DE NATURA MAGICULTURÆ
Versuch einer philosophischen deductio spezifischer 'variatio
magiculturae'
(i.e. 'magiekultureller Variabilität')
et
Manifest wider die der modernen Gildenmagie implizit immanente
phänomenologische Vereinheitlichungstendenz
von Reiju Windfeder
Magus extraordinarius am Seminar der elfischen Verständigung zu Donnerbach
Vorrede
Geschätzte Collegae,
Mit Sorge verfolge ich seit geraumer Zeit den Dialog der Vertreter verschiedenster
gildenmagischer Richtungen, die sich allesamt einig darin zu sein scheinen, dass ihre,
i.e. die allgemein gildenmagische, Betrachtungsweise von Magie an sich - in explizitem
Gegenüber zu anderen kulturspezifisch geprägten Formen von Magie - die richtige, wahre
sei und aus dieser Überzeugung eine Anzahl von conclusiones und allgemeinen Denkweisen
ableiten, welche meiner bescheidenen Meinung nach höchst bedenklich sind. Es vermeidend,
Namen und bestimmte Zirkel zu explizieren, möchte ich doch an vor langer Zeit (Opus
## 9-17) verbreitete
'Erkenntnisse' im Mantel wissenschaftlicher Forschung erinnern, welche vermeintlich
objektiv über die filiae satuariae berichteten, jedoch kaum exemplarischer sein
könnten für eine (typische) Voreingenommenheit und gildenmagietheoretisch-engstirnige
Ignoranz gegenüber nicht-gildenmagischen systemata magica. (Sehr dankenswert ist
hier das unermüdliche Engagement des Collega Magus Thundar Hurlemanoff, in seinen
Leserbriefen gegen solcherlei 'objektivierendes' Forschertum zu argumentieren!)
Außerdem scheint man sich an einer übergroßen Anzahl von Akademien anzumaßen, das
Wesen der elfischen Zauberei bis in derartige Tiefen zu durchschauen, dass man großspurig
meint, etliche canti der drei großen Völker als Hauszauber lehren zu können und
sie gar in widerwärtigen 'Forschungsunternehmen' besser begreifen zu können, als die
Elfenvölker selber es tun
(Es sei hier an die ADLER, WOLF...-Experimentierereien der - ähem - 'Collegae' Kiara Delon und
Travidan Fuxfell erinnert, die an Respektlosigkeit gegenüber dem elfischen Wesen dieses cantus
nicht zu überbieten sind! Ad revisionem: Opus ## 21, 47, 51, 73, 74).
Glücklicherweise muss dabei nicht unerwähnt bleiben, dass es auch hier durchaus
erfreuliche Ausnahmen gibt, namentlich den Collega Magus Travian Norfold, der einen
interessanten und einfühlsamen Tractatus die elfische Magie betreffend verfasst hat,
welcher jedem Wissenschaftler unserer Zeit, dem an einem tieferen Verständnis jenes
Volkes und seines 'Zauberwesens' (im doppelten Sinne) wärmstens ans Herz gelegt sei.
[nachzulesen in dieser Ausgabe]
Meine bescheidene Abhandlung nun will ein skizzenhafter Versuch sein, eine philosophische
Basis zu legen, auf der eine Entgegnung zu genannter Arroganz der neuzeitlichen
Gildenmagie ermöglicht wird. Möget ihr selbst entscheiden, Collegae, wie gut dies
gelungen ist, und zögert nicht, mir gerecht zu entgegnen!
Möge die Junge Göttin den wachsenden Baum eures Geistes zahlreiche
Frucht tragen lassen!
Möge die Allwissende Herrin euch mit der Weisheit segnen, nur die reifen Früchte zu
ernten!
Gegeben zu Donnerbach im Mond der Tsa
des Jahres MXXIII nach dem Falle Bosparans
I. These
Madas Frevel hat den freien Fluß von astraler Kraft zu einer 'physischen
Konstante' gemacht.
Kommentar: Der Begriff physis entstammt dem
Alt-Güldenländischen und bezeichnet die Gesamtheit allen Seins in ihrem Urspung aus
polaren Strukturen: LOS-SUMU, Nayrakis-Sikaryan, Werden-Vergehen, die Einheit der ersten
und das Chaos der siebten Sphäre, das Gleichgewicht der elementaren Antinomien, der
kosmisch-metaphorische Wettstreit zwischen dem 'Nehmer der Welt' und dem 'Geber der
Gestalt' innerhalb der dritten Sphäre - all dies sind die kreativen Konstanten unseres
kreatürlichen Universums, i.e. der uns umgebenden und einschließenden 'Sämtlichkeit'
(bosp.; universus = sämtlich). Bezeichnenderweise leitet sich das Wort physis
vom Verb phyô = wachsen ab.
Die Magie nun, als Teil der physis, wie sie seit Madas Frevel ist ('wird' wäre die
angemessenere Verbform), hat nicht direkt einen polaren Gegensatz - das ist auch nur zu
verständlich, denn der Frevel der Hesindetochter wäre ja kein solcher gewesen, wenn sie
nicht gegen die 'gewachsene' Ordnung der Welt verstoßen hätte! Trotzdem ist sie
natürlich = natürlicherweise = gewachsenerweise = physisch nun Teil der Sämtlichkeit
und steht als solcher in potentieller Interaktion mit allen anderen Teilen der
Sämtlichkeit
II. These
Alle Wesen der dritten Sphäre treten - als conditio existentiae earum
- mit einer Vielzahl von bestimmten 'physischen Konstanten' in Berührung, von denen Magie
oftmals eine ist.
III. These
Verschiedene Wesen treten auf verschiedene Arten und Weisen mit den
'physischen Konstanten' - und wir wollen hier konkretisieren: mit Welt, i.e. mit eben
jenen Konstanten, welche der dritten Sphäre eigentümlich sind - in Berührung. Einige
Wesen können in dieser Begegnung eine aktive Rolle übernehmen und somit ihre Welt durch
Interaktion mit ihr nach eigenen Bedürfnissen formen. Aus dieser Formung entsteht
'Kultur' und die Wesen, welche solche Formung betreiben, sind 'kulturschaffend'.
Kommentar: Das Wort 'Kultur', bosp. cultura, muss mit
großer Vorsicht behandelt werden, denn weder das Alt-Güldenländische, noch das Isdira,
noch das Angram, noch das mhanahzabân (Ur-Tulamidya), noch die alt-echsische Sprache
(soweit sie aus den Glyphen von Yash'Hualay rekonstruiert werden kann) besitzt meines
bescheidenen Wissens nach einen vergleichbaren Begriff. Es handelt sich bei dem Wort also
um eine genuin bosparanische Prägung - ein 'Produkt' und einen integralen Bestandteil
unserer Denkweise -, die keineswegs einfach auf andere Völker und ihre Entwicklung
übertragen werden kann - und hier wurden nur jene hochentwickelten Wesensgemeinschaften =
Völker genannt, über die unser (erst recht spät in der aventurischen Geschichte)
eingewandertes Völkchen überhaupt etwas aussagen kann!
Nichtsdestotrotz und ohne weiter auf die historisch-linguistischen Details eingehen zu
wollen, sollen die Begriffe 'Kultur' und 'kulturschaffend' in unserem Zusammenhang auf
alle Völker zutreffen, die einer Form von gehobener Kommunikation fähig sind und die
eine Form von kreativer Schöpfungskraft bewusst (und damit absichtlich) nutzen. In diesem
Sinne folgt:
IV. These
In der dritten Sphäre - und präziser: in Aventurien - ist Magie also
eine 'kulturelle Konstante' in dem Sinne, dass alle kulturschaffenden Völker jedes
Zeitalters Magie kannten und kennen und nutzten und nutzen, um ihre Welt, ihre Wirklichkeit
zu formen.
Kommentar: Auf die Bewohner der anderen Sphären kann hier nicht
geschlossen werden - natürlich hat Madas Frevel 'alle Sphären durchstoßen', wie es
geschrieben steht, doch wir wissen nicht genug über das Wesen der Götter oder das der
Dämonen, um Magie auch als 'deische' oder gar 'daimonische Konstante' zu diagnostizieren.
An dieses Thema könnten sich jedoch zahlreiche produktive Spekulationen von Seiten der
Priesterschaft der Zwölfe oder der Beschwörergemeinschaft inner- und außerhalb der
Gildenmagie anschließen.
Prämisse für die IV. These ist offenbar weiterhin, dass es im grundsätzlichen Wesen der
Magie liegt, für Wesen nutzbar zu sein! Der überlieferte Grund für Madas Frevel
unterstützt diese Annahme.
V. These
Als 'weltlich-kulturelle Konstante' - und das heißt im oben
beabsichtigten Sinne: als nutzbare Kraft im Weltengefüge - ist Magie somit immer
Teil der aktiven Begegnung, der Interaktion aller kulturschaffenden Völker
mit Welt, ist weder Subjekt noch Objekt sondern Mittel der Interaktion!
Kommentar: Um einmal mehr die Feinheiten der ehrwürdigen
Sprache der ersten Siedler zu bemühen, sei hier darauf verwiesen, dass mein Gebrauch des
Wortes Mittel durchaus die Verwendung des alt-güldenländischen órganon
gestattet, welches seinen Bedeutungshorizont sowohl in der herkömmlichen Übersetzung mit
'Werkzeug' findet, aber auch ein 'Musikinstrumet' meinen kann, ebenso wie ein großes
'Kriegsgerät' oder ganz wörtlich das 'Organ', also einen Sinn oder ein Körperteil,
welches in unserem Leibe sein tsagefälliges Werk tut. Die Erforschung des
Interpretationsspielraumes dieses Wörtchens in Bezug auf unseren Kontext sei dem werten
Leser überlassen...
VI. These
Die Ausformung von Magie als Mittel der Interaktion mit Welt sowie
die Betrachtung dieser Ausformung - i.e. die magica practica und die theoria
magica - variieren partim gravierend zwischen den einzelnen kulturschaffenden
Völkern.
Kommentar: Der Begriff der theoria magica meint hier die
Reflexion nicht nur innerhalb der magischen Gemeinschaft sondern innerhalb der gesamten
Wesensgemeinschaft über ihre Nutzung von Magie als kultureller Konstante und ihre
Begegnung mit Magie als weltlicher, physischer Konstante.
CONCLUSIO
Unter allen möglichen Nutzungs- und Betrachtungsweisen von Magie gibt es
keine, die als (einzig) wahr bezeichnet werden kann. Die Nutzbarkeit liegt im Wesen
der Magie. Die unterschiedlichen Weisen unterschiedlicher Wesen, Welt zu begegnen,
liegen im Wesen der Wesen und des Wesens an sich, da Vielfalt eine Eigenschaft allen
Wesens, aller Sämtlichkeit, aller physis ist. Magie entzieht sich somit jeder eindeutigen
Beschreibung, welche allgemeine, objektive Gültigkeit beanspruchen will (wie sie exempli
gratia von der modernen - mit Verlaub: Puniner - Magietheorie versucht wird). Also:
Jedes System der Beschreibung, Klassifizierung, Funktionalisierung von
angewandter oder theoretisch betrachteter Magie - i.e. jedes einzelne aller möglichen systemata
magica - ist in seinem kulturellen Bezugsrahmen gültig, funktionsfähig, kohärent -
wahr - solange die das System praktizierende Gemeinschaft dieser Meinung ist. Jedoch:
Keine einzelne systema magica kann von einer anderen Gemeinschaft als ungültig, nicht
funktionsfähig, inkohärent - unwahr: sine veritate - deklariert oder auch nur betrachtet
werden!
Ich rufe die geschätzten Collegae hiermit auf:
Wahret die Vielfalt!
Respektieret das Mysterium!
Erkennet das Wesen der Magie!
Ad revisionem et comparationem:
1) "Annalen des Götteralters - vom Anbeginn der Zeiten"
2) Rohals "Systemata Magia" und "Sphaerologica - Die Offenbarung
des Nayrakis", dem Kundigen einzusehen an der Schola Arcania Puniniensis
3) "Objektivierende Arcanomechanik trans-sphärischer Genotypologie"
Scrpt.doct. von M. Rahjadan B. L. Laraon (Punin MIV BF; Arch. D14GG ~ log.7II)
4) "De computatio arcanologia - Mathemagische Äquivalenztheoreme"
Trct.th. von M.ord. Gyldivera ya Galahan-Lynsensyp (Punin MV BF; Arch. L8M ~ len.2IC)
5) "Wider das Mißverständnis der Magie als obiectum obiectivus"
Streitschrift von M.ex. Reiju Windfeder (Thorwal MV BF; publ. Kuslik, Hesindespiegel
MV/3); vgl. die folgende Polemik mit diversen Vertretern des Puniner 'magoformalen
Logizismus' (Hesindespiegel MV/4, MVI/1-4, MVII/1)
6) "Commentariolus de Tamarae 'Zauberkräfte der Natur'" Mnscrpt. von M.
Travian Norfold (Gerasim MXVII BF; non publicat)
Als Hintergrundliteratur ebenfalls zu empfehlen:
7) "Der Blick in den Regenbogen", in jedem Tempel der Jungen Göttin
einzusehen
8) "Am Fuße des Regenbogens - Die schillernden Augen der Ewig Sich
Wandelnden" Trct. von Laienbruder Zezzsan U'sshtz (Perricum MVI BF; publ. Silas,
Buntes Brevier MVIII/5).
von: Tyll Zybura Erschienen in Opus no. 88 am 24.12.2000.
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