ACADEMIA LIMBOLOGICA publicat
Opus veritatis scientiæque
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Der Ehrenkodex der Hadjinim

Gepriesen seid ihr alle, Söhne des Einen und Wahren Gottes!

So bat man mich also, wieder einmal einen Beitrag für diese wissensgefällige Postille zu verfassen und nicht lange musste ich überlegen, welches Thema ich denn behandeln sollte. Bereits nach kurzer Zeit des Nachdenkens entschied ich mich, die werten Leser an den Erlebnissen meiner dreiundzwanzigsten Reise (der ja bekanntlich die fünfundzwanzigste folgte) teilhaben zu lassen. Sie führte mich zurück in meine Heimat und bescherte mir, Sohn des Glücks, einige Zeit mit jenen Kindern der Wüste, weithin als Hadjinim bekannt, bei denen ich vieles über deren Überzeugungen lernen konnte. Darunter war auch ihr Ehrenkodex, über den mir bis dahin nur bekannt gewesen war, dass er Gehorsam, Treue, Wahrheitsliebe, Keuschheit, Verzicht auf Gifte aller Art, Härte gegen sich und den Gegner und Milde gegenüber dem Unterlegenen enthielt.
Lange danach, viel zu lange danach erst, ich Sohn der Dummheit, schrieb ich ihre Regeln nieder, die sie mir zeigten und vorlebten und so kann es möglich sein, dass ich, Sohn der Vergesslichkeit, bei meiner Aufzählung etwas ausließ oder auch, wir Söhne der Wüste sind ja wahrlich gute Geschichtenerzähler und auch Märchen sind nun einmal Geschichten, etwas hinzufügte, was mir nicht gelehrt wurde. Auch mag wohl die Reihenfolge der Aufzählung nicht der ihren gleichen.
Dennoch will ich nun in dieser Ausgabe mit den ersten Regeln beginnen und sie in den folgenden bis zum Ende fortzusetzen.

Der Ehrenkodex der Hadjinim

I. Der Hadjinim verlässt sich nicht nur auf seine eigenen Kräfte. Er nutzt auch die Energie des Gegners. Zu Beginn des Kampfes besitzt er nichts als seine Begeisterung und die Schwertparaden, die er sich durch lange Übung angeeignet hat; bald stellt er jedoch fest, dass Übung und Begeisterung nicht ausreichen; es braucht noch Erfahrung.
Da öffnet er sein Herz dem Einen und bittet Rastullah, ihn zu erleuchten, damit er die Schwerthiebe des Feindes umkehren und zu seiner eigenen Verteidigung nutzen lerne.
Der Hadjinim weiß, dass Übung allein, ohne Inspiration und ohne Erfahrung, nichts bewirken kann.

II. Der Hadjinim ist kein Betrüger: Doch er versteht es, seinen Gegner abzulenken. So begierig er auch ist, wird er immer strategisch vorgehen, um sein Ziel zu erreichen. Fühlt er sich am Ende seiner Kräfte, so wird er sich betont Zeit lassen, damit sein Feind annimmt, er habe es nicht eilig. Wenn dieser erwartet, dass er rechts angreift, weicht er nach links aus. Wenn er sofort kämpfen will, beginnt er zu gähnen und macht sich zum schlafen fertig.
Die Ungläubigen meinen: "Seht, wie schnell seine Begeisterung verpufft!"
Der Hadjinim aber weiß, was er will; er braucht keine Erklärungen abzugeben.

(Interruptum: Diese folgenden Worte sagte einer ihrer Ältesten in einer sternenklaren Nacht zu mir und sollte selbst alles andere nur Lüge sein, so verspreche ich, Sohn des Schwurs, diese Worte sind wahr!)

III. Lass deine Feinde glauben, dass der Ausgang des Kampfes dir nicht viel bedeutet, und ihre eigene Begeisterung schwindet dahin. Schäme dich nicht, vorübergehend die Schlacht zu verlassen, wenn du spürst, dass dein Feind stärker ist als du. Was zählt, ist nicht die einzelne Schlacht, sondern der Ausgang des Krieges. Bist du stark genug, dann schäme dich nicht, Schwäche vorzutäuschen. Das lockt deinen Gegner aus der Reserve und verführt ihn dazu, zu früh einzugreifen. In einem Krieg ist der Überraschungsangriff der Schlüssel zum Sieg.

So weit, ihr Kinder der Neugier und Wissbegierde, in dieser Postille. Ihr solltet euch nicht anmaßen, Lehren und Gebote die über die Jahrhunderte entstanden sind, in der kurzen Zeit zwischen den Ausgaben des OPVS zu lernen, zu leben und zu begreifen!

Rastullah mit euch, möget ihr euer Wissen mehren!

Magister magnus
Achmed ibn Mukkadhin al Ghunar
Spectabilitas in spe

von: Clemens Schumacher
Erschienen in Opus no. 108 am 13.5.2001.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Der Ehrenkodex der Hadjinim (II.).



Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (VIII.)

Auszüge aus dem gleichnamigen Kollektan
aller der Rohalszeit entstammenden Bände 
der 'Gespräche Rohals des Weisen' 
in freier Transkription, 
verfasst in der Sprache des Volkes, 
getätigt durch Lizentiatus Vitus Ehrwald,
Abgänger der Herzog-Eolan-Universität zu Methumis,
so geschehen im Jahre 2515 Horas zu Gareth 
mit gnädiger Unterstützung des Pentagontempels 
der Herrin Hesinde

Über das Gute

Meister, sagt, was genau meint der Begriff des Guten?

Das Gute ist leichter zu erkennen als zu identifizieren. Gut nenne ich das, was seinen Zweck erfüllt. Schlecht nenne ich das, was seinen Zweck nicht erfüllt. Böse nenne ich das, was sich bewusst weigert, seinen Zweck zu erfüllen. Ethisch nenne ich das, was seinen Zweck bewusst erfüllt. Ein Schwert nennt ihr gut, wenn ihr euren Gegner damit wirkungsvoll bekämpfen könnt, mag der Kampf selbst auch tadelnswert sein. Um nun aber gute und damit ethische Menschen zu werden, müsst ihr bewusst euren Zweck als Menschen erfüllen, und das heißt schlichtweg: menschlich sein. Zuweilen werdet ihr vor der Entscheidung stehen, ob ihr lieber gute Kämpfer, gute Untertanen, gute Geschäftsleute oder ethische Menschen sein wollt, und dann wird euch klar werden, dass ethische Grundsätze einen Preis haben, wenn ihr sie ernst nehmt. So ihr diesen Preis nicht mit Wehmut, sondern mit Stolz zahlt, seid ihr wahrhaft ethisch.

Über das Böse

Meister, sagt, warum gibt es soviel Böses in der Welt?

Wenn ein Mensch einen Tiger tötet, dünkt er sich tapfer; tötet ein Tiger einen Menschen, gilt das als grausam. Dies ist unberechtigt, denn von Natur aus gibt es weder Ethisches, noch Böses; diese Unterscheidung hat der Mensch gemacht, und nur auf ihn als vernunftbegabtes Wesen mit der Fähigkeit zum Mitgefühl ist sie anwendbar. Das Böse ist mehr als nur ein Mangel an Gutem; es ist die bewusste Entscheidung für sein Gegenteil. Alles andere ist lediglich schlecht, also Unwissenheit oder Schwäche, und beidem könnt ihr wirkungsvoll begegnen. Böse ist nur, wer weiß, was richtig wäre, und es nicht tut, obwohl es in seiner Macht stünde. Darum wehren sich die Menschen gegen ethische Einsichten. Doch auch das Böse kann sie nur verführen, nie jedoch selbst Mensch werden. Geboren wird der Mensch frei und ohne jegliche Grundsätze, jedoch mit der Fähigkeit, sie alle in sich aufzunehmen.

Über das Urteilen

Meister, sagt, steht es uns zu, einander ethisch zu beurteilen?

Kein Mensch soll sich anmaßen, einen anderen ethisch zu beurteilen. Was ihr jedoch kritisch beurteilen sollt, sind die Handlungen, die ein Mensch begeht. Über sie sollt ihr euch jederzeit eure eigene, ethische Meinung bilden, und diese Meinung mögt ihr so frei äußern, wie auch die Handlung frei geschah, damit der Handelnde wisse, wie ihr darüber denkt. Achtet jedoch darauf, euch mindestens so sehr im Lob des guten wie im Tadel des schlechten Verhaltens eines Menschen zu üben, und macht stets deutlich, dass ihr nicht ihn, sondern allein seine Taten kritisiert. So ihr jemanden ändern wollt, teilt ihm ruhig und gelassen mit, was seine Handlungen in euch für Gefühle wecken und welches Verhalten ihr ihm statt dessen anempfehlen würdet. Und wann immer ihr ein Urteil über eine Handlung fällt, versichert euch, von der Handlung selbst und von den Gründen, aus denen sie geschah, auch wirklich lückenlose Kenntnis zu besitzen.

von: Clemens Schumacher
Erschienen in Opus no. 108 am 13.5.2001 als Reaktion oder Fortsetzung zu Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (VII.).
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Aus den 'Gesprächen Rohals des Weisen über Ethik und Moral' (IX.).


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