Der Greif - Götterbote oder unheilige
Chimäre?Geschätzte Collega et Collegi,
Der nachfolgende Schrieb soll keinesfalls eine Lästerung der
Zwölfgötter - insbesondere HESindes und PRAios'
- darstellen, sondern nur eine Überlegung - zugegebenermaßen am Rande der
Frömmigkeit - aufzeigen. Daraus sollte der geneigte Leser folgern, dass
ich nicht vorhabe, den Opus, eine meinerseits hochgeschätzte Postille, als
Forum für irgendwelche Entsetzensschreie erboster Weißmagier oder PRAiosgeweihter
zu benutzen, sondern den persönlichen Schriftwechsel bevorzuge. Zu diesem
Zweck ist meine Anschrift hier hinterlassen:
Oxundanto Zeel.
I. These bzw. Grundsatzfrage
Der Sachverhalt, mit dem sich dieser Artikel beschäftigen soll, ist ein
Gedanke; nämlich der Gedanke oder die Idee, ob es sich, wie schon der
Titel ausdrückt, bei den Greifen als solche um heilige Tiere des PRAios
handelt oder nur um die Wirklichkeit gewordenen Phantasien eines
Chimärologen. Dieser Gedanke, auch nur an der Identität eines Greifes zu
zweifeln, mag zunächst äußerst befremdlich erscheinen, wird allerdings,
wenn man sich mit einem solchen Tier - als solches wollen wir, um die
Neutralität zu wahren, den Greif in diesem Bericht nennen - beschäftigt,
schnell schlüssig. Mit dem Versuch, diesen an sich frevelhaften Gedanken
einmal objektiv zu betrachten, nähern wir uns der Beweisführung, die der
erste Punkt dieses Schriebes darstellen soll.
Ich denke, es ist nicht notwendig, die Begriffe Greif, Götterbote und
Chimäre zu definieren, da wohl jeder weiß, was es mit diesen Wörtern auf
sich hat.
II. Beweisführung
Als das hervorstechendste Merkmal ist hier die äußerliche Gestalt eines
Greifen anzuführen, die, wie wir wissen, äußerst mannigfach erscheint,
gerade auch im Hinblick auf den Kontrast zwischen Flügel und den zu ihnen
zugehörigen Teil des Greifen, den Adlerkopf auf der einen und der Gestalt
eines Löwenkörpers auf der anderen Seite. Wir stellen fest, dass ein
mächtiger, wohl anzuschauender Löwe mit Adlerschwingen und dem Haupt eines
Aaren, was auf Unordnung und Ungleichheit gegenüber den normal gewachsenen
Vertretern der beiden Tierarten hindeutet, als Götterbote der Gottheit
betrachtet werden soll, die die Ordnung und Gleichheit, wobei das Wort
"Gleichheit" hier im Sinne der Äquivalenz und des Mannigfachen gedeutet
werden sollte, nicht im Sinne der Eintönigkeit, schätzt! Wir schließen
daraus, dass der Greif von der äußerlichen Form her dem Herrn PRAios
nicht gefällig sein kann, man könnte sich nach den bisherigen
Gesichtspunkten gar die Meinung bilden, den Greif keinem der Zwölfgötter
zuzuordnen, sondern der Asfaloth, der Gegenspielerin TSAs,
da TSA die natürlichen Lebensformen zu schätzen
weiß, der Greif jedoch durch seine Doppelform zwischen zwei Wesen nicht
mehr natürlich zu nennen ist.
An Äußerlichkeiten des Greifen sind weiterhin seine, gelinde ausgedrückt,
besonders auffallenden Augen anzumerken. Diese Augen an sich lassen zwei
Interpretationen zu: Der geneigte Anhänger der These, Greifen seien zu den
Chimären zu zählen, könnte jetzt anführen, die in den Augen schimmernde
Intelligenz, die wir bei einem Greifen feststellen können, sei nur
täuschende Intelligenz, hervorgerufen durch die Transmutation zweier
tierisch intelligenter Wesen, wobei es eine rein biologisch bedingte
Verkettung von Zufällen bei der Verschmelzung der speziell ausgebildeten
und aufgebauten Augen des Adlers, mit denen er, wie wir ebenfalls wissen,
wesentlich besser zu sehen im Stande ist als wir Menschen, einerseits und
den anders strukturierten Augen, man denke hier auch an eine Hauskatze,
des Löwen andererseits gegeben haben muss, während es aber im Resultat nur
so scheint, als seien die Greifen intelligent, sie es aber nicht wirklich
sind. Der Anhänger des Götterfürsten könnte aber auch die Intelligenz so
auslegen - und so wurde es bisher immer gemacht -, dass der Greif ein von
göttlicher Intelligenz beseeltes Wesen ist und von daher
natürlich-intelligent ist.
Der nächste Gesichtspunkt wäre das Vorhandensein von Organen oder
anderen das Leben zeugenden Funktionen in einem Lebewesen. Da bisher noch
niemand einen Greifen seziert hat, können wir nicht sicher sein, ob der
Greif Organe oder Ähnliches besitzt. Sicher haben einige der geneigten
Leser schon Greifen verletzt und blutend gesehen, aber können wir sagen,
der Blutfluss werde angetrieben von einem Herzen durch ein Geflecht aus
Adern und Cellulæ, oder müssten wir nicht überlegen, ob der Greifenkörper
nicht gar von einem offenem Blutkreislauf - ähnlich dem der Insekten -,
was den Blutfluss auch erklären würde, gespeist wird - wenn ja, von
welchem Tier stammt dieser Blutkreislauf, besteht der Greif aus einem
dritten, anstatt wie angenommen zwei Teiltieren, das äußerlich nicht
sichtbar ist, was bei einem begabten Chimärologen durchaus möglich wäre?
Hat irgend jemand - und diese Frage ist nicht zum Lachen - jemals einen
Greifen sich erleichtern sehen - wie es bei fliegenden Tauben oder
ähnlichem Gezücht der Fall ist - oder auch nur Nahrung zu sich nehmen?
Beweist auch nur eine Forschungsstudie, dass der Greif einen
Verdauungstrakt hat? Oder funktioniert der Greif nur mittels göttlicher
Macht, wie uns die werten PRAiosgeweihten
versichern. Sämtliche Varianten wären denkbar und so können wir nicht mit
Sicherheit sagen, dass der Greif biologisch gesehen keine Chimäre ist.
Als nächstes wäre zu betrachten, ob der Greif wirklich intelligent ist.
Spricht der Greif in der Tat mit ausgesuchten Personen oder sind diese
Gespräche nur Hirngespinste eben jener? Oftmals sollen Greifen auch der PRAiosscheibe
entsprungen sein, vor den Augen unzähliger Leute, die sich sehnlichst
Hilfe wünschten, allerdings immer nur in Extremsituationen, in der
Schwarzmagier und Borbaradianer im Spiel waren - will heißen: wäre es nicht
möglich, dass der Greif nur eine Massenillusion wäre, hervorgerufen durch
mächtige Magier oder Dämonen? Das Phänomen des aus der PRAiosscheibe
erscheinenden Greifen kann auch nur eine natürlich bedingte
Sinnestäuschung einer Einzelperson gewesen sein. Der geneigte PRAiosanhänger
würde jetzt ins Feld führen, dass Greifen oft schon für die Sache des
Lichtes, also eine bewusste Entscheidung, die Intelligenz voraussetzt,
oder zumindest einen Götterauftrag, was sich gleich bliebe, gekämpft
haben. Die Gegenfraktion könnte darauf jedoch antworten, dass nicht sicher
ist, ob der Greif wirklich, also nicht nur zum Schein mit späterem Erfolg
der dunklen Seite, was für die Greifenchimäre der Asfaloth sprechen würde,
oder ob er nicht einfach einem tierisch bedingten Blutrausch,
hervorgerufen durch ähnliche Umstände wie bei vielen anderen Tieren,
nachgebend für die gerechte Sache kämpfte. Man denke nur an Greifenfurt,
wo der Greif sich erhoben haben soll und in der Sonne verschwunden sein
soll, obwohl er das Sterben Hunderter hätte verhindern können. Wieder
wären sämtliche Varianten zumindest möglich, wenn auch unwahrscheinlich,
weswegen wir wiederum nicht sicher sagen können, dass der Greif an der
Intelligenz gemessen keine Chimäre ist.
Nun wenden wir uns dem letzten Problem, mit dem sich dieser Bericht
befassen möchte, zu: Die Theorie der Greifenchimäre setzt voraus, dass es
irgendwann einmal mindestens zwei fortpflanzungsfähige "Urgreifen" (Waren
es vielleicht Ucuri und ein anderes Wesen?) gegeben haben muss, aus denen
die heutigen Greifen hervorgegangen sind. Welcher Chimärologe - es müsste
von einem solch mächtigen Magier doch Spuren geben, vielleicht waren es
die Echsen? - oder welche Gottheit dies getan haben mag, bliebe uns diese
Erklärung allerdings schuldig, abgesehen davon wäre der Greif, wenn ihn
ein Gott aus einem Adler und einem Löwen geformt hätte, mit Sicherheit
keine Chimäre, sondern göttlich gewollte Schöpfung.
Aus der Sicht des Anhängers des göttlichen Greifen kann es aber auch so
gewesen sein - und jetzt bewegen wir uns in der Urgeschichte Aventuriens,
wenn nicht ganz Deres -, dass aus den von PRAios
geschickten Greifen mit der Hilfe der Allesgebärenden die Adler und Löwen
hervorgegangen sind. Wieder könnten beide Varianten der Wahrheit
entsprechen - wobei die Formung von Adler und Löwe aus dem Greif durch die
Allesspendende Mutter nicht als einzige Möglichkeit der göttlichen
Schaffung des Greifen verstanden werden muss - weswegen wir wiederum nicht
mit uneingeschränkter Sicherheit davon ausgehen können, dass der Greif von
der Schöpfungsgeschichte her gesehen - war zuerst der Adler und der Löwe
oder der Greif? - keine Chimäre ist.
III. Schlussfolgerung
Wir haben jeweils zwei Aspekte, die entweder für die eine Möglichkeit
oder die andere sprechen:
Der erste Gesichtspunkt, sich mit der äußeren Form des Greifen befassend,
spricht mehr für die Chimärentheorie, während der zweite Gesichtspunkt
sich mit dem Vorhandensein von Organen beschäftigend, logisch gesehen,
aber nicht uneingeschränkt, eher die Theorie des Götterboten bestätigt.
Der dritte Gesichtspunkt, sich mit der Intelligenz eines solchen Tieres
beschäftigend, bekräftigt beide Theorien und die Randtheorie, es könne
sich bei dem Greifen speziell um eine Chimäre der Asfaloth handeln,
während der vierte Gesichtspunkt sich mit der möglichen Entstehung eines
Greifen beschäftigend, an den Möglichkeiten der frühen Chimärologen
gemessen eindeutig die Ansicht, es handle sich bei dem Greif um
Götterboten des Herrn PRAios, bestätigt, indem in
des Absatzes Folge möglicher Zusatznutzen der Schöpfung durch den Greif
aufgezeigt wird.
In der Summe können wir nicht eindeutig feststellen, welche Variante
zutreffend ist. Es kann so sein, dass der Greif ein vom göttlichen Herrn
der Ordnung und der Herrschaft gesandter Bote mit himmlischen Aufgaben
ist, es kann ebenso sein, dass er eine Fehlentwicklung - oder eine
gewollte Transmutation - eines frühen Chimärologen oder, wahrscheinlicher,
eine Chimäre der Asfaloth darstellt.
Es gibt allerdings noch einen weiteren Gesichtspunkt, der mich persönlich
letztendlich rational davon überzeugt hat, dass der Greif ein himmlischer
Bote ist, den ich hier an die letzte Stelle setzen möchte:
Bei allen Sachverhalten, die nicht mit göttlicher Macht zu erklären sind,
forscht man im Bereich der Wissenschaft weiter, allerdings stößt man dabei
häufig auf eine logische Grenze, da der Sachverhalt nicht mehr erklärbar
scheint. Ich denke, diejenigen, die sich schon einmal näher mit tiefer
gehenden Themen beschäftigt haben, wissen, wovon ich spreche. Da man aber
bei einer mit einer göttlichen Erklärung erkannten Sache gar nicht mehr
weiterforscht - die Gründe dazu kann ich sehr gut nachvollziehen -, wäre
es immerhin möglich, dass ebenfalls eine logische Grenze erreicht werden
würde, forschte man eben weiter. Daraus würden wir folgern, dass die
Götter, oder auch nur wir selbst, uns erstens hintergehen bzw. Wissen, das
schließlich auch schädlich sein könnte, was wiederum die guten Absichten
der Götter nur bekräftigen würde, vorenthalten und zweitens uns zwingen,
wenn auch nur indirekt, im Zweifelsfalle immer den einfacheren Weg der
göttlichen Erklärung zu gehen und dabei nie auf mögliche Grenzen des -
durch vorangehende These vorausgesetzten - Lügengebildes der Götter zu
stoßen. Wozu sie dieses in diesem Fall dann errichteten, bliebe mir jedoch
verborgen. Von daher können wir mit relativer Sicherheit ausschließen,
dass die Götter, allenfalls wir selbst, versuchen, uns zu hintergehen und
uns Informationen vorzuenthalten, und wenn sie dies tun, dann aus guter
Intention heraus.
Das heißt also, dass PRAios, wenn er verkünden
lässt, der Greif sei sein Götterbote, der Gott dies entweder deshalb
macht, um uns die Wahrheit zu sagen - dann haben wir nichts zu befürchten
- oder er tut dies, um uns vor schlimmerem Wissen zu bewahren - auch dann
haben wir nichts zu befürchten. Das wiederum heißt, selbst wenn wir Gründe
hätten, an der Identität des Greifen zu zweifeln, was wir taten, wobei wir
nicht zu einem eindeutigen Ergebnis kamen, hat PRAios
doch immer das letzte Wort.
Dieser Artikel sollte verdeutlichen, dass wir nur bedingt an den
göttlichen Lehren zu zweifeln haben und dass durch diese bedingten Zweifel
oftmals neue Erkenntnisse hervorgehen, zumindest man aber einen klareren
Weg der Entscheidung sieht. Dies sei eine eindeutige Aufforderung an die
Magæ und Magi der Bruderschaft, sich immer wieder klar zu machen, dass
göttliche Gesetze auch für skrupellose Nekromanten und andere Beschwörer
gelten, andererseits auch an alle Weißmagier, nicht alles, was uns durch
die Götter vorgegeben wird, als gegeben hinzunehmen, sondern ruhig auch
einmal nachzuforschen, das heißt, dass es am Sinnvollsten ist, den
Mittelweg des Götterglauben einerseits und der Forschung andererseits zu
gehen. Werdet - und dieser Appell wendet sich vor allem an die Jungmagier
- Graumagier!
Da ich denke, dass ich mit meinem Artikel keinen Frevel an den Zwölfen
begangen habe, muss ich nicht als Anonymus unterschreiben, sondern kann
sehr wohl meinen wahren Namen nennen.
Verfasst von,
Oxundanto Zeel
Mitglied im Kreis der Einfühlung
von: Valentin Nierlein Erschienen in Opus no. 171 am 6.10.2002.
Zu diesem Artikel erschienen folgende Reaktionen oder Fortsetzungen: INTELLIGO UT CREDAM, Reactio ad "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?", Reactio ad "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?", Briefwechsel zu "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?".
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