Im Ungewissen Dunkel
Was macht unser Wesen aus? Wer bin ich? Diese Frage
beschäftigt so ziemlich jedes Geschöpf auf Dere. Wir sind ständig auf der
Suche unseren Sinn in diesem großen ganzen symbiotischen Komplex zu
finden, den wir so simpel als unsere Welt bezeichnen. Klar, natürlich. Wir
sind Lebewesen, die von den Göttern die Gnade erhalten haben, auf Dere
weilen zu dürfen, zu atmen und zu agieren. Ob nun ein hesindegesegneter
Gelehrter oder ein ungebildeter Stallbursche, der sich des Nachts neben
den Schweinen zur Ruhe legt, besitzen wir doch alle nicht das Wissen, um
die Frage, wer wir eigentlich sind.
Was unsere Suche angeht, so sind die Ambitionen in dieser
Hinsicht sehr unterschiedlich. Sagen doch manche verliebten Paare oder
frei arbeitende Bauern auf dem Lande, sie wären mit ihrem Leben zufrieden.
Sie wären rechtschaffend und glücklich. Andere behaupten von sich
ausschließlich ihrem Gott, ihrer Göttin oder allen Zwölfen zu dienen.
Amazonen legen ihr Leben in Rondras Hände und leben nach den Prinzipien
der Ehre im Kampf. Magier suchen in Hesindes Namen nach Wissen und
Fortschritt, nach neuen Möglichkeiten, nach neuen Zaubersprüchen in der
Vergangenheit und in der Zukunft. Wir definieren uns über unseren Beruf,
über unsere Herkunft und unsere Umwelt, sogar über den Monat unserer Geburt.
Doch sind wir dies tatsächlich? Sind wir nicht eher das Produkt dessen, was
wir tun, ja sogar von dem, was wir denken? Treiben uns düstere Gedanken nicht
in die Dunkelheit und bringen uns heitere Tage nicht wieder ans Licht?
Lange Jahre habe ich damit verbracht herauszufinden, wer ich bin, was ich
will, welchen Beruf ich ausüben möchte, ob ich zum Guten oder zum Bösen
gehöre.
Je länger ich mich mit diesen Fragen beschäftigte, umso deutlicher wurde
mir, dass niemand im eigentlichen Sinne als Gut oder Böse zu bezeichnen
ist. Oder besser gesagt, es ist gar nicht so richtig zu definieren.
Von Kindheit an, war ich versucht mich an allem zu
erfreuen und mein Leben so schön wie möglich zu gestalten.
Doch was habe ich damit erreicht? Ein Schneesturm in der Wüste, ein
Zirkusbrand. Meine Stiefeltern starben, weil sie mir auf dem Trapez
zuschauten, als der Brand ausbrach, dessen Ursache bis heute noch
ungeklärt ist. Wären sie an diesem Abend zu Hause gewesen, hätte das
kleine sechsjährige Mädchen nicht ihre Familie verloren. Die Familie, mit
der sie schon aus ihrem Heimatdorf fliehen musste. Sie war das
Unglückskind mit den weißen Haaren in einem tulamidischen Dorf, das mit
unheilvollen magischen Kräften beseelt war und dessen Eltern verzweifelt
versuchten, mit ihr zurecht zu kommen. Die kleine Sajida, auf der
Türschwelle gefunden, und wohl das größte Geschenk, das Nahema und Kasim
glaubten bekommen zu können. War es am Ende meine Schuld, habe ich diese
Tragödie sogar verursacht? Ich erinnere mich nicht mehr daran.
Das Kind wuchs nun alleine auf. Im Schutz der Zirkusleute und von
Waisenhäusern ungesehn, lebte sie fünf Jahre in dem Haus ihrer
verstorbenen Eltern.
Dann traf sie auf einen Magier. Eine Persönlichkeit mit einer begnadeten
Begabung für die arkanen Künste, und nach einiger Zeit wurde sie seine
Schülerin. Ein Mann, der nie einen Schüler wollte, nahm mich bei sich auf
und sorgte für mich. Ein kleines Mädchen, mit der Kraft und dem magischen
Talent eine große Magierin zu werden und der großen Schwäche sie nicht
kontrollieren zu können. Zu groß war die Differenz der Mächte, die mir in
die Wiege gelegt wurden. Ein Halbkind und Unglücksbringer des Volkes.
Der Vater ein Magier aus dem Norden, die Mutter eine Firnelfe im ewigen
Eis verborgen.
Bin ich ein Mensch oder eine Elfe?
Diese Frage stellte sich mir nie. Hörte ich auch von armen Geschöpfen, die
nicht wussten zu welchem Volk sie gehörten, mich konnte das nie belasten.
Denn schließlich gelang es mir doch Kontrolle über meine Fähigkeiten zu
erlangen.
Mein Unvermögen mich für eine Richtung zu entscheiden... Magierin,
Akrobatin oder gar eine Kriegerin, brachten nur meinen ehrbaren
Lehrmeister in große Schwierigkeiten.
Und so war es nur eine Frage, die mich wirklich beschäftigt hat. Bin ich
Böse?
Jetzt werden sich die Herrschaften fragen, weshalb denn nun? Eine Halbelfe
ist dem abergläubischen Volk ein Unglücksbringer, aber an sich nur eine
Mischung zwischen einem Mensch und einer Elfe. Wieso Böse?
Nun, ich will niemanden länger warten lassen, als nötig.
So war der Tag, an dem die Firnelfe Shayarielle Firnruf ein Kind gebar, der
Dritte der Fünf.
Einer der unglückselige Tage, deren bloße Erwähnung die Menschen in
Schrecken versetzt und die uns jedes Jahr heimsuchen.
Was passiert mit einem Kind, das mit dem Mal des
Namenlosen geboren wurde?
Diese Säuglinge werden oft sich selbst überlassen. Sie werden ausgesetzt,
sogar getötet, sofern sie nicht so schrecklich entstellt wurden, dass ihre
kleinen Körper nicht des Lebens fähig sind. Die Wenigen, die das Glück,
oder besser Unglück haben, das Licht des Praios zu erblicken, sind
schreckliche bedauernswerte Geschöpfe, die niemals Freude erleben können.
Sie werden gemieden, gehasst, verfolgt, verlieren ihren Verstand an den
dunklen Gott ohne Namen.
Sind diese Kreaturen, so will ich sie hier nennen, denn im eigentlichen
Sinne als Böse zu bezeichnen? Es war zweifelsfrei der Einfluss des
Dunklen, der diese Geburt eingeleitet hat, nicht der des Kindes. Sind ihre
Seelen vergiftet? Oder sind die Geister der ungeborenen Kinder schon
vorher in die Hallen des Boron eingezogen und die zurückgebliebenen Körper
werden mit Dämonen besetzt?
Im Grunde ist alles annehmbar. Zu dunkel und zu schaurig ist die Macht des
Namenlosen, als dass wir sie ergründen könnten.
Allerdings, wie ist es dann möglich, dass ich ein gesundes, lebensfrohes
Mädchen geworden bin? Wäre es trotzdem nicht besser gewesen, mich
ebenfalls wie die anderen zu töten?
Darüber mag sich jeder selbst ein Urteil bilden.
Viele Jahre später, jetzt wo die Zeit der Geburt und
meiner Kindheit überstanden ist, stellt sich mir nach wie vor diese Frage.
Bin ich böse?
Ich habe mich immer dagegen gewehrt. Ich bin der Liebe fähig. Ich habe
viele Freunde, denen ich vertraue und die mir jederzeit zur Seite stehen.
Sie haben mich trotz meines Geburtstages akzeptiert. Ich habe ihnen wohl
beweisen können, dass ich ihnen kein Leid tun könnte.
Wenn ich jetzt darüber nachdenke, weiß ich, dass ich nichts Böses will.
Doch wie reagieren wir, wenn wir in schwierigeren Situationen stehen, als
im Alltag.
Wenn ein Freund in Not ist. Wie viele würden ihr Leben geben um ihm zu
helfen? Oder gibt es gewisse Umstände, die uns zum Bösen bekehren,
unabhängig von unserm Geburtsstern?
Ich will ehrlich sein. Ich denke, dass die unheilvolle
Macht in mir schlummert. Wenn sie ans Licht tritt, wird die liebe Sajida
verschwinden. Allerdings will ich nicht, dass das jemals passiert. Also
stellt sich damit wieder die Frage. Wer bin ich?
Wenn Sajida nicht böse sein will, aber sollte das Böse sie übernehmen, sie
zu einer anderen wird, war das glückliche Mädchen dann nur ein Trugbild?
Belüge ich mich selbst?
Ihr seht, werte Leser, ich drehe mich im Kreis.
Andererseits, wie viele schreckliche Taten werden von Menschen verübt, die
in einem der zwölf Monate geboren wurden. Wirkt auch hier die Macht des
Bösen?
Oder sind das Gute und das Böse wirklich nur unserem Willen überlassen?
Eine Antwort auf diese Frage werde ich wohl niemals
finden.
Dennoch werde ich mich weiter auf die Suche begeben und darauf hoffen,
dass die Götter ihre schützende Hand über das verlorene Kind halten, so
dass ich nicht dem Dunklen verfalle.
Vielleicht bin ich deswegen noch am Leben.
Sajida Saba Kasim
Scolara der Magica Combattiva
unter Seine Magister Marwan Ibn Irian
gildenzugehörig der
Academia Stab und Schwert zu Gareth eh. Beilunk
Erschienen in Opus no. 160 am 30.6.2002.
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