Die "Sprache der Gilde" als das beste Mittel
für eine allgemein nachvollziehbare und kulturübergreifende Verständigung über Magie?
Kommentar zu M. Thundar Hurlemanoffs Ad DE NATURA
MAGICULTURAE
von M. Travian Norfold
Zunächst einmal sei Euch, Collega Hurlemanoff, gedankt für die lobenden
Worte, die Ihr zu Beginn Eures Kommentars findet, und nur nebenbei möchte ich
korrigieren, dass nicht ich der Verfasser von DE NATURA MAGICULTURAE (Opus # 88) bin,
sondern mein Freund und Collega M.ex. Reiju Windfeder. Nichtsdestotrotz möchte ich auf
Euren Beitrag reagieren - und zwar, weil er einige grundsätzliche Missverständnisse zu
enthalten scheint, deren Beseitigung Collega Windfeder und mir derart stark am Herzen
liegt, dass wir eine längere Erwiderung für opportun hielten. Bitte verzeiht den
gelegentlich etwas scharfen Tonfall, er richtet sich gewiss nicht gegen Eure geschätzte
Person, sondern gegen eine Auffassung von Welt und Magiekultur, die in unser aller
gildenmagisch geschultem Denken immanent scheint, der wir jedoch (und dies zuallererst in
uns selbst) explizit entgegenzutreten versuchen.
Zum besseren Verständnis des Folgenden auch für den Rest der
Opus-Leserschaft will ich noch einmal - hoffentlich nicht in unzulässiger Verkürzung -
an den Inhalt Eures Beitrages erinnern. Ihr bezeichnet die Magietheorie in einem durchaus
gelungenen Bild als 'Sprache', zudem nehmt Ihr an, Sinn und Zweck dieser Sprache sei es,
die möglichst präzise Beschreibung der stattfindenden Magie zu ermöglichen. Thesenhaft
zusammengefasst scheint Ihr weiterhin zu sagen:
1. Bestimmte Sprachen sind geeigneter als andere, einen Sachverhalt zu
beschreiben und zu erläutern und zudem einen hesindegefälligen Disput zu ermöglichen,
da sie ein präziseres Werkzeug zur Beschreibung bieten.
2. Ein Bericht über einen magischen Vorgang, der in der "Sprache der Gilde"
verfasst ist, ist allgemein nachvollziehbar und verständlich für jeden, egal aus welcher
Kultur und Magietradition er stammt, wenn er diese Sprache erlernt hat.
3. Die Magietheorie ist damit der bisher gelungenste Versuch, ein möglichst
wirkungsvolles, wissenschaftlich eindeutiges Werkzeug zur Verständigung über Magie zu
schaffen.
zu 1. "Es gibt Sprachen, die [...] geeigneter scheinen, einen
Sachverhalt zu beschreiben und zu erläutern, während andere gänzlich ungeeignet sind,
um einen hesindegefälligen Disput zu ermöglichen, da sie kein präzises Werkzeug
bieten." Schon diese Aussage geht allzu selbstverständlich und geradezu
gedankenlos von nicht wenigen impliziten Annahmen und Grundlegungen aus, die in Frage zu
stellen gerade unsere Absicht war.
Alle Sprachen der verschiedenen uns bekannten Völker sind nur bis zu einem gewissen Grad
ineinander übersetzbar, und es gibt in jeder Sprache Wörter oder Bedeutungs-Bereiche,
die für einen Fremden auch in der besten Übersetzung nur sehr unvollständig zu
verstehen sind. Ein 'komplett(er)es' Verständnis erfordert gewiss bestimmte Kenntnisse
der Kultur, mit der die Sprache untrennbar verbunden ist, die der Fremde jedoch nicht
besitzen kann - wäre er doch dann nicht mehr fremd. Gerade das Isdira ist ein
hervorragendes Beispiel dafür, wie jeder schnell einsehen wird, der sich einmal mit
dieser Sprache auseinandersetzt.
Da eine Sprache und die Kultur, aus der sie stammt, immer miteinander verbunden sind,
stellt sich die Frage, warum die "Sprache der Gilde" ein objektiv besseres
Werkzeug zur Beschreibung eines Sachverhaltes sein soll als beispielsweise die
(wohlgemerkt: ebenfalls sicherlich 'magietheoretische') "Sprache der
Moha-Schamanen". Ganz sicher ist die gildenmagische Magietheorie ein besseres
Werkzeug, um einen gildenmagischen Zaubervorgang zu beschreiben, da sich hier Kultur und
Sprache entsprechen. Ich würde mich aber entschieden dagegen wenden, dass die
gildenmagische Magietheorie auch besser als die "Sprache der Moha-Schamanen" in
der Lage sein soll, den Zaubervorgang eines Moha-Schamanen zu beschreiben. Diese Annahme
geht eben auf jenes Denken zurück, gegen das M.ex. Windfeder und ich uns wenden, da es -
obwohl Ihr im Abschluss Eures Artikels dieser Meinung nominell widersprecht - davon
ausgeht, dass die Sprache der Gildenmagie bzw. davon ausgehend insgesamt das Denken
unseres Volkes und unserer Kultur besser in der Lage ist, Aussagen über die Welt zu
treffen als andere Kulturen.
zu 2. "Wenn aber ein Beobachter in der 'Sprache der Gilde' einen
Bericht verfasst, so ist dieser allgemein nachvollziehbar und verständlich. Und das nicht
nur für ein Mitglied der Gilde, sondern für jeden, der sich die Mühe macht, diese
Sprache zu erlernen. Sei es nun Hexe oder Elf." Diese Aussage möchte ich aufs
Stärkste bezweifeln und die Selbstverständlichkeit, mit der Ihr sie trefft, aufs
Schärfste kritisieren. Gerade gegen diese Selbstverständlichkeit richtet sich der
Artikel des Collega M.ex. Windfeder im allgemeinen und der meinige über die Magie der
Elfen (Opus # 88)
im besonderen! Wenn ich noch einmal zitieren darf: "Elfische Magie kann niemals
unabhängig von der Umgebung und des wirkenden Individuums sein oder betrachtet werden.
Für Elfen gibt es schlicht eine solche Trennung zwischen sichtbarer Welt und davon
abgegrenzter unsichtbarer, aber sichtbar zu machender matrix magica nicht, nicht einmal
eine Vorstellung einer solchen Matrix oder von einer Trennung innerhalb der Welt, von
einer Einteilung oder Aufspaltung der Welt." Wenn aber, wie Ihr sagtet, ein Elf
ebenso gut wie ein Gildenmagier in der Lage sein sollte, die Sprache der Gilden - und
damit auch das Denken (das möchte ich hier noch einmal ausdrücklich betonen, da mir
diese Tatsache immer wieder übersehen zu werden scheint) der Gildenmagier zu erlernen,
müsste er ja zuallererst einmal eine solche Einteilung der Welt begreifen lernen! Da
diese nicht nur seiner vertrauten "Theorie von Magie", sondern auch dem gesamten
Denken seiner Kultur fremd ist, kann man das Problem des Erlernens dieser Sprache nicht
einfach mit "wenn er sich die Mühe macht" abtun. Ich kann also nur einmal mehr
wiederholen: "Die Magie der Elfen" - und das trifft auf die Magie aller anderen
fremden Kulturen zu - "ist nicht einfach eine andere Interpretation der
vermeintlich objektiven vires astralae wie wir Gildenmagier sie definieren, also eines
continuum astralum, das in der Welt einen eigenen, spezifischen Platz einnimmt [...],
sondern ist nur möglich in einer eigenen Wirklichkeit von Welt gedacht." Und das
bedeutet auch:
zu 3. Die Magietheorie ist nicht das bisher bestmögliche,
'wirkungsvollste' Werkzeug zur Verständigung über Magie, sondern höchstens das
"wissenschaftlich eindeutigste" ausschließlich in Bezug auf unsere eigene
Kultur und Denkweise! Ihr verwendet in Eurer Conclusio dieses Attribut
"wissenschaftlich" offenbar nicht als Einschränkung, sondern eben doch als
Äquivalent zu dem Attribut objektiv (in der Bedeutung von wahr), mit dem Ihr die
Gildenmagie implizit zu charakterisieren scheint.
Auch der Einschätzung, die Magietheorie sei das bislang wirkungsvollste Werkzeug, muss
ich vehement widersprechen. Sicher erscheint mir, dass alle Kriterien, die man positiv
für diese Einschätzung nennen könnte, dem Denken unserer Kultur schon inhärent wären
- und damit (unserer festen Überzeugung nach) per se nicht als kulturübergreifende
Kriterien dienen können.
Noch einmal unsere Grundthese: Wir als Gildenmagier können nur Aussagen über die
Gildenmagie machen, keinesfalls aber über andere Magiekulturen, zumindest nicht in einer
'wirkungsvolleren' Art und Weise als die zu jener Kultur gehörige Sprache das könnte!
Gerade was die Magie der Elfen angeht, bin ich immer wieder auf solcherlei
Anmaßungen gestoßen. In meinem kürzlich veröffentlichten Artikel habe ich versucht,
diesen zu entgegnen und ein Denksystem aufzustellen, welches es uns als Gildenmagiern
ermöglichen könnte, elfische Magie verstehend zu betrachten, ohne ihr mit 'unserem
Werkzeug' Gewalt anzutun. Dabei kann diese Beschäftigung mit der Magie der Elfen durchaus
als Beispiel dienen, an dem sich die Thesen von M.ex. Windfeder konkretisieren lassen, in
erster Linie geht es mir jedoch nach wie vor um dieses faszinierende Thema, das in den
Kreisen der Gildenmagier m.E. immer noch häufig mit zu großer Selbstverständlichkeit
abgehandelt wird. Collega Windfeder und ich möchten im folgenden den Schwerpunkt unserer
(seit kurzem gemeinsamen) spekulativen Forschung auf die Vertiefung eben jenes Themas -
der Magie der Elfen - legen. Dazu ist (nach den Grundlegungen unserer letzten Artikel)
auch der in diesem Opus veröffentlichte Beitrag meines Collega ein Beginn, auf welchen in
den folgenden Wochen Explikationen in verschiedenen spezielleren Bereichen folgen werden,
welche vor allem dazu dienen sollen, Materie für eine kontroverse Diskussion zu bieten.
Magus Travian Norfold,
Schule der Hellsicht zu Thorwal, z.Z. in Donnerbach
von: Tyll Zybura Erschienen in Opus no. 91 am 14.1.2001 als Reaktion oder Fortsetzung zu Ad DE NATURA MAGICULTURÆ.
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