Testament des Magisters Kormeadh
Baramo entdeckt!
Ein bedeutender Fund der Magistra Emiramis von Aldenia
von der Großen Grauen Gilde des GeistesSehr verehrte Leserschaft
dieser vorzüglichen und wohlfeil zu erwerbenden Gazette.
Es dürfte nicht nur einigen Lesern und Leserinnen der Name jenes - wenn
wir auf der Götter Güte und Gnade vertrauen wollen - in Hesinde ruhenden
Magisters und Universalgelehrten Kormeadh Yaronda Baramo von allerlei
verschiedenster Forschung und Schrift her in gutem Gedächtnis sein.
Unbedingt – und das ist nicht allein meine Meinung – ist er zu den
herausragendsten und bedeutendsten geistigen Köpfen der späten Rohalszeit
zu zählen, ungeachtet der geistigen Umnachtung, die sich in dessen
siebenundfünfzigsten Jahre auf diesen großen, aber allzu stolzen Geist
hernieder senkte, und ungeachtet auch dessen, was ich jüngst zu meinem
Schrecknis über ihn erfahren sollte und wovon ich der geneigten
Leserschaft nun Kenntnis geben will. Meister Baramos weitreichendes Werk,
menschlichen Rückschlägen und Enttäuschungen, derer sein Leben
bekanntermaßen reich war, zum Trotz geschaffen, hat nicht allein damals
größten Anklang gefunden und von verschiedensten Seiten vielerlei Lob
geerntet, wenn auch der höchste Lobspruch, der des weisen Meisters Rohal
höchstselbst, ihm (für viele damalige und spätere Bewunderer seiner
Forschung unverständlich) verwehrt bleiben sollte – nicht ganz ohne Grund
verwehrt blieb, wie der nachstehende Fund, der mir auf schicksalhafte und
sonderbare Weise in die Hände fiel (von welchem Erlebnis zu berichten ich
jedoch um des begrenzten Platzes willen absehe) die Einsichtigen und
Götterfürchtigen sehr leicht überzeugen wird. Es handelt sich hierbei um
eine Testaments-Schrift, die der Meister kurz vor seinem geistigen
Zusammenbruch abgefasst haben muss und von dessen Echtheit ich mich durch
eigene Forschung überzeugen konnte. Hier sei es abgedruckt:
*
„Achtbar, insbesonders liebe Brüder und Schwestern!
Erstlich muss ich mich bedanken gegen meinen getreulich Freund und
Famulus, welches mich noch zu erinnern weiß unseres Schulgangs von Jugend
auf, da wir die Hesindologiam miteinander studierten im fernen Kuslik,
doch davon, und wie Hochmut und Greuel schon anhuben bei diesem Studieren,
weiter herab in meinem Sermoni. - Dafür gegen ihn bedanken nämlich, dass
er für eine gewissentlich Verbreitung dieser Schrift und Schuldred` sich
erfleißend Sorge tragen wird, wofür auch die Welt ihm gebietend Dank nicht
vorenthalte.
Nun habe ich zu euch eine freundliche, göttergefällig Bitt, ihr wollet
mein Fürtragen nicht in Argem auf- und annehmen, sondern es zum besten
verstehen, denn ich ein wahrhaft Verlangen habe, euch Guten und Harmlosen,
wenn nicht Unsündigen, so doch nur gewöhnlich und erträglich Sündigen, die
ich darum herzlich veracht, aber inbrünstig beneide, ein voll
mitmenschlich Geständnis zu tun, da mir das Stundglas vor den Augen steht,
dass ich gewärtig sein muss, wenn es ausläuft, die letzten Körnchen durch
die Enge, und er mich holen wird, gegen den ich mich mit meinem Blut so
teuer verschrieben, dass ich mit Leib und Seele ewig sein gehören wollen
und in sein Hände und Gewaltsam fallen, wann das Glas ausgeronnen und die
Zeit, so seine Ware ist, zum Ende gelaufen.
Wisst es also, ihr Guten und Frommen, die ihr in eurer mäßigen Sünd in
der Götter Gnade und Nachsicht ruhet, denn ich habe es so lange bei mir
verdruckt, wills euch aber nicht länger verhalten, dass ich allbereit seit
meinem einundzwanzigsten Jahr mit dem Bewahrer des verbotenen Wissens, den
man Amazeroth heißt, verheirat bin, und habe mit Wissen der Fahr, aus
wohlbedachtem Mut, Stolz und Verwegenheit, weil ich in dieser Welt einen
Ruhm erlangen wollen, eine Versprechung und Bündnis mit ihm aufgerichtet,
also, dass alles, was ich währender Frist von sechsundzwanzig Jahren vor
mich gebracht, und was die Menschen mit Recht misstrauisch betrachtet, nur
mit seiner Hülf zustandkommen, und ists Daimonenwerk, eingegossen vom
Qok-Maloth, der Hexerei und von Xamanoth, dem verbotenen Wissen. Denn ich
dachte wohl: Wer da Boltan spielen will, muss mischen, und muss heute
Einer den Archodaimonen zu Huld nehmen, weil man zu großem Fürnehmen und
Werk niemanden kann brauchen und haben, denn ihn.
Glaubt nicht, liebe Brüder und Schwestern, dass ich zur Promission und
Errichtung des Paktes eines Wegscheids im Walde und viel Zirkel und grobe
Beschwörung bedurft hätte, da ja schon Sankt Argelion lehrt, dass es zum
Abfall nicht Worte braucht mit denen Anrufung stattfindet, sondern
irgendeine Tat ist genug, auch ohne ausdrückliche Huldigung (welches
Wissen übrigens den wahrhaft Eingeweihten vom bloß theatralischen Stümper
trennt, der glaubt, mit viel eitel Gerufe, Rauch und Plunder zum Ziele zu
gelangen). Denn es war nur ein Buch, ein farbiger Almanach, der hat es mir
angetan, und ihm folgte ich nach in den dämmernden Schatten, den seine
Lektüre nur gewährte, da es verbotenes Wissen war, welches ich da haschte
aller innerer Warnung zum Trotz, und so war es geschehen. Denn wie ich es
Ihm antat, so tat Er es mir an, - da war ich eingeweiht und die
Versprechung geschlossen.
Merkt es nur, sonders achtbare liebe Freunde, dass ihrs mit einem von
den Göttern Verlassenen und Verzweifelten zu tun habt, dessen Leichnam
nicht an geweihten Ort gehört, zu frommen abgestorbenen Gläubigen, sondern
auf den Schindwasen zu den Kadavern verreckten Viehes. Auf der Bahre, ich
sag es euch zuvor, werdet ihr ihn immer finden auf dem Gesichte liegen,
und ob ihr ihn fünfmal umdrehet, er wird doch wieder verkehrt liegen. Denn
lange schon bevor ich in jenem verbotenen Buche las, war meine Seel in
Hochmut und Stolz zu dem Archodaimonen unterwegs, und stund mein Datum
dahin, dass ich nach ihm trachtete von Jugend auf, wie ihr ja wissen
müsst, dass der Mensch zur Seeligkeit oder zu den Niederhöllen geschaffen
und vorbestimmt ist, und ich war zu den Höllen geboren. Drum gab ich
meiner Hoffahrt Zucker, dass ich Hesindologiam studierte zu Kuslik an der
Halle der Weisheit, und mein Leben der Göttin weihen ließ, doch nicht von
ihretwegen, sondern von wegen des anderen, und war mein Studium heimlich
schon des Bündnisses Anfang und der verkappte Zug nicht zu Hesind, sondern
zu Ihm, dem großen religiosus. Was aber zum Daimonen will, das lässt sich
nicht aufhalten noch ihm wehren, und war nur ein kleiner Schritt hinüber
gen Punin und zur Magie, zu welcher mich mein Bücherfund bemächtigt hatte,
dass ich mich nur und allein noch abgab mit artefactibus, cantibus, formis
coniurationum und wie solche Namen der Beschwörung und Zauberei genannt
sein wollen.
Item, mein verzweifelt Herz hats mir verscherzt. Hatte wohl einen
geschwinden Kopf und Gaben, mir von oben her gnädig mitgeteilt, die ich in
Ehrsamkeit und bescheidentlich hätte nutzen können, fühlte aber nur allzu
wohl: Es ist die Zeit, wo auf fromme, nüchterne Weis, mit rechten Dingen,
kein Werk mehr zu tun und die Kunst unmöglich geworden ist ohne
daimonische Hilf und niederhöllisch Feuer unter dem Kessel.
Ja und ja, liebe Gesellen, dass die Kunst stockt und zu schwer geworden
ist und sich selbsten verhöhnt, dass alles zu schwer geworden ist und der
Götter armer Mensch nicht mehr aus und ein weiß in seiner Not, das ist
wohl Schuld der Zeit. Lädt aber einer die Archodaimonen zu Gast, um
darüber hinweg und zum Durchbruch zu kommen, der zeiht seine Seel und
nimmt die Schuld der Zeit auf den eigenen Hals, dass er verdammt ist. Denn
es heißt: Seid nüchtern und wachet! Das aber ist manches Sache nicht,
sondern, statt klug zu sorgen, was vonnöten auf Deren, damit es dort
besser werde, und besonnen dazu zu tun, dass unter den Menschen solche
Ordnung sich herstelle, die den frommen Künsten wieder Lebensgrund und ein
redlich Hineinpassen bereiten, läuft wohl der Mensch hinter die Schul und
bricht aus in niederhöllische Trunkenheit: So gibt er sein Seel daran und
kommt auf den Schindwasen.
Also, günstige liebe Brüder und Schwestern, hab ichs gehalten und ließ
Nigromantia, carmina, incantatio, veneficium und wie sonst Wörter und
Namen genannt werden mögen, all mein Sach und Verlangen sein. Bin auch
bald mit Jenem zusprach kommen, drunten in meiner Klausel, Ihm, dem
Wendenschimpf, dem Vielgestaltigen Blender und Herren des Wahnsinns, und
hat mir von der Niederhöllen Qualität, Fundament und Substanz gar manches
verkünden müssen. Hat mir auch Zeit verkauft, sechsundzwanzig unabsehbare
Jahr, und sich gegen mich versprochen und verlobt für diese Frist, auch
mir Großes verheißen, viel Feuer unter den Kessel, dass ich fähig sein
sollte zu allerlei Zauberwerk, obgleich es zu schwer geworden und mein
Kopf zu klug und zu spöttisch dafür, deß ohngeachtet.
Nur allerdings Messerschmerzen sollte ich leiden dafür schon in der Zeit,
gleichwie die kleine Seejungfrau aus dem albernischen Märchen als Preis
für ihre Menschenbeine. Die war meine Schwester und süße Braut mit Namen
Hyphialtaara. Denn er führte sie mir zu Bette als mein Schlafweib, dass
ich ihr anhub zu buhlen und sie immer lieber gewann, ob sie nun mit dem
Fischschwanz kam, oder mit Beinen. Öfters kam sie wohl mit dem Schwanz,
weil nämlich die Schmerzen, die sie von Messern litt in den Beinen, ihr
die Lust überwogen, und ich hatte viel Sinn dafür, wie ihr zarter Leib in
den schuppigen Schwanz so lieblich überging. Aber höher war mein Entzücken
doch an der reinen Menschengestalt, und so hatte ich meinen Teils größere
Lust, wenn sie sich zu mir gesellte mit Beinen.
Darauf ist Hyphialtaara schwangeren Leibes geworden und hat mir ein
Söhnchen gezehlt, an dem meine ganze Seele hing, ein heilig Knäbchen,
holdselig außer aller Gewohnheit und wie von weiter und alter Landsart
hero. Da aber das Kind von Fleisch und Blut und es so bedungen war, dass
ich von Seines wegen kein menschlich Wesen lieben durfte, so bracht Er es
um ohn Erbarmen und bediente sich dazu meiner eigenen Augen. Denn ihr
müsst wissen, dass, wenn eine Seele heftig zur Schlechtigkeit bewegt
worden, so ist ihr Blick giftig und natterisch, am meisten für Kinder. So
ging dieses Söhnchen voll süßer Sprüche mir im Traviamond dahin, ob ich
gleich gedacht hatte, solche Zärtlichkeit sei mir erlaubt.
Hatte wohl auch gedacht, schon zuvor, dass ich, als des Daimonen Mönch,
lieben dürfte in Fleisch und Blut, welche nicht menschlich allein, sondern
zur Hälfte albisch, und die um mein Du in grenzenloser Zutraulichkeit
warb, bis ichs ihr gewährte. Darum musst ich sie töten und schickte sie in
den Tod nach Zwang und Weisung. Denn der Magisterius hatte gemerkt, dass
ich mich zu verheiraten gedachte, und war voller Wut weil er im
Travia-Bunde den Abfall ersah von Ihm und einen Schlich zur Versöhnung.
Also zwang er mich, dass ich um meiner Forschung willen kalt die
Zutrauliche mordete, und wills gebeichtet haben hier und heut vor euch
allen, dass ich dies alles hier schreibe auch noch als ein Mörder.
Aber welch ein Sünder ich war, ihr Freunde, ein Mörder, den Menschen
feind, der Daimonenbuhlschaft ergeben, so hab ich deß ohngeachtet mich
doch immerfort emsig befleißigt als ein Werker und nie geruhet noch
geschlafen, sondern mirs sauer werden lassen und Schweres vor mich
gebracht, nach dem Wort der Märtyrerin Ancilla: Wer schwere Dinge
sucht, dem wird es schwer. Denn wie die Göttin Hesind nicht Großes tut
durch uns ohn` unser Salben, so auch der Andre nicht. Nur die Scham und
den Spott des Geistes, und was in der Zeit dem Werke zuwider, das hat er
von mir beiseite gehalten, das übrige musst ich selber tun, wenn auch nach
seltsamen Eingießungen. Denn oft erhob sich bei mir ein lieblich Gewirr
von Stimmen und verkündte mir dieses und jenes, und ich hätte glauben
mögen, dass ich droben in Alveran wär, wenn ichs nicht anders gewusst
hätte. Davon schrieb ich viel auf. Oft war auch ein gewisser Kobold bei
mir in meiner Klausel, feuerrot von Gestalt, mit ledrig und gefaltet
Flüglein. Und sein winzger Schweif schlug hie- und dorthin auf den
steinernen Boden meines Zimmers, während er mir unter seinem gar
greulichen Blicke und mit hoher Fistel allerlei Antwort auf mein reichlich
Bitten und Fragen gab. Freilich glaubt ich nicht alles von seinem
hellischen Geschwätz, denn ich wusst um seinen Namen und war gewarnt aus
meinem Almanache vor jenem scheinheiligen Diener der Echs` von Nabuleth. –
Auch Kinder besuchten mich desöfters, Buben und Mädchen, die mir neue
invocationes und cantibus sangen, lächelten sonderlich verschmitzt dabei
und tauschten Blicke. Es waren gar hübsche Kinder. Zuweilen hob sich ihr
Haar wie von heißer Luft, und sie glätteten es wieder mit ihren hübschen
Händen, die hatten Grübchen und waren rote Edelsteine daran. Aus ihren
Nasenlöchern ringelten sich manchmal gelbe Würmchen, liefen zur Brust
hinab und verschwanden... [Hier folgen einige durch Flecken unleserlich
gewordene und nicht mehr rekonstruierbare Sätze; Anm. Emiramis v.A.]
So hatte der Blender seinen Worten Kraft geben in Treuen durch sechs
und zwanzig Jahr, und ist alles fertig bis aufs Letzt, unter Mord und
Unzucht hab ichs vollendet, und vielleicht kann gut sein aus Gnade, was in
Schlechtigkeit geschaffen wurde, ich weiß es nicht. Vielleicht auch siehet
Rethon, die Seelenwaage, an, dass ich das Schwere gesucht und mirs hab
sauer werden lassen, vielleicht, vielleicht wird mirs angerechnet und
zugute gehalten sein, dass ich mich befleißigt und alles zähe fertig
gemacht, – ich kanns nicht sagen und habe nicht den Mut, darauf zu hoffen.
Meine Sünde ist größer, denn dass sie mir könnte verziehen werden, und ich
habe sie aufs höchste getrieben dadurch, dass mein Kopf spekulierte, der
zerknirschte Unglaube an die Möglichkeit der Gnade und Verzeihung möchte
das Allerreizendste sein für die ewige Güte Marbos, wo ich doch einsehe,
dass solche freche Berechnung die Gnade erstrechten unmöglich macht.
Darauf aber fußend ging ich weiter im Spekulieren und rechnete aus, dass
diese letzte Verworfenheit der äußerste Ansporn sein müsse für der Götter
Güte, ihre Unendlichkeit zu beweisen. Und so immer fort, also, dass ich
einen verruchten Wettstreit trieb mit der Güte droben, was
unausschöpflicher sei, sie, oder mein Spekulieren, - da seht ihr, dass ich
verdammt bin, und ist kein Erbarmen für mich, weil ich ein jedes im voraus
zerstöre durch Spekulation.
Da aber nun die Zeit ausgelaufen ist, die ich mir einst mit meiner
Seele erkauft, hab ich euch zu meinem Ende dies Testamentum zugedacht,
günstig liebe Brüder und Schwestern, und euch mein geistig Hinscheiden
nicht wollen verbergen. Bitt euch hierauf, ihr wollet meiner im Guten
gedenken und darneben mir nichts für übel halten.
Dies alles gesagt und bekannt, will ich euch zum Abschied einiges von dem
Wissen und Werke, dass ich dem niederhöllischen Spießgesell und seinen
Dienern abgehört, zu wohlweislichem Umgange aus frömmlichem Wunsche
überlassen, dass aus Bösem Gutes erwachse und so der Listige betrogen sei
durch sein eigen List und Verderbtheit.
So lebet denn ihr Frommen wohl und gedenket meiner in Güte,
Magister Kormeadh Yaronda Baramo“
*
Man wird geneigt sein, mir zuzustimmen, dass dieses Schriftstück gerade
wieder in unseren Zeiten höchste Bedeutung und Aktualität besitzt. Nicht
allein der drohenden Gefahr aus dem Osten wegen, gegen die der
Götterfürchtige seine Seele leicht stählen mag, sondern insbesondere auch,
weil unsere heutige Zeit mit der der späten Rohalszeit, der dieses
Dokument entstammt, doch geradezu sehr viel gemein hat, zum Guten ebenso,
wie zum Schlechten. Die Forschung und Kunde von der Magie wird alsbald den
Stand dieser Zeit wieder eingeholt haben (auch wenn das einige konservativ
gesinnte Geister vom Schlage des OCR auch bestreiten mögen). Dahingegen
steht es mit der Moral und der Sittlichkeit in der magischen Zunft ganz
ähnlich wie in der Zeit vor Ausbruch der Magierkriege: sie liegen am
Boden. Hochmut und Unbescheidenheit haben sich allerortens breitgemacht,
und die Meinung, Vernunft und Moral seien altmodische, zu kaum etwas noch
zu gebrauchende Begriffe, und man täte besser, sie tunlichst zu verwerfen,
ist nicht mehr nur allein in der Bruderschaft der Wissenden Gang und Gebe.
Erst kürzlich traf ich einige sehr junge Angehörige der weißen (ja, in der
Tat, der weißen!) Gilde, die da schwatzten, dass man es nicht glauben
sollte, sympathisierten sie unter der Hand und halb flüsternd doch
ernstlich mit jenen verruchten Schwarzzauberern aus Tobrien, namentlich
dem Herrn Galotta, wobei ihnen der Gedanke wesentlich schien, dass man
dort in Tobrien (wie auch in Oron, nach allem, was man denn so höre) zu
den ursprünglichen, volkshaften, und daher im eigentlichen Sinne echten,
natürlich-creatürlichen Riten zurückgekehrt sei. Gewiss, über den
Borbarad-Kult als Borbarad-Kult gäbe es nichts Gutes zu sagen, dies
eingestanden. Doch, so die Haltung dieser noch nicht ganz mannhaften
Burschen, als urhaft völkischer Kult habe er, seiner Art nach, in
seiner Kraft und seiner Lebensnähe (so sprachen sie tatsächlich in ihrer
Ahnungslosigkeit) unserer durch Vernunft und Cultur bereits hässlich
zersetzten und „ach so guten“ Welt, in der alles zu
sittlich-menschenfreundlicher Wassersuppe zerlaufe, mehr voraus als
allgemeinhin zugegeben werde. Echter Ritus, Volk und Blut, dass sei es,
woran es unser vernünftelnden Zeit allzusehr fehle... – Doch nichts weiter
mehr davon!
Gewiss, das alles könnte man als das unernste Gerede unreifer Jugend
ansehen. Aber dann verschlösse man gefährlicherweise die Augen vor der
Tatsache, dass dieses Gespräch kein Einzelfall ist, ja, lehrende Magister
und Magisterinnen haben mir vertraulich von ganz ähnlichen Erfahrungen
berichtet. Zumindest aber darf man nicht verkennen, dass es ein ähnlicher
Geist, ein allzu stolzer Geist ist, den da unsere Zeit vermehrt
hervorzubringen scheint, und eben jener Geist, der auch den Meister Baramo
zu seiner schimpflichen Hingabe an den Vielgestaltigen Blender trieb, ein
spöttischer, hochmütiger Geist, den die eigene Zeit zu langweilen begonnen
hat und der sich nicht mehr bescheiden will mit dem, was mit Hesindes
Gaben und Segen allein zu erreichen wäre, verführt vom Glauben an gewisse
ursprüngliche Kräfte und Mächte, von denen er sich mehr verspricht. – Und
so sei uns denn des Meisters Testament heute eine Warnung: „Seid nüchtern
und wachet!“ – das gilt, werte Leserschaft, auch uns.
Was übrigens aus Baramos Nachlass geworden ist, und warum ihm mitsamt
dieses Testamentes damals die gewünschte Verbreitung verwehrt blieb, hat
sich mir in meinen Forschungen bislang noch nicht erschlossen. Doch ist
von des Meisters treuem Famulus, einem Mann namens Telhamon von Kuslik,
bekannt, dass er nicht lange nach Baramos geistiger Umnachtung auf
ungeklärte, ja vielmehr sehr geheimnisvolle Weise verschwunden ist und von
niemandem jemals wieder gesehen ward. Aber möglicherweise bietet dieser
Artikel ja für den ein oder anderen einen willkommenen Anreiz, das Auge
seiner Forschung in Hesindes Namen auf dieses Geheimnis zu lenken.
In diesem Sinne,
Magistra Emiramis Morysis von
Aldenia
von: Tilman Schanen Erschienen in Opus no. 164 am 28.7.2002.
Zu diesem Artikel erschien folgende Reaktion oder Fortsetzung: Reaktion auf "Testament des Magisters Kormeadh Baramo entdeckt!".
|
|