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Der Schwarze Limbus    

28. Ingerimm im 54. Götterlauf nach Hal

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Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?

Geschätzte Collega et Collegi,

Der nachfolgende Schrieb soll keinesfalls eine Lästerung der Zwölfgötter - insbesondere HESindes und PRAios' - darstellen, sondern nur eine Überlegung - zugegebenermaßen am Rande der Frömmigkeit - aufzeigen. Daraus sollte der geneigte Leser folgern, dass ich nicht vorhabe, den Opus, eine meinerseits hochgeschätzte Postille, als Forum für irgendwelche Entsetzensschreie erboster Weißmagier oder PRAiosgeweihter zu benutzen, sondern den persönlichen Schriftwechsel bevorzuge. Zu diesem Zweck ist meine Anschrift hier hinterlassen: Oxundanto Zeel.

I. These bzw. Grundsatzfrage

Der Sachverhalt, mit dem sich dieser Artikel beschäftigen soll, ist ein Gedanke; nämlich der Gedanke oder die Idee, ob es sich, wie schon der Titel ausdrückt, bei den Greifen als solche um heilige Tiere des PRAios handelt oder nur um die Wirklichkeit gewordenen Phantasien eines Chimärologen. Dieser Gedanke, auch nur an der Identität eines Greifes zu zweifeln, mag zunächst äußerst befremdlich erscheinen, wird allerdings, wenn man sich mit einem solchen Tier - als solches wollen wir, um die Neutralität zu wahren, den Greif in diesem Bericht nennen - beschäftigt, schnell schlüssig. Mit dem Versuch, diesen an sich frevelhaften Gedanken einmal objektiv zu betrachten, nähern wir uns der Beweisführung, die der erste Punkt dieses Schriebes darstellen soll.
Ich denke, es ist nicht notwendig, die Begriffe Greif, Götterbote und Chimäre zu definieren, da wohl jeder weiß, was es mit diesen Wörtern auf sich hat.

II. Beweisführung

Als das hervorstechendste Merkmal ist hier die äußerliche Gestalt eines Greifen anzuführen, die, wie wir wissen, äußerst mannigfach erscheint, gerade auch im Hinblick auf den Kontrast zwischen Flügel und den zu ihnen zugehörigen Teil des Greifen, den Adlerkopf auf der einen und der Gestalt eines Löwenkörpers auf der anderen Seite. Wir stellen fest, dass ein mächtiger, wohl anzuschauender Löwe mit Adlerschwingen und dem Haupt eines Aaren, was auf Unordnung und Ungleichheit gegenüber den normal gewachsenen Vertretern der beiden Tierarten hindeutet, als Götterbote der Gottheit betrachtet werden soll, die die Ordnung und Gleichheit, wobei das Wort "Gleichheit" hier im Sinne der Äquivalenz und des Mannigfachen gedeutet werden sollte, nicht im Sinne der Eintönigkeit, schätzt! Wir schließen daraus, dass der Greif von der äußerlichen Form her dem Herrn PRAios nicht gefällig sein kann, man könnte sich nach den bisherigen Gesichtspunkten gar die Meinung bilden, den Greif keinem der Zwölfgötter zuzuordnen, sondern der Asfaloth, der Gegenspielerin TSAs, da TSA die natürlichen Lebensformen zu schätzen weiß, der Greif jedoch durch seine Doppelform zwischen zwei Wesen nicht mehr natürlich zu nennen ist.
An Äußerlichkeiten des Greifen sind weiterhin seine, gelinde ausgedrückt, besonders auffallenden Augen anzumerken. Diese Augen an sich lassen zwei Interpretationen zu: Der geneigte Anhänger der These, Greifen seien zu den Chimären zu zählen, könnte jetzt anführen, die in den Augen schimmernde Intelligenz, die wir bei einem Greifen feststellen können, sei nur täuschende Intelligenz, hervorgerufen durch die Transmutation zweier tierisch intelligenter Wesen, wobei es eine rein biologisch bedingte Verkettung von Zufällen bei der Verschmelzung der speziell ausgebildeten und aufgebauten Augen des Adlers, mit denen er, wie wir ebenfalls wissen, wesentlich besser zu sehen im Stande ist als wir Menschen, einerseits und den anders strukturierten Augen, man denke hier auch an eine Hauskatze, des Löwen andererseits gegeben haben muss, während es aber im Resultat nur so scheint, als seien die Greifen intelligent, sie es aber nicht wirklich sind. Der Anhänger des Götterfürsten könnte aber auch die Intelligenz so auslegen - und so wurde es bisher immer gemacht -, dass der Greif ein von göttlicher Intelligenz beseeltes Wesen ist und von daher natürlich-intelligent ist.

Der nächste Gesichtspunkt wäre das Vorhandensein von Organen oder anderen das Leben zeugenden Funktionen in einem Lebewesen. Da bisher noch niemand einen Greifen seziert hat, können wir nicht sicher sein, ob der Greif Organe oder Ähnliches besitzt. Sicher haben einige der geneigten Leser schon Greifen verletzt und blutend gesehen, aber können wir sagen, der Blutfluss werde angetrieben von einem Herzen durch ein Geflecht aus Adern und Cellulæ, oder müssten wir nicht überlegen, ob der Greifenkörper nicht gar von einem offenem Blutkreislauf - ähnlich dem der Insekten -, was den Blutfluss auch erklären würde, gespeist wird - wenn ja, von welchem Tier stammt dieser Blutkreislauf, besteht der Greif aus einem dritten, anstatt wie angenommen zwei Teiltieren, das äußerlich nicht sichtbar ist, was bei einem begabten Chimärologen durchaus möglich wäre? Hat irgend jemand - und diese Frage ist nicht zum Lachen - jemals einen Greifen sich erleichtern sehen - wie es bei fliegenden Tauben oder ähnlichem Gezücht der Fall ist - oder auch nur Nahrung zu sich nehmen? Beweist auch nur eine Forschungsstudie, dass der Greif einen Verdauungstrakt hat? Oder funktioniert der Greif nur mittels göttlicher Macht, wie uns die werten PRAiosgeweihten versichern. Sämtliche Varianten wären denkbar und so können wir nicht mit Sicherheit sagen, dass der Greif biologisch gesehen keine Chimäre ist.

Als nächstes wäre zu betrachten, ob der Greif wirklich intelligent ist. Spricht der Greif in der Tat mit ausgesuchten Personen oder sind diese Gespräche nur Hirngespinste eben jener? Oftmals sollen Greifen auch der PRAiosscheibe entsprungen sein, vor den Augen unzähliger Leute, die sich sehnlichst Hilfe wünschten, allerdings immer nur in Extremsituationen, in der Schwarzmagier und Borbaradianer im Spiel waren - will heißen: wäre es nicht möglich, dass der Greif nur eine Massenillusion wäre, hervorgerufen durch mächtige Magier oder Dämonen? Das Phänomen des aus der PRAiosscheibe erscheinenden Greifen kann auch nur eine natürlich bedingte Sinnestäuschung einer Einzelperson gewesen sein. Der geneigte PRAiosanhänger würde jetzt ins Feld führen, dass Greifen oft schon für die Sache des Lichtes, also eine bewusste Entscheidung, die Intelligenz voraussetzt, oder zumindest einen Götterauftrag, was sich gleich bliebe, gekämpft haben. Die Gegenfraktion könnte darauf jedoch antworten, dass nicht sicher ist, ob der Greif wirklich, also nicht nur zum Schein mit späterem Erfolg der dunklen Seite, was für die Greifenchimäre der Asfaloth sprechen würde, oder ob er nicht einfach einem tierisch bedingten Blutrausch, hervorgerufen durch ähnliche Umstände wie bei vielen anderen Tieren, nachgebend für die gerechte Sache kämpfte. Man denke nur an Greifenfurt, wo der Greif sich erhoben haben soll und in der Sonne verschwunden sein soll, obwohl er das Sterben Hunderter hätte verhindern können. Wieder wären sämtliche Varianten zumindest möglich, wenn auch unwahrscheinlich, weswegen wir wiederum nicht sicher sagen können, dass der Greif an der Intelligenz gemessen keine Chimäre ist.

Nun wenden wir uns dem letzten Problem, mit dem sich dieser Bericht befassen möchte, zu: Die Theorie der Greifenchimäre setzt voraus, dass es irgendwann einmal mindestens zwei fortpflanzungsfähige "Urgreifen" (Waren es vielleicht Ucuri und ein anderes Wesen?) gegeben haben muss, aus denen die heutigen Greifen hervorgegangen sind. Welcher Chimärologe - es müsste von einem solch mächtigen Magier doch Spuren geben, vielleicht waren es die Echsen? - oder welche Gottheit dies getan haben mag, bliebe uns diese Erklärung allerdings schuldig, abgesehen davon wäre der Greif, wenn ihn ein Gott aus einem Adler und einem Löwen geformt hätte, mit Sicherheit keine Chimäre, sondern göttlich gewollte Schöpfung.
Aus der Sicht des Anhängers des göttlichen Greifen kann es aber auch so gewesen sein - und jetzt bewegen wir uns in der Urgeschichte Aventuriens, wenn nicht ganz Deres -, dass aus den von PRAios geschickten Greifen mit der Hilfe der Allesgebärenden die Adler und Löwen hervorgegangen sind. Wieder könnten beide Varianten der Wahrheit entsprechen - wobei die Formung von Adler und Löwe aus dem Greif durch die Allesspendende Mutter nicht als einzige Möglichkeit der göttlichen Schaffung des Greifen verstanden werden muss - weswegen wir wiederum nicht mit uneingeschränkter Sicherheit davon ausgehen können, dass der Greif von der Schöpfungsgeschichte her gesehen - war zuerst der Adler und der Löwe oder der Greif? - keine Chimäre ist.

III. Schlussfolgerung

Wir haben jeweils zwei Aspekte, die entweder für die eine Möglichkeit oder die andere sprechen:
Der erste Gesichtspunkt, sich mit der äußeren Form des Greifen befassend, spricht mehr für die Chimärentheorie, während der zweite Gesichtspunkt sich mit dem Vorhandensein von Organen beschäftigend, logisch gesehen, aber nicht uneingeschränkt, eher die Theorie des Götterboten bestätigt.
Der dritte Gesichtspunkt, sich mit der Intelligenz eines solchen Tieres beschäftigend, bekräftigt beide Theorien und die Randtheorie, es könne sich bei dem Greifen speziell um eine Chimäre der Asfaloth handeln, während der vierte Gesichtspunkt sich mit der möglichen Entstehung eines Greifen beschäftigend, an den Möglichkeiten der frühen Chimärologen gemessen eindeutig die Ansicht, es handle sich bei dem Greif um Götterboten des Herrn PRAios, bestätigt, indem in des Absatzes Folge möglicher Zusatznutzen der Schöpfung durch den Greif aufgezeigt wird.
In der Summe können wir nicht eindeutig feststellen, welche Variante zutreffend ist. Es kann so sein, dass der Greif ein vom göttlichen Herrn der Ordnung und der Herrschaft gesandter Bote mit himmlischen Aufgaben ist, es kann ebenso sein, dass er eine Fehlentwicklung - oder eine gewollte Transmutation - eines frühen Chimärologen oder, wahrscheinlicher, eine Chimäre der Asfaloth darstellt.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Gesichtspunkt, der mich persönlich letztendlich rational davon überzeugt hat, dass der Greif ein himmlischer Bote ist, den ich hier an die letzte Stelle setzen möchte:
Bei allen Sachverhalten, die nicht mit göttlicher Macht zu erklären sind, forscht man im Bereich der Wissenschaft weiter, allerdings stößt man dabei häufig auf eine logische Grenze, da der Sachverhalt nicht mehr erklärbar scheint. Ich denke, diejenigen, die sich schon einmal näher mit tiefer gehenden Themen beschäftigt haben, wissen, wovon ich spreche. Da man aber bei einer mit einer göttlichen Erklärung erkannten Sache gar nicht mehr weiterforscht - die Gründe dazu kann ich sehr gut nachvollziehen -, wäre es immerhin möglich, dass ebenfalls eine logische Grenze erreicht werden würde, forschte man eben weiter. Daraus würden wir folgern, dass die Götter, oder auch nur wir selbst, uns erstens hintergehen bzw. Wissen, das schließlich auch schädlich sein könnte, was wiederum die guten Absichten der Götter nur bekräftigen würde, vorenthalten und zweitens uns zwingen, wenn auch nur indirekt, im Zweifelsfalle immer den einfacheren Weg der göttlichen Erklärung zu gehen und dabei nie auf mögliche Grenzen des - durch vorangehende These vorausgesetzten - Lügengebildes der Götter zu stoßen. Wozu sie dieses in diesem Fall dann errichteten, bliebe mir jedoch verborgen. Von daher können wir mit relativer Sicherheit ausschließen, dass die Götter, allenfalls wir selbst, versuchen, uns zu hintergehen und uns Informationen vorzuenthalten, und wenn sie dies tun, dann aus guter Intention heraus.
Das heißt also, dass PRAios, wenn er verkünden lässt, der Greif sei sein Götterbote, der Gott dies entweder deshalb macht, um uns die Wahrheit zu sagen - dann haben wir nichts zu befürchten - oder er tut dies, um uns vor schlimmerem Wissen zu bewahren - auch dann haben wir nichts zu befürchten. Das wiederum heißt, selbst wenn wir Gründe hätten, an der Identität des Greifen zu zweifeln, was wir taten, wobei wir nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kamen, hat PRAios doch immer das letzte Wort.
Dieser Artikel sollte verdeutlichen, dass wir nur bedingt an den göttlichen Lehren zu zweifeln haben und dass durch diese bedingten Zweifel oftmals neue Erkenntnisse hervorgehen, zumindest man aber einen klareren Weg der Entscheidung sieht. Dies sei eine eindeutige Aufforderung an die Magæ und Magi der Bruderschaft, sich immer wieder klar zu machen, dass göttliche Gesetze auch für skrupellose Nekromanten und andere Beschwörer gelten, andererseits auch an alle Weißmagier, nicht alles, was uns durch die Götter vorgegeben wird, als gegeben hinzunehmen, sondern ruhig auch einmal nachzuforschen, das heißt, dass es am Sinnvollsten ist, den Mittelweg des Götterglauben einerseits und der Forschung andererseits zu gehen. Werdet - und dieser Appell wendet sich vor allem an die Jungmagier - Graumagier!

Da ich denke, dass ich mit meinem Artikel keinen Frevel an den Zwölfen begangen habe, muss ich nicht als Anonymus unterschreiben, sondern kann sehr wohl meinen wahren Namen nennen.

Verfasst von,

Oxundanto Zeel
Mitglied im Kreis der Einfühlung

von: Valentin Nierlein
Erschienen in Opus no. 171 am 6.10.2002.
Zu diesem Artikel erschienen folgende Reaktionen oder Fortsetzungen: INTELLIGO UT CREDAM, Reactio ad "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?", Reactio ad "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?", Briefwechsel zu "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?".

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