Opus veritatis scientiaeque

Der Schwarze Limbus    

28. Efferd im 54. Götterlauf nach Hal

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Getreulicher Reisebericht aus dem fernen Maraskan

Wie die geneigte Leserschaft des Opus in der vorletzten Ausgabe vernehmen konnte, weilte ich für eine geraume Zeit nicht an der Academia Limbologica. Ich befand mich auf einer Forschungsreise im fernen Maraskan, auf einer Insel, die in vielerlei Hinsicht den Tod bedeuten kann, die jedoch auch höchst interessante, vor allem philosophische Fragen aufwirft. Ich möchte nun dem geschätzten Leser in diesem Artikel von einem sonderbaren Ereignis berichten, welches mir widerfuhr:

Ich weiß jetzt, da ich wieder hier an der Akademie bin, nicht mehr mit Sicherheit zu sagen, ob ich träumte oder wachte, ob dies alles nur Einbildung war oder ob es tatsächlich so geschehen ist, aber ich denke, dass es auf jeden Fall wert ist, erzählt zu werden.
Ich befand mich auf der Flucht vor den Schergen des verfluchten Haffax. Nur mit Not war ich aus dem letzten Dorf entkommen, wo man mir bereits aufgelauert hatte. Ein Pfeil hatte mich am linken Bein getroffen und ich war am Ende meiner Kräfte, sodass ich die Wunde nur mehr notdürftig verbinden konnte. Ein Heilkundiger hatte mir noch wenige Tage zuvor einige Kräuter verkauft, welche den Schmerz stillten, sich aber auch leicht berauschend auf meine Sinne auswirkten. Auf meiner Flucht rannte und rannte ich, bis ich so erschöpft war, dass ich nichts anderes mehr konnte als mich auf den felsigen Untergrund zu legen und einzuschlafen.
Am nächsten Morgen wachte ich auf und blickte auf ein ausgetrocknetes Flussbett. Für einen kurzen Augenblick sah ich einen mächtigen Fluss vor mir, der sich unaufhaltsam gen Meer dahinschob. Dann war das Bild auch schon wieder verschwunden und machte dem kargen, felsigen Flussbett von vorhin Platz. Die alten Bewohner der umliegenden Dörfer nannten diesen Ort Roab und sie sagten mir, als ich nach dem Weg fragte, dass ich den Fluss Roab queren müsse. Sie nannten ihn weiterhin Roab, den Fluss, und jeder, der hier vorbeikam, konnte deutlich sehen: Hier war einmal ein Fluss, hier war einmal Wasser. Doch das Wichtigste an einem Fluss, sein Wasser, war nicht mehr da.
Ich erinnerte mich an ein Gespräch, welches ich vor langer Zeit einmal mit einem maraskanischen Priester geführt hatte. Damals hatte er mir erklärt, dass seine Priesterschaft all jenen, die mit dem Bethanier gemeinsame Sache machten, ihre Menschlichkeit, ja sogar ihr Dasein als Mensch abgesprochen hätte. Ihre Namen, so sagte er weiter, wären aus dem "Buch der Anwesenden" gestrichen worden. Damals hatte ich nicht verstanden, was er meinte, aber jetzt begann ich zu verstehen:
Wie ein Bach, wie die Pflanzen und Tiere, brauchen auch die Seelen eine Art Wasser: die Hoffnung, den Glauben, einen Grund zu leben. Wenn es dies nicht mehr gibt, dann stirbt alles in dieser Seele, obwohl der Körper weiterhin lebt. Und die Leute könnten sagen: Hier in diesem Körper wohnte einmal ein Mensch.
So wie die Bewohner der umliegenden Dörfer das ausgetrocknete Flussbett weiterhin Roab nannten, obwohl kein Wasser mehr darin floss, so nannten sich die Bewohner in Haffaxens Reich auch weiterhin Menschen, obwohl das Wasser ihrer Seele durch die Zusammenarbeit mit den Dämonenanbetern versiegt war. Die Priesterschaft der Maraskaner hatte dies bereits früh erkannt: Mit der Erscheinen des Bethaniers war der Roab gedarbt - den Fluss gab es also für die Priesterschaft nicht mehr - und die Menschen auf Maraskan hatten ihr Menschsein verloren - folglich konnte es für die Priesterschaft auch die Menschen nicht mehr geben.

Doch jetzt war nicht der Zeitpunkt, über solche Sachen nachzudenken.
Ich schüttelte den Kopf, um wieder klare Gedanken fassen zu können. Meine Verfolger konnten nicht weit sein und ich musste sehen, dass ich den ohnehin geringen Vorsprung nicht verspielte. Doch abermals erinnerte ich mich an das Gespräch mit dem maraskanischen Priester: Wozu sich vor dem Tode fürchten, wenn meine Seele ohnehin wiedergeboren wird? Seltsamerweise gab mir dieser Gedanke eine gewisse innere Ruhe. Ich bräuchte nur auf Haffaxens Soldaten warten. Kommen würden sie zweifellos, denn es gab nicht viele Orte, wohin man sich hier flüchten konnte.
Ich nahm meinen Wasserschlauch und ließ einen Schwall Wasser meine ausgetrocknete Kehle hinabrinnen. Einige Raben kreisten am Himmel, Pflanzen wuchsen unbeirrbar aus dem steinigen, sonst unfruchtbaren Boden. Einer der Raben flog herab und ließ sich ganz in meiner Nähe nieder. Und auch eine Eidechse hatte es sich auf einem Felsen bequem gemacht. Ich seufzte und schüttelte den Kopf, während ich murmelte: "Ich muss wahrhaftig in einer aussichtslosen Situation sein, wenn mir der Herr Boron schon einen seiner Boten schickt." Ich wendete meinen Kopf und sah zur Eidechse hinüber. Sie blickte in meine Richtung und in ihren Augen funkelte es. Es war, als wollte sie mir sagen: "Auch hier ist Wasser, auch hier gibt es Hoffnung und Glaube. Denn was täten wohl sonst Pflanzen und Tiere an diesem Ort?" Ich lachte, denn ich hatte einer Eidechse Worte in den Mund gelegt. Oder hatte ich diese Worte tatsächlich gehört? Ich wusste es nicht mehr. Doch schon sprach die Eidechse weiter, und ich musste mich bemühen ihren Worten folgen zu können. "Hätte Boron seinem gefiederten Diener nicht sagen müssen: 'Rabe, es gibt mehr Nahrung in den Wäldern als zwischen den Felsen und Steinen.' Und hätte Tsa den Pflanzen nicht auftragen müssen: 'Pflanzen, werft eure Samen fern von hier ab, denn die Welt ist voller fruchtbarer, feuchter Erde und ihr würdet schöner wachsen als hier.' Doch weder die Pflanzen noch der Rabe sind gegangen, sondern sie bleiben hier." Hastig drehte ich meinen Kopf zur Seite. Die Eidechse verstummte. Ich wusste nicht, worüber ich mehr verwundert sein sollte: Darüber, dass eine Eidechse mit mir redete, oder über das, was sie mir gesagt hatte. Es war seltsam; offensichtlich wollte sie mir Mut machen. Aber ich war in einer aussichtslosen Situation. Maraskan zu verlassen ohne ein Schiff zu besteigen, das war unmöglich. Und im Dschungel hätte ich keine Stunde überlebt. "Jeder hat seine Aufgabe zu erfüllen", sagte da der Rabe. "Die Götter gaben den Menschen n u r unmögliche Aufgaben." Inzwischen war es mir einerlei, dass ich hier mit Tieren redete. Es machte ohnehin keinen Unterschied mehr. In wenigen Stunden würden die Soldaten mich erreicht haben und dann wäre alles vorbei. Also fragte ich den Raben: "Warum?" Und tatsächlich antwortete er: "Vielleicht legt der Herr Boron bei jedem Tod und vor jeder Wiedergeburt Träume in die Herzen der Menschen. Träume, die einer Sphäre entstammen, in der alles möglich ist. Deshalb scheinen dir die Aufgaben aus deinen Träumen so unmöglich." "Außerdem", fuhr die Eidechse fort, "ändert sich die Welt hier auf dieser Insel. Das Leben wird schwieriger, die Tiere bösartiger, die Pflanzen giftiger. Doch die Träume und Aufgaben der Menschen ändern sich nicht. Sie werden nicht angepasst. Vielleicht scheinen deshalb manche Situationen so aussichtslos." "Aber ich habe bereits meine Aufgabe aufgegeben und bin nun in dieser Situation verzweifelt. Ich habe an mir selbst gezweifelt und bin so meiner Aufgabe nicht würdig", erwiderte ich. Doch der Rabe meinte: "Jeder Mensch hat das Recht an seiner Aufgabe zu zweifeln und sie hin und wieder aufzugeben." "Was er allerdings nicht tun darf", fügte die Eidechse hinzu, "ist sie zu vergessen. Wer nicht an sich selbst zweifelt, ist unwürdig, weil er seiner Fähigkeit blind vertraut."

Und dann, so plötzlich wie alles angefangen hatte, war es auch wieder vorbei. Ich saß da, unter mir das ausgetrocknete, steinige Flussbett, und es war still. Niemand sprach mehr zu mir. Die Eidechse verschwand zwischen den Steinen und der Rabe erhob sich krächzend in die Luft. Mittlerweile war es Mittag geworden und von den Soldaten war weit und breit keine Spur. Konnte das sein, war das alles möglich? Noch einmal sah ich zum Himmel hinauf und verfolgte den Flug des Raben - er flog zum Meer hin. Doch noch bevor er aus meinem Sichtfeld verschwand, drehte er einige Runden in der Luft und ganz leise, wie aus der Ferne hörte ich (s)eine Stimme:

"Und nun steh auf und mache dich auf den Weg..."

Und tatsächlich, nur zwei Tage später fand mich ein Khunchomer Handelsschiff, das mich sicher in die tulamidische Hafenstadt brachte.

adeptus maior Eborëus Zachariad

von: Philipp Schumacher
Erschienen in Opus no. 121 am 16.9.2001.

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