INTELLIGO UT CREDAM
Credo ut intelligam (ich
glaube um zu verstehen) oder
Intelligo ut credam (ich verstehe um zu glauben)?
Eine aus aktuellem Anlass ausgewählte Unterweisung aus dem Lehrangebot der
Academia Limbologica, Fach: Allgemeine Philosophie mit anschließenden
Philosophischen Diskussionen, Vortragender: Meister Eborëus Zachariad
"Das heutige Thema der Vorlesung ergibt sich aus dem Artikel "Der Greif
- Götterbote oder unheilige Chimäre?" des geschätzten Collega Oxundanto
Zeel im letzten Opus, der darin auf hervorragende Weise jene Frage
aufwarf, welche uns nun im weiteren beschäftigen soll. Anhand eines
konkreten Beispielfalls führte Collega Zeel - ich hoffe doch ihr habt den
Artikel allesamt gelesen - seine Überlegungen zu einer heiklen, aber
dennoch berechtigten Frage aus, über deren Antwort - rein aus Sicht der
Kirchen der Zwölfe, und umso mehr aus Sicht der eigenen Gesundheit von
Leib und Seele - kein Zweifel bestehen darf.
Diesen gewagten Schritt zu tun, sich nämlich einer dogmatischen
Glaubensfrage vom Standpunkt der Wissenschaft aus zu nähern, erfordert
einiges an Mut und innerer Willenskraft. Diese Überlegungen dann jedoch
auch noch zu publizieren, stellt gewiss ein extrem hohes Risiko dar.
Gerade deswegen möchte ich jedoch den Gedankengang des werten Collega Zeel
aufgreifen und ihn auf eine allgemeinere Ebene führen.
Ich richte mich im folgenden ausdrücklich nach der Meinung der Kirche
unseres Herren Nandus und
gleichzeitig gegen die wohl gängige Lehrmeinung innerhalb vieler anderer
Kirchen, aber auch gegen die Überzeugung etlicher Gelehrter. Das erste der
beiden Zitate im Titel dieser Lehrveranstaltung (bzw. des Artikels) stammt
von einem zeitgenössischen Gelehrten, Anselm von Neetha mit Namen, welcher
in Kuslik in den Hallen der Weisheit lehrt und forscht. Seinen Wahlspruch
Credo ut intelligam könnte
man sinngemäß folgendermaßen übersetzen: Der Glaubensinhalt steht fest,
und der Verstand hat von diesem auszugehen und ihn zu verstehen zu suchen.
Anselm von Neetha ist damit der Begründer der so genannten rationalen
Scholastik, einer kirchennahen Forschungshaltung, welche sich besonders
unter den Magiern der Weißen Gilde großer Beliebtheit erfreut. Böse Zungen
aus dem Kreise der Schwarzen Gilde formulierten den Inhalt dieser
Anselm'schen Lehrform folgendermaßen: Wie verschroben der Glaubensinhalt
auch sein mag, er ist wahr, und daher hat der Verstand alle seine Künste
aufzubringen, um damit in Einklang zu kommen.
Ich möchte hier gleich betonen, dass diese Haltung einem Magier der
Grauen Gilde nicht angemessen sein kann. Dennoch brachte Anselm von Neetha
eine neue interessante Dimension in die zwölfgöttergefällige Logik ein,
nämlich die so genannten Götterbeweise. Von diesen gibt es, wie könnte es
anders auch sein, zwölf an der Zahl, welche allesamt auf jeweils einen der
Zwölfgötter hinführen. Der bekannteste unter ihnen ist wohl der
Gottesbeweis des Götterfürsten Praios,
welchen ich euch zur Veranschaulichung der rationalen Scholastik nun kurz
schildern möchte:
Wir glauben, dass der Herre Praios
der Gott ist, über den hinaus kein anderer Gott gedacht werden kann.
Hierbei handelt es sich, streng nach dem Grundsatz
Credo ut intelligam (erst
glauben, dann verstehen), also um den Glaubensinhalt, welchen es rational
nachzuvollziehen, ja sogar zu beweisen gilt. Und ich denke ich kann wohl
davon ausgehen, dass diesem Glaubensinhalt niemand widersprechen wird.
Fahren wir also fort:
Wenn wir diese Annahme nun glauben, so denken wir sie in unserem
Verstande. Ich wiederhole also geistig die Worte: Der Herre Praios
ist der Gott, über den hinaus kein anderer Gott gedacht werden kann - oder
einfacher und verkürzt: Praios
ist der Fürst der Götter. Und da es nichts Mächtigeres mehr (man beachte:
nichts mehr!) gibt, könnte man sich stattdessen auch im Geiste
denken:
Wir glauben, dass der Herre Praios
der Gott ist, über den hinaus nichts gedacht werden kann.
Damit ist dieser Gottesbegriff nun also in unserem Geiste.
Im folgenden versucht Anselm nun darzulegen, dass dieser Gottesbegriff
nicht ausschließlich im Geiste sein kann (also nicht nur gedacht werden
kann), sondern dass er (rational-)logischerweise eine Entsprechung in der
Wirklichkeit haben muss, sprich: dass er wirklich existieren muss:
Etwas, das nur im Geiste ist, kann man sich auch in der Wirklichkeit
denken.
Als Beispiel sei hier ein Haufen von 100 Silbermünzen genannt: Denken wir
uns diesen Haufen im Geiste, so existiert er dort. Denken wir ihn uns aber
nun in der Wirklichkeit, weil er vor uns liegt, haben wir uns etwas
darüber hinaus gedacht. Der zuerst bloß geistig existierende Münzhaufen
gewinnt nun eine Qualität hinzu, nämlich seine wirkliche Existenz.
Es folgt also: Etwas, was wir uns nicht bloß im Geiste denken, sondern
auch in der Wirklichkeit, ist mehr als das bloß im Geiste Gedachte, es
geht über das bloß im Geiste Gedachte hinaus.
Folgerung: Wenn also der Herre Praios,
über den hinaus nichts mehr gedacht werden kann, nur in unserem Geiste
existieren würde, dann könnten wir etwas über ihn hinaus denken, indem wir
einfach seine Wirklichkeit hinzu dächten. Da dies jedoch laut dem
Glaubenssatz (siehe oben) nicht möglich ist, muss der Herre Praios,
um dem Glaubenssatz nicht zu widersprechen, rational gefolgert auch in
Wirklichkeit existieren.
Womit, nach Anselm von Neetha, der Gottesbeweis für Praios
erbracht wäre. Natürlich gibt es gegen diese Art der rationalen Scholastik
an sich ebenso unzählige Einwände wie gegen diesen Gottesbeweis im
Konkreten.
Wir aber wollen uns nun mit der einem Graumagier viel eher anstehenden
Forschungshaltung beschäftigen, welche ich - in Abwandlung zum
Credo ut intelligam von
Anselm von Neetha -
Intelligo ut credam (ich
verstehe um zu glauben) genannt habe. Diese Forschungshaltung bekennt sich
in erster Linie zur Vernunft, denn sie nimmt an, dass der vernünftige, dem
Weisheits-Ideal Hesindes und ihres Sohnes Nandus nachstrebende Mensch auch
der beste Gläubige ist. Denn nur was ich selbst erforscht, mit dem Geist
durchdrungen und so erlebt und nachvollzogen habe, kann ich ganz und
vollkommen in mich aufnehmen und vor allem auch danach leben.
Selbstverständlich ist es uns Menschen mit unserem begrenzten Verstand
nicht möglich alles und jedes (vor allem nicht jeden Glaubenssatz) im
Geiste zu klären und nachzuvollziehen, einerseits aufgrund der Menge an
Glaubenssätzen, andererseits aufgrund der Komplexität von manchen. Und
genau in diesen Fällen ist natürlich mit den kirchlichen Glaubenssätzen
genau das zu tun, weshalb sie so heißen: Sie sind einfach zu glauben.
Als Beispiel für diese Forschungshaltung wiederum könnte ich wohl kaum
ein besseres finden, als es uns der geschätzte Collega Oxundanto Zeel im
letzten Opus gegeben hat. Seht es euch genau an und erkennt die Haltung,
die dahinter steht - denn sie soll euch zu eigen werden auf eurem Weg zum
Graumagier.
Meister Eborëus Zachariad
von: Philipp Schumacher Erschienen in Opus no. 172 am 13.10.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?.
Reactio ad „Der Greif -
Götterbote oder unheilige Chimäre?“
Sehr geehrter Oxundanto Zeel,
Es freut mich, dass Ihr Euch so ausführlich mit dem Thema des "Greifen"
beschäftigt habt. Sicher wisst Ihr auch, dass es in meiner Heimat, dem
Herzogtum Borian inmitten der Sümpfe von Brabak, die herrschende Meinung
gibt, wonach das Auftauchen eines Greifen als Zeichen für ein kosmisches
Unglück von unvorstellbarem Grauen gewertet werden muss. Zuletzt wurde ein
solcher am 10. Phex 17 Hal südlich von Baltés'agar in den Borianer Sümpfen
gesichtet. Zeugen bei diesem Ereignis waren der Moha Orumi Síblis nebst
einiger reisender Händler. Wie den Berichten der Reisenden zu entnehmen
war, tauchte der Greif plötzlich wie aus dem Nichts auf, um sich dann
lautlos auf den Schwingen ähnlich denen eines gewaltigen Geiers in die
Lüfte zu erheben, während der Katzenschwanz die flimmernde Luft über den
Sümpfen peitschte. Auf seinem Haupte habe der Greif eine eiserne Krone
getragen, die eine Aura der Pestilenz verbreitet habe. Sicher muss ich
nicht näher erläutern, was für grauenhafte Wochen diesem Ereignis folgten
und auch ist es nicht sehr weit hergeholt, einen Zusammenhang zwischen dem
Verschwinden des letzten halensischen Kaisers Hal und dem Erscheinen
dieses Monstrums herstellen zu wollen. Auch die unselige Spaltung der
Praioskirche vor einigen Jahren steht einem ähnlichen Zusammenhang, was
eindeutig für die pervertierende und negative Aura der Greifen spricht.
Zuletzt denke man noch an die dadurch ausgelösten Magieverbote im
zentralen Mittelreich (gemeint sind die Nordmarken; die Redaktion) durch
übereifrige Praioten und andere Ketzer.
Im Zusammenhang mit Eurem bis auf die Schlussfolgerung vortrefflichen
Artikel über das Wesen der Greifen, möchte ich Eure Idee aufgreifen und
festhalten, dass es sich sehr wahrscheinlich bei den Greifen um eine
magisch mutierte von Asfaloth beseelte Chimäre handelt, die nur das Werk
eines finsteren Schwarzkünstlers aus der Stadt des Roten Goldes sein kann.
Möge uns die Hohe Herrin in Ihren drei Manifestationen (heilig heilig
heilig) vor einem erneuten Auftauchen dieser schrecklichen Kreatur
beschützen!
Alberto Fredarcarno, Vorsitzender Minister des Ministeriums gegen
reichsgefährdende Kulte zu Borian und Brabak
von: Stephan Witte Erschienen in Opus no. 172 am 13.10.2002 als Reaktion oder Fortsetzung zu Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?.
Zu diesem Artikel erschienen folgende Reaktionen oder Fortsetzungen: Reactio ad Reactionem "Der Greif - Götterbote oder unheilige Chimäre?", Reactio auf die Reactio des Alberto Fredarcano (1), Reactio auf die Reactio des Alberto Fredarcano (2). |