irgendwie, Praios sei dank, den Ork zu verwunden. Unter dem scheußlichen Anblick seines toten Freundes zog er sich schließlich zurück. Die Keule hinderte mich beim Atmen. Ich versuchte sie heraus zu ziehen, doch sie
riss sich nur noch tiefer in mein Fleisch. Ich schrie laut vor Schmerz. Hätte ich es nicht besser
gewusst, so wäre dieser Schrei noch bis Andergast zu hören gewesen. Ich nahm den Kopf des Orks und kroch auf meinen Vieren zurück ins Dorf. Von weitem hörte ich bereits Geschrei, man solle einen Medicus rufen, Gabriel sei wieder da.
Kapitel II - Sturmklinge
Ich schaute auf mein Dorf hernieder, stolz wie ich war, in meiner Plattenrüstung und meinem Helm mit Lindwurmflügeln. Doch schon bald durchdrang der
Schmerz meinen Traum. Ich hatte es geschafft, doch wenn dies der Preis hierfür war, wollte ich nie geboren sein. - Ich wachte in meinen Gemächern auf. Eine Blutlache hatte sich in meinem Verband gebildet und war bereits trocken. Wie lange ich hier wohl schon lag ? Die Keule musste mich sehr
schwer getroffen haben, trotzdem hatte ich kaum noch Schmerzen. An der Tür klopfte jemand. "Gabriel, du bist wach, wie schön !" "Ja, Mutter, den Göttern sei dank, ich lebe noch". "Nun wird man dich endlich anerkennen. Wenn du bereit bist,
gehe in den Thronsaal, der Priester wird dort auf dich warten." Mit leisen Schritten verschwand sie wieder und ich hörte sie den Flur hinunter schreiten. Ich hatte mein Ziel tatsächlich erreicht. Nun würde ich mein Schwert empfangen ! Ich stand auf, so gut es ging, und
wankte zur Tür. Ich mochte meine Festung, die roten Wandteppiche, ihre kalten Fassaden, die Rüstungen und Bücher überall. In all der Zeit ward sie mir ein
Heim geworden. Ich schritt hinunter, die Zeremonie war bereits im Gange. Ich
ging auf den Hohepriester zu, wie es mir gelehrt worden war. Er hielt es in den Händen. Es war ein übergroßer
Andergaster. Ein Andergaster für einen Jungen wie mich ? Man hatte mir auf der Akademie gelehrt, dass wahre Krieger niemals eine solche Söldnerwaffe führen würden. Es sei unter unserer Würde. Jedoch strahlte dieses einen seltsamen silbernen Glanz aus. Ich kniete nieder vor meinem Vater und er übergab mir diese gewaltige Waffe. Und doch, sie war vergleichsweise leicht. Vielleicht sogar leichter als eine Axt, jedoch schien
sie mir etwas unhandlich. "Sie wird nun dein Begleiter sein, Gabriel." "Ich danke euch,
Vater."
Ich ging hinaus, trotz meines Schmerzes der voller Übermut nachließ, um meine neue Waffe zu
erproben. Sie ließ sich tatsächlich leichter schwingen als alle anderen Waffen. "Auf
ihr liegt ein Zauber", klang es aus der Ecke. "Meister ?" "Nein, nun untersteht ihr nicht länger meinem Willen, junger Gabriel." "Was für ein Zauber ?" "Nun, in diesem Schwert ruht ein Seelenbund zu euch. Wann immer ihr es für nötig erachtet könnt ihr es ohne eure Hände führen." Ohne meine Hände ? Wie hatte er das nur gemeint. "Es ist Sturmwind, die Klinge des Sturms. Sie gehorcht nur euch und kann nicht durch
äußere Einwirkung zerstört werden, nicht einmal durch die Hand eines Dämonen."
In der Tat, ich versuchte die Waffe schweben zu lassen, doch sie viel zu Boden. "Langsam Gabriel, die Zeit wird es euch lehren, meine Aufgabe ist nun getan." Mit diesem Worten schritt er langsam wieder auf die Festung zu, doch ich übte noch bis in die tiefe Nacht und vergaß meinen Schmerz, auf den bald
noch ein viel größerer folgen sollte... Erschienen in Opus no. 60 am 26.3.2000.
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